Politik

Keine Fastenzeit im Streit Schwarz und Gelb fetzen sich

Die Kanzlerin erinnert sich voller Wehmut an die funktionierende Koalition mit der SPD.

Die Kanzlerin erinnert sich voller Wehmut an die funktionierende Koalition mit der SPD.

(Foto: REUTERS)

Der politische Aschermittwoch ist ein alljährlich sich wiederholendes Ritual. Für gewöhnlich dreschen Regierungsparteien und Opposition verbal munter aufeinander ein. In diesem Jahr ist alles anders: Erstmals fetzen sich die sogenannten Koalitionäre auch untereinander. Da kommt es schon mal vor, dass sich die Kanzlerin wohlwollend an die Große Koalition erinnert.

Beim Politischen Aschermittwoch haben sich FDP-Chef Guido Westerwelle und seine Partner von der Union zwar keinen derben Schlagabtausch geliefert. Doch der Vizekanzler wich von seinen umstrittenen Äußerungen zu den Hartz-IV-Regelungen keinen Deut ab. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer pflichtete ihm inhaltlich zwar bei, verzichtete aber nicht auf Spitzen. CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich erstmals persönlich von den Worten Westerwelles. Derweil setzen die Liberalen knapp drei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ihren Sinkflug in Umfragen fort.

Westerwelle wie immer: laut und forsch.

Westerwelle wie immer: laut und forsch.

(Foto: dpa)

Westerwelle bekräftigte seine Äußerungen über Hartz-IV- Leistungen. "Ausgesprochen werden musste, was auszusprechen war", sagte er unter dem Beifall von rund 700 Gästen im bayerischen Straubing. "Wer hätte denn überhaupt in Deutschland diese Diskussion geführt, wenn man das Ganze in Form eines diplomatischen Bulletins verkleidet hätte?" Er sei als Außenminister im Ausland zur Diplomatie verpflichtet. "Im Inland gehöre ich weiterhin dem Verein der klaren Aussprache an."

Merkel sagte beim Auftritt zum Politischen Aschermittwoch in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern): "Ich habe klargemacht, dass das, was Guido Westerwelle gesagt hat, nicht meine Worte sind. Das ist nicht mein Duktus. Aber wie es in der Politik so ist - die Menschen, genau wie im echten Leben, sind unterschiedlich."

Westerwelle hatte in der Debatte über angemessene Hartz-IV-Bezüge Empörung ausgelöst mit dem Satz: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

Lobgesang auf Schwarz-Rot

Zudem lobte Merkel mit Hinweis auf die Koalitionskrise die Zusammenarbeit mit der SPD in der Großen Koalition, die sie bis zur Bundestagswahl im Herbst 2009 geleitet hatte. "Die Große Koalition hat Wichtiges geleistet", sagte die Kanzlerin. Union und SPD hätten Deutschland durch die Zeit der Wirtschaftskrise "sehr gut hindurchgeführt". Das sollte man nicht vergessen, weil es in Stunden existenzieller Bedrohungen darauf ankomme, dass Parteien auch zusammenarbeiten könnten. Auch mit Blick auf die jetzige christlich-liberale Koalition sagte die Kanzlerin: "Kritisieren, schreien, schimpfen hilft uns nicht weiter."

CSU-Chef Horst Seehofer spottete über Westerwelles aggressiveren Kurs in der Koalition: "Das ist kein Tsunami, das ist nur eine Westerwelle." In seiner zweiten Aschermittwochsrede als Parteichef sagte er vor rund 4000 Zuhörern in Passau: "Ich würde mir manchmal wünschen, dass die Freien Demokraten - und auch mein Freund Guido - in einigen Bereichen ein wenig mehr Gelassenheit mitbrächten."

"Sozial ist das Gegenteil von Sozialismus"

Seehofer zeigt sich mit seiner Frau Karin in der Passauer Dreiländerhalle.

Seehofer zeigt sich mit seiner Frau Karin in der Passauer Dreiländerhalle.

(Foto: dpa)

Seehofer zog eine scharfe Grenze zwischen Solidarität und dem von Westerwelle in der Hartz-IV-Debatte vermuteten Sozialismus-Gedanken. "Wer Arbeit ablehnt, hat keinen Anspruch auf Solidarität." Wer Hilfe brauche, dem werde auch künftig geholfen. "Sozial ist das Gegenteil von Sozialismus." Wie Westerwelle sagte auch Seehofer: "Leistung muss sich lohnen." Seehofer bekräftigte sein Nein zur FDP-Forderung einer Kopfpauschale als Krankenkassenbeitrag. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf er Anbiederung an die Linke vor.

Die drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Westerwelle und Seehofer wollen sich nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" am kommenden Mittwoch treffen.

Merkel vertritt "Maß und Mitte"

Merkel sagte mit Blick auf den kleinen Koalitionspartner FDP, die CDU interessiere sich als Volkspartei "nicht nur für Gruppen, sondern für alle". Sie fügte hinzu: "Wir sind die Partei, die Maß und Mitte hat." Zugleich attackierte sie heftig die Grünen und den früheren Koalitionspartner SPD wegen deren Umgang mit der Sozialstaatsdebatte: "Wenn ich mir anschaue, wie die Grünen und die Sozialdemokraten reagieren und kritisieren, dann kann ich nur sagen: was für ideenlose Menschen sind das eigentlich." Die SPD habe die in der Grundidee richtigen Hartz-IV-Regeln selbst eingeführt, sei aber über viele Jahre nicht bereit gewesen, "das, was fehlerhaft war, zu bereinigen und zu verändern. Von denen müssen wir uns nichts sagen lassen."

Das erste Mal als Partei-Chef am Aschermittwoch: Sigmar Gabriel.

Das erste Mal als Partei-Chef am Aschermittwoch: Sigmar Gabriel.

(Foto: dpa)

Gabriel hielt der schwarz-gelben Koalition vor, mit der Sozialdebatte eigene Versäumnisse zu verschleiern. "Die wollen vom eigenen Nichtstun ablenken." Merkel sehe tatenlos zu. "Die tut ja so, als geht sie das nichts an", sagte Gabriel vor rund 500 Anhängern. Er bezeichnete Westerwelle als "Dienstboten" derer, die sich den Staat zur Beute machen wollten. In Wahrheit nützten diejenigen den Staat aus, die ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland schafften. "Das sind die wahren Sozialbetrüger und Asozialen in Deutschland."

Özdemir mit der Fraktionschefein der Grünen im Bayerischen Landtag, Margarete Bause.

Özdemir mit der Fraktionschefein der Grünen im Bayerischen Landtag, Margarete Bause.

(Foto: dpa)

Grünen-Chef Özdemir erteilte der Linken eine Absage. Solange es bei den Linken eine Verharmlosung der Stasi-Vergangenheit zu DDR- Zeiten gebe, seien sie keine Partner für die Grünen, sagte er vor rund 300 Zuhörern in Landshut. Bundestagsfraktionschefin Renate Künast sagte in Biberach mit Blick auf die schwarz-gelbe Regierung, nach elf Jahren Verlobungszeit und 100 Tagen an der Macht stehe fest: "Aus dieser Ehe wird nichts mehr."

Die designierte Linken-Vize Sahra Wagenknecht teilte an alle Parteien aus. "Sie alle stehen für Steuergeschenke an Reiche, sie alle stehen für Plünderung der öffentlichen Haushalte, und sie alle stehen im Extremfall (...) für rabiate Sozialkürzungen." Westerwelle sei der "größte anzunehmende Unfall" für die Bundesregierung.

FDP rutscht weiter ab

Die FDP fiel im neuen "Stern-RTL-Wahltrend" im Vergleich zur Vorwoche um einen weiteren Punkt auf 7 Prozent. Damit haben die Liberalen im Vergleich zum Bundestagswahlergebnis von 14,6 Prozent die Hälfte an Zustimmung eingebüßt. Mit 42 Prozent liegen Union und FDP nun 9 Punkte hinter SPD, Grünen und Linken mit 51 Prozent. 42 Prozent der Bundesbürger sehen in einer schwarz-grünen Koalition im Bund eine interessante Alternative.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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