Ein weiteres Tabu fällt Seehofer öffnet Endlagerdebatte
30.05.2011, 12:11 Uhr
Symbolische Geste: Am Freitag reichen sich die Süd-Ministerpräsidenten Seehofer und Kretschmann die Hände.
(Foto: dpa)
Die atompolitische Wende der schwarz-gelben Koalition bricht Fronten auf, die als unverrückbar galten. Plötzlich ist selbst die CSU bereit, über Endlager zu diskutieren. "Die Generationen, die die Kernkraft nutzen, müssen sich auch um die Endlagerung kümmern", sagt Bayerns Ministerpräsident Seehofer.
CSU-Chef Horst Seehofer hat sich überraschend für einen Neustart bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll ausgesprochen. Alle geologischen Aspekte sollten noch einmal neu auf den Prüfstand gestellt werden, sagte er in Berlin. "Wir müssen erstmal Deutschland ausleuchten."
Bisher hat Bayern sich gegen eine bundesweite Suche nach Alternativen zum Salzstock Gorleben in Niedersachsen gesperrt. Erst vor einer Woche hatte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt gesagt, in Bayern werde es kein Endlager geben. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte gekontert, solange Seehofer sich sperre, könne die auch von der CSU angestrebte Atomwende nicht ernstgenommen werden.
"Es soll alles untersucht werden", erklärte Seehofer nun. "Die Generationen, die die Kernkraft nutzen, müssen sich auch um die Endlagerung kümmern." Auf die Frage, ob auch eine Endlagerung im Freistaat eine Option sei, antwortete Seehofer: "Ich sehe sie nicht." Man wolle aber nicht ausscheren.
Neben Salzstöcken im Norden - wie in Gorleben - könnten auch Ton- und Granitformationen im Süden als Standorte in Frage kommen. Die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg hatte schon Bereitschaft zu einer neuen Suche signalisiert, wenn alle mitziehen und wenn es einen ambitionierten Atomausstieg gibt.
Röttgen streckt die Hand aus
Bisher setzen Union und FDP auf eine Erkundung des Salzstocks in Gorleben. SPD und Grüne fordern eine bundesweite Suche. Die Atomindustrie hat in die seit 1977 laufende Gorleben-Erkundung rund 1,5 Milliarden Euro investiert. Es gibt Zweifel, ob der Salzstock sicher genug ist, um hoch radioaktiven Müll dauerhaft in mehr als 800 Metern Tiefe zu lagern.
Umweltminister Norbert Röttgen sagte, es sei die Pflicht, die Untersuchung in Gorleben zu einem Ergebnis zu führen. "Mit welchem Ergebnis auch immer." Gleichzeitig müsse man zu einem Verfahren kommen, "wie wir auch andere geologische Formationen und andere Optionen der Entsorgung prüfen". Das sei der Versuch, im Rahmen des neuen Energiekonsenses auch diese Frage miteinzubeziehen. Man strecke in dieser Frage auch die Hand zur Opposition aus.
Töpfer fordert rückholbare Lagerung
Auch die Ethikkommission empfahl, mit dem Atomausstieg auch einen Neustart bei der Suche nach einem Endlager zu wagen. Es sollte eine rückholbare Lagerung unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen gemacht werden, sagte der Vorsitzende Klaus Töpfer bei der Vorstellung des Berichts.
Über Gorleben hinaus sei es daher sinnvoll, weitere Standorte zu prüfen, betonte der frühere Bundesumweltminister und CDU-Politiker. Ob es in Gorleben möglich ist, den Atommüll bei Problemen notfalls zurückholen zu können, ist umstritten.
Töpfer betonte, beim Atomausstieg müssten auch die Strompreise im beobachtet werden. Wichtig sei es, weiter an ehrgeizigen Klimazielen festzuhalten.
Der Co-Vorsitzende und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, betonte, bei der Energiewende brauche es einen Wettbewerb der Ideen. "Wir stehen unter einer hohen internationalen Beobachtung." Das Kommissionsmitglied Miranda Schreurs werde in Kürze die Ergebnisse in Japan und Südkorea vorstellen.
Kommission gegen "Stand by"-Kraftwerk
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Ethikkommission ins Leben gerufen, um der schwarz-gelben Wende in der Atompolitik einen Basis zu geben. "Wir werden die Empfehlungen der Ethikkommission als Richtschnur nehmen", versicherte Merkel, als sie den Bericht offiziell entgegennahm. In einigen Punkten widersprachen die Experten der Bundesregierung allerdings.
So lehnt die Ethikkommission das Vorhaben der Koalition ab, ein älteres Atomkraftwerk im "Stand by"-Betrieb weiterhin in Bereitschaft zu halten. "Wir haben das nicht vorgeschlagen, wir halten das für nicht empfehlenswert", sagte Töpfer. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Energiepolitiker Hans-Josef Fell: "Fukushima hat gezeigt, dass auch Kernkraftwerke, die sich nicht am Netz befinden, explodieren können."
Töpfer machte zudem deutlich, dass das von der Koalition in der Nacht zu Montag beschlossene Ausstiegsdatum 2022 nicht den Empfehlungen der Koalition entspreche, weil es über den Zeitraum eines Jahrzehnts hinausgehe: "In unserer Empfehlung ist das exakt nicht enthalten." Töpfer riet aber zugleich in diesem Punkt zur Gelassenheit. Es werde besonders international niemand verstehen, "wenn wir uns jetzt wegen sechs Monaten die Köpfe einschlagen".
Quelle: ntv.de, hvo/rts/AFP/dpa