Politik

Bundespräsidentenwahl "eine Klatsche" Schwarz-Gelb quält Wulff ins Amt

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Das ist ja nochmal gutgegangen: Merkel und Wulff haben es nach über neun Stunden geschafft.

(Foto: REUTERS)

Die Wahl des neuen Bundespräsidenten wird für die schwarz-gelbe Koalition zu einer Blamage. Drei Wahlgänge braucht sie, um ihren Kandidaten ins Amt zu hieven. Die Koalitionäre verweigern der Kanzlerin die Gefolgschaft. Wulff startet mit einem Malus in sein Amt.

Dass es bei der Bundespräsidentenwahl einen Denkzettel für Schwarz-Gelb geben wird, kündigt sich doch wieder über Twitter an. "Hurra!!!!!!", schreibt der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs um 14.14 Uhr im Kurznachrichtendienst. Nur zwei Minuten später ist es amtlich: Christian Wulff verfehlt im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Um kurz nach fünf kann sich wieder ein Abgeordneter der SPD nicht zurückhalten. "Es gibt wohl einen 3. Wahlgang. Die Demokratie und Freiheit setzt sich weiter durch", zwitschert Sönke Rix in die Welt hinaus. Bundestagspräsident Norbert Lammert bestätigt es kurz darauf: Auch im zweiten Wahlgang reicht es nicht für Union und FDP – trotz deutlicher Mehrheit in der Bundesversammlung. Und Kahrs ist es auch wieder um kurz nach 21 Uhr, als er verrät: "Das war's." Wulff hat es schließlich geschafft.

44 fehlende Stimmen im ersten, 8 im zweiten Wahlgang: Die Bundespräsidentenwahl ist für die schwarz-gelbe Regierung ein Fiasko. Auch wenn Wulff im dritten Wahlgang mit 625 Stimmen schließlich zum neuen Präsidenten gewählt wird – ein Signal der Geschlossenheit ist die Wahl für Union und FDP nicht. Im Gegenteil. Einmal mehr zeigt sich, wie zerstritten die Koalition ist. Kanzlerin Angela Merkel hat ihre Regierung nicht im Griff. Und so mancher macht bei der Wahl auch seinem Ärger über den Kurs der Regierung Luft. SPD und Grüne haben mit ihrem Kandidaten Joachim Gauck so einen Punktsieg gelandet. Merkel hatte sich den Tag sicher anders vorgestellt.

Natürlich will sich das von den Koalitionären niemand anmerken lassen. Am allerwenigsten die Kanzlerin. Als das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet wird, entgleiten ihr nicht die Gesichtszüge. Sie wirkt starr. Wie Kahrs ist ihr das Ergebnis längst bekannt. Doch ihr Zögern beim pflichtgemäßen Applaus für Wulffs Ergebnis verrät dann doch ihre Enttäuschung. Merkel sieht zudem ziemlich müde aus. Es hilft aber nichts, sie muss nun in den Reihen von Union und FDP für Geschlossenheit sorgen und für ihren Kandidaten werben.

Die Überraschung sitzt

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Gauck konnte mit seiner Nachdenklichkeit über die Parteigrenzen hinweg überzeugen.

(Foto: REUTERS)

Auch wenn es viele bereits geahnt, erhofft oder befürchtet hatten: Dass Wulff im ersten Wahlgang nicht durchkommt und so viele Vertreter von Union und FDP gegen ihn stimmen, ist eine faustdicke Überraschung. "Es ist für die, die Christian Wulff nominiert haben, eine Klatsche", bringt es der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki auf den Punkt. So deutlich ist allerdings sonst kaum jemand, nicht einmal die Politiker von SPD und Grünen. Während Union und FDP das Ergebnis herunterspielen, um ihre Krise schönzureden, wollen auch Rot und Grün den Druck vor dem zweiten Wahlgang nicht zu groß werden lassen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel nennt das Ergebnis deshalb einen "Gewinn für die ganze Bundesversammlung", weil sich Wahlleute frei machen würden. Sein Stellvertreter Olaf Scholz spricht bei n-tv vorsichtig von "Unbehagen" über die Bundesregierung und "fehlender Regierungskunst". Die Opposition will mit ihrer Strategie nicht die Reihen von Union und FDP schließen helfen. Deshalb unterlassen Grüne und SPD allzu großes Triumphgeheul, auch nach dem zweiten Wahlgang.

Linke triumphiert

Ganz anders die Linkspartei. Von einem "grandiosen Erfolg" spricht deren früherer Geschäftsführer Dietmar Bartsch, weil die Kandidatin Luc Jochimsen zwei Stimmen mehr bekommt als die Linke Sitze hat. Dass es im zweiten Durchgang eine weniger ist, bleibt wohl nur eine Randnotiz. Die Linke genießt den Erfolg ihrer Kandidatin, die Geschlossenheit ihrer Reihen. Dass sich die Partei damit aber keinen Gefallen tut, registrieren die Führungsleute wohl nicht. Ebenso wenig, dass sie mit ihrer eigenen Kandidatin und ihrer Enthaltung im dritten Wahlgang zur Wahl Wulffs beigetragen haben. Und alle rot-rot-grünen Chancen im Bund vorerst begraben sind. "Es ist der Linkspartei wichtiger gewesen, Herrn Wulff zu wählen als jemanden, der mitgeholfen hat, Unrechts- und Stasi-Taten aufzuklären", sagt Gabriel am Ende des Tages. Grünen-Chefin Claudio Roth spricht der Linken gar die Politikfähigkeit ab.

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Merkel wollte den Befreiungsschlag - und landete zurück in der Krise.

(Foto: REUTERS)

Doch was soll's - Wahl ist Wahl, verkünden die schwarz-gelben Koalitionäre, als Wulff schließlich am Abend im dritten Wahlgang gewählt ist. "Es war nicht besonders elegant vielleicht, aber das Ergebnis zählt - und in wenigen Wochen werden alle sagen: Mensch, toll, was wir für einen Bundespräsidenten haben", fasst Unionsfraktionschef Volker Kauder die Stimmung in der Koalition zusammen. Sie freue sich "von ganzem Herzen", sagt auch Merkel. "Ich glaube, dass die absolute Mehrheit jetzt zum Ende des dritten Wahlganges auch deutlich gemacht hat: Hinter Christian Wulff steht eine große Mehrheit, die er auch in der Bevölkerung finden wird." Und FDP-Chef Guido Westerwelle nennt das Ergebnis einen eindeutigen Vertrauensbeweis.

Schwarz-gelbe Erleichterung

Dabei meint man zu hören, wie ihnen schwere Steine von den Herzen fallen. Die Erleichterung, die sich in den Reihen der schwarz-gelben Koalition breit macht, ist die Freude der Verzweifelten. Der Schock sitzt tief bei Merkel und ihren Getreuen. Die ganz große Katastrophe ist zwar ausgeblieben. Doch deutlicher hätte sich die Krise der Regierungskoalition nicht zeigen können.

Dass Wulffs Wahl kein Signal der Stärke, sondern eins der Schwäche ist, und der Krach bei Schwarz-Gelb nicht vorbei, macht am Abend CSU-Chef Horst Seehofer klar. Er mahnt eine stärkere Führung in der Koalition an, Union und FDP dürften nach dem Verlauf der Wahl nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren. Daher müsse jetzt Schluss sein mit "den abstrakten Diskussionen". Die Bevölkerung erwarte zu Recht, dass über Themen wie die Zukunft der Bundeswehr, der Energieversorgung oder beim Haushalt "nicht ewig diskutiert wird". Gefragt seien jetzt vielmehr Führung und Entscheidungen. Merkel wird die Worte gehört und verstanden haben, als das was sie sind: Eine unverhohlene Drohung.

Wulffs Fehlstart

Für den neuen Bundespräsidenten wird es in jedem Fall ein ganz schwieriger Start. Das liegt vor allem an seinem Gegenkandidaten. Als der Bundestagspräsident nach über neun Stunden Wahlmarathon am Abend schließlich das Ergebnis verkündet, wird zuerst Gauck genannt. 494 Stimmen entfallen auf den Kandidaten von Grünen und SPD, die gemeinsam nur über 462 Sitze verfügen. Der Applaus für Gauck ist lang und leidenschaftlich, gerührt nimmt der Kandidat die Ovationen hin. Fast mag man das Seufzen zu vernehmen, das durch das Land geht. Nicht der Favorit der Bürger hat sich durchgesetzt, sondern der Kandidat der Parteien.

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Die Erleichterung überwiegt: Wulff freut sich mit seiner Frau Bettina über die letztlich erfolgreiche Wahl.

(Foto: REUTERS)

An ihm muss sich Wulff nun messen lassen, ob es ihm gefällt oder nicht. In den Köpfen wird für eine lange Zeit immer mitschwingen: Was wäre, wenn Gauck jetzt dort stünde?

Den neuen Präsidenten scheint das wenig zu stören. Stolz und Erleichterung spiegeln sich in seinem Antlitz, als er die Wahl "außerordentlich gerne und mit Freude auf die vor mir liegende Amtszeit" annimmt. Und dann kommt Wulffs erste Amtshandlung: seine Dankesrede.

Eine schnörkellose Rede

Sie ist hoffentlich kein Vorgeschmack auf seine Amtszeit. Er trägt sie so hastig und so schnörkellos vor, als müsste er eine Pflichtübung beenden. Man mag das mit Aufregung begründen, oder wie Wulff damit, dass jetzt alle nach Hause wollen. Doch nach einer solchen Zitterpartie, einem solchen Tag, hätte man etwas mehr erwartet.

Wulff bedankt sich für das entgegengebrachte Vertrauen, betont die geheime und freie Wahl und bekundet seinen Respekt all denen, die eine andere Entscheidung getroffen haben. "Ich werde mich sehr bemühen, auch Ihren Erwartungen gerecht zu werden", erklärt er. Ein kurzer Ritt über die Themen, die er angehen will: zur inneren Einheit beitragen, die Integration vorantreiben und zu einem besseren Verständnis beitragen. Ein bisschen Selbstironie beweist er noch, als er auf die drei Wahlgänge eingeht: "Aus Niederlagen habe ich eigentlich immer noch mehr gelernt als aus Siegen. Und wenn ich Ihnen sage, dass mein Antritt als Ministerpräsident im dritten Anlauf neun Jahre gedauert hat, dann war die Bundesversammlung heute relativ kurz."

Was wohl Gauck gesagt hätte?

Quelle: ntv.de

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