Deutsches Finanzdesaster Schwarzer Tag für Eichel
13.11.2002, 12:26 UhrKein schöner Tag für Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Der Arbeitskreis Steuerschätzung hat seine November-Schätzung überreicht: Die Steuermindereinnahmen liegen bei über 30 Mrd. Euro. Die "Fünf Weisen" legten ihr Herbstgutachten vor: Das Wachstums wird auch 2003 unter den bisherigen Schätzungen liegen. Die EU veröffentlichte ihre Wirtschaftsprognose für die Euro-Zone: Deutschland überschreitet auch 2003 die Defizitgrenze von drei Prozent.
Um die eigentlich verfassungswidrige Neuverschuldung im Nachtragshaushalt 2002 zu rechtfertigen, erklärte Bundesfinanzminister Eichel das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" für gestört. Laut Grundgesetz dürfen in einem Haushaltsjahr nicht mehr Schulden gemacht als Investitionen getätigt werden.
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sprach von einem "schwarzen Tag" für Deutschland, das in eine Depressions- und Deflationsspirale gerate. CDU, CSU und FDP forderten den Rücktritt Eichels.
"Schuld ist die Politik / Hartz reicht nicht"
Die Sachverständigen gehen in ihrem Herbstgutachten zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für 2002 nur noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent, für 2003 von 1,0 Prozent aus. Das Bundesfinanzministerium reagierte schnell und betonte, man bleibe bei der bisherigen Einschätzung: 0,5 Prozent 2002, 1,5 Prozent 2003.
Schuld sind nach Meinung der "Fünf Weisen" nicht die allgemeine Konjunktur oder gar die Weltwirtschaft, es ist vor allem die Politik. Unzureichende und falschen Weichenstellungen auf dem Arbeitsmarkt, im System der Sozialen Sicherung und dem Steuersystem sind für die Flaute verantwortlich. Erforderlich seien mehr Flexibilität, der Ausbau des Niedriglohnbereichs und eine Senkung der "Anspruchslöhne", meinen die Wirtschaftsexperten. Das "Hartzkonzept" reiche bei weitem nicht aus.
Defizit auch 2003 über drei Prozent / Verfahren eingeleitet
Mit 4,17 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt wird sich an der prekären Situation auch im nächsten Jahr nichts ändern, konstatiert das Herbstgutachten. Die Folge: Das Staatsdefizit werde auch 2003 mit 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts über der im Europäischen Stabilitätspakt festgelegten Drei-Prozent-Grenze liegen.
Ähnlich sieht es die EU-Kommission. Dort rechnet man nun, wie Währungskommissar Pedro Solbes bei der Vorstellung des EU-Wirtschaftsgutachtens mitteilte, offiziell mit einem deutschen Defizit von 3,8 Prozent im Jahr 2002 und von 3,1 Prozent im nächsten Jahr. Solbes leitete noch am Mittwoch ein Defizitverfahren gegen Deutschland ein. Im Extremfall könnte dies zu Geldbußen in Milliardenhöhe führen. Solche Sanktionen hatte allerdings auch Solbes als unwahrscheinlich bezeichnet.
Gigantische Steuermindereinnahmen
Möglicherweise wird das Defizit im kommenden Jahr aber noch höher ausfallen: Lahmendes Wachstum und hohe Arbeitslosenzahlen haben sinkende Steuereinnahmen zur Folge: Das glaubt auch der Arbeitskreis Steuerschätzung, der nach zweitägigen Beratungen am Mittwoch seine November-Schätzung vorstellte. Für 2002 und 2003 erwarten die Experten aus Bund, Ländern und Kommunen Steuermindereinnahmen im Vergleich zur Mai-Prognose von 31,4 Mrd. Euro.
In diesem Jahr betragen die Steuermindereinnahmen 15,4 Mrd., im nächsten 16 Mrd. Euro. Die Länder trifft es etwas härter als den Bund, der ab 2003 mit höheren Einnahmen aus der Ökosteuer rechnen kann, die er allein kassiert. "Bei der Lohnsteuer hat die unbefriedigende Entwicklung der Beschäftigung Spuren hinterlassen", musste Finanzminister Eichel eingestehen. Er erwarte aber im kommenden Jahr eine Besserung.
Der Steuerausfall zwingt Eichel dazu, für das laufende Jahr einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Die Neuverschuldung wird statt der geplanten 21,1 Mrd. zwischen 30 und 34 Mrd. Euro betragen.
Neues Sparpaket?
Das reicht aber nicht, um das Loch zu stopfen. Darum plant die Bundesregierung offenbar ein weiteres Sparpaket. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, sagte am Mittwoch auf die Frage nach der Konsequenz aus den Ergebnissen der aktuellen Steuerschätzung: "Wir richten uns darauf ein, dass das, was wir jetzt tun, nicht ausreichen wird. " Bei der Aufstellung des Nachtragshaushalts für 2002 und des Haushalts für 2003 werde es "entsprechende Reaktionen" geben. Für Bund, Länder und Gemeinden werde es schwierig sein, die finanziellen Probleme zu bewältigen: "Es wird keine leichte Zeit."
Quelle: ntv.de