Politik

Streit um Einwanderung und Integration Seehofer löst Empörung aus

Nach der Forderung eines Zuwanderungsstopps von CSU-Chef Seehofer kommt Kritik von allen Seiten, auch Mitglieder der Schwesterpartei sind geschockt. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland fordert eine Entschuldigung und spricht von einer "Lebenslüge". FDP-Chef Westerwelle plädiert für "fördernde Integration".

CDU-Chef Seehofer will die Einwanderung anders steuern.

CDU-Chef Seehofer will die Einwanderung anders steuern.

(Foto: dpa)

Die Türkische Gemeinde in Deutschland verlangt von CSU-Chef Horst Seehofer eine Entschuldigung wegen seiner Forderung nach einem Zuwanderungsstopp für Türken und Araber. "Die jüngsten Aussagen Seehofers sind diffamierend und nicht hinnehmbar", sagte der Vorsitzende Kenan Kolat der "Berliner Zeitung" als Begründung. Kolat sprach von Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und sah darin den Versuch Seehofers, die Integrationsthesen des ausgeschiedenen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin zu übertrumpfen. Aus der CSU kamen unterdessen weitere Forderungen nach einer Begrenzung der Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen.

Seehofer hatte gesagt, "dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun" mit der Integration. Daraus ziehe er "den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen".

Kritik von allen Seiten

Nicht nur bei der Opposition stieß er damit auf Kritik - auch in den Reihen von CDU und FDP. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), zeigte sich "sehr schockiert". Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), warf Seehofer vor, am eigentlichen Problem - der schlechten Integration vieler Zuwanderer - vorbeizureden. Bayerns FDP-Chefin, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, nannte Seehofers Äußerung eine "bewusst vereinfachende populistische Debatte".

Grüne und SPD sprachen von Rechtspopulismus. "Deutschland hat mehr Aus- als Einwanderung. Letztes Jahr wanderten 760 Fachkräfte zu, aber 160.000 ab", sagte Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast. Grünen-Parteichefin Claudia Roth warf Seehofer vor, "zum Brandstifter der deutschen Politik" zu werden und forderte ihn auf, sich bei allen türkischen und arabischen Einwanderern zu entschuldigen.

Sind sich einig: Horst Seehofer und Hans-Peter Friedrich.

Sind sich einig: Horst Seehofer und Hans-Peter Friedrich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, sprach sich unterdessen dafür aus, europäischen Fachgruppen Vorrang vor Fachkräften aus anderen Regionen zu geben. "Diese Menschen sind leichter integrierbar in Deutschland als diejenigen, die fremden Kulturkreisen angehören", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Zugleich verteidigte er den bayerischen Ministerpräsidenten: "Seehofer hat vollkommen recht."

"Lebenslüge gepredigt"

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) warf der Union derweil vor, aus ideologischen Gründen die zügige Eingliederung von Zuwanderern verhindert zu haben. Eine aktive Integrationspolitik sei vor allem deshalb unterblieben, weil CDU und CSU starr an ihrer Position festgehalten hätten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, sagte der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. "Natürlich sind Muslime Teil Deutschlands und gehören zu diesem Land. Es ist respektlos, sie nicht als Teil der Gesellschaft anzuerkennen", fügte er hinzu.

Kenan Kolat fordert entschlossenes Handeln gegen rassistische Tendenzen.

Kenan Kolat fordert entschlossenes Handeln gegen rassistische Tendenzen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Auch nach Ansicht von Kenan Kolat haben viele Politiker jahrelang "die Lebenslüge gepredigt", dass Deutschland ohne Einwanderung auskommen könne. Jetzt das Gegenteil zu erklären, stoße in breiten Bevölkerungsschichten nur auf wenig Akzeptanz. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft müsse entschlossen gegen rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen vorgehen, forderte Kolat. Von den Zuwanderern könne dagegen erwartet werden, dass sie schnell die deutsche Sprache erlernten und mehr Bildungsbewusstsein zeigten. Dies seien Grundvoraussetzungen für ihre stärkere Teilhabe an einem besseren Zusammenleben.

Westerwelle: Integration fordert

Der FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat sich für eine "fordernde Integration" ausgesprochen. Einwanderer müssten "unser Wertesystem akzeptieren", sagte er der "FAZ". Vielleicht sei er "hier besonders engagiert, weil ich selber einer Minderheit angehöre". Westerwelle, der damit auf seine Homosexualität anspielte, führte aus, er lehne es "mit Entschiedenheit ab, mit kultureller Herkunft oder angeblicher religiöser Identität zu erklären, wenn Minderheiten diskriminiert oder Frauen und Mädchen unterdrückt werden". Integration habe "nichts Romantisches, sondern etwas sehr Forderndes", sagte der FDP-Chef.

Guido Westerwelle: "Schon vor Jahren gewarnt"

Guido Westerwelle: "Schon vor Jahren gewarnt"

(Foto: REUTERS)

Westerwelle zählt sich nach eigener Aussage "zu jenen, die schon vor Jahren vor der multikulturellen Wertebeliebigkeit gewarnt haben". Er habe von der Notwendigkeit, die deutsche Sprache zur Integration zu lernen, schon gesprochen, als man dafür "noch in eine rechte Ecke gestellt wurde". "Ich weiß, dass viele in der Politik sehr abstrakt über Integration reden, die persönlich da, wo sie leben, mit den Problemen der Integration nie in Berührung kommen," sagte Westerwelle. Er selbst sei hingegen "in einem Viertel in der Bonner Altstadt groß geworden, das seinerzeit als multikulturell bezeichnet wurde".

Westerwelle pflichtete der Einschätzung von Bundespräsident Christian Wulff zur Stellung des Islam in Deutschland bei. Der Islam sei "Teil der gesellschaftlichen Realität Deutschlands". Die kulturellen Wurzeln des Landes lägen aber in der christlich-jüdischen Tradition. Weiter sagte Westerwelle zu Wulffs Rede am Tag der deutschen Einheit, sie habe "viele Facetten". Besonders begrüßenswert sei, "wie eindeutig der Bundespräsident sich zu Europa bekannt" habe. Zur Debatte um das umstrittene Buch des frühen Bundesbank-Vorstandes Thilo Sarrazin (SPD) zur Integrationspolitik in Deutschland sagte Westerwelle, "dass die Meinungsfreiheit in Deutschland auch sehr kontroverse Bücher ertragen" müsse.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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