"Gigantischer politischer Erfolg" Sieben Anträge auf Mindestlohn
31.03.2008, 14:03 UhrMindestlöhne sollen auf mindestens sieben weitere Branchen ausgedehnt werden. Davon könnten mehr als 1,4 Millionen Beschäftigte profitieren. Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ging davon aus, dass bis zum Ende der Meldefrist am Abend noch eine achte Branche die Aufnahme ins Entsendegesetz beantragt, um auf diesem Weg zu verbindlichen Lohnuntergrenzen zu kommen. Scholz sprach von einem "gigantischen politischen Erfolg". Union und Arbeitgeber werteten die Strategie der SPD dagegen als gescheitert.
Die "Bild"-Zeitung berichtete, die Abfallwirtschaft habe noch am Montag als achte Branche einen Mindestlohn beantragt. Es gehe hier um 140.000 Beschäftigte, vor allem der Müllabfuhr.
Unter den Antragstellern sind aber auch Kleinstbranchen wie Bergbau-Spezialarbeiten mit nur 2500 Beschäftigten. Anträge kamen ferner von der Zeitarbeit, dem Sicherheitsgewerbe, Großwäschereien, Forstdienstleistern, der Weiterbildungsbranche und Pflegediensten. Die Zahl der Anträge fiel damit zwar größer aus als zuletzt spekuliert worden war. SPD und Gewerkschaften hatten aber auf zehn oder mehr sowie größere Branchen gehofft.
Scholz zeigte sich dennoch zufrieden. Die Zahl der per Entsendegesetz vor Billig-Konkurrenz geschützten Beschäftigen werde sich damit nahezu verdoppeln. Bisher seien es bereits 1,8 Millionen. Auch nach Ablauf der Frist können zudem weitere Branchen aufgenommen werden. In vielen Wirtschaftszweigen lehnen die Arbeitgeber dies jedoch bisher ab.
Merkel schweigt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte die Resonanz nicht bewerten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sprach von einer begrenzten Zahl von Anträgen. Die meisten Branchen hätten sich nach reiflicher Überlegung entschieden, nicht diesen Weg zu verfolgen.
Forderungen aus der Union, die nötigen Gesetzesnovellen für weitere Branchen-Mindestlöhne nun nicht weiter zu verfolgen, wies Wilhelm zurück. "Die Vereinbarung wird eingehalten", sagte er mit Blick auf den Kompromiss von Union und SPD. Es gebe dazu allerdings "sehr schwierige Rechtsfragen" und eine "Fülle von kritischen Punkten", die in den nächsten Wochen zu klären seien. Die Arbeiten und Ressortabstimmungen an den Gesetzesnovellen gingen aber weiter. Scholz erwartet eine Einigung bis zum Sommer.
Die Anträge für das Entsendegesetz sind nur ein erster Schritt, um zu Mindestlöhnen für alle Branchenbetriebe zu kommen. Für sie müssen Voraussetzungen wie eine 50-prozentige Tarifbindung erfüllt sein. Für Wirtschaftszweige, in denen weniger als die Hälfte der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, soll das Mindestarbeitsbedingungen-Gesetz von 1952 modernisiert und damit auch in diesen Branchen Lohnuntergrenzen ermöglicht werden.
Die Union lehnt Mindestlöhne für Zeitarbeitsunternehmen ab. Zwei von drei Zeitarbeitsverbänden forderten die Aufnahme der Branche. Scholz sieht dafür keinen Hinderungsgrund. Alle Kriterien seien erfüllt. Die Branchenanträge nannte er einen wichtigen Schritt in Richtung gesetzlicher Mindestlöhne. Diese seien aber erst mit einem SPD-Kanzler möglich. Er wies den Vorwurf zurück, Mindestlöhne kosteten Arbeitsplätze. Dafür gebe es keine Belege.
"Fatalste Fehleinschätzung der letzten Jahre"
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sprach von einer "der fatalsten Fehleinschätzungen der Sozialdemokraten in den letzten Jahren". Die CDU zeigte sich aber offen, das Wachgewerbe in das Entsendegesetz zu übernehmen, um einen Mindestlohn zu erreichen. "Wir haben hier die Gefahr des Lohndumpings durch ausländische Arbeitnehmer." Für die Zeitarbeit werde es dies definitiv nicht geben. Nach den Worten von CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer haben sich "nur wenige, volkswirtschaftlich nicht sehr bedeutsame Branchen" für den Weg des Entsendegesetzes entschieden.
Der Vize-Vorsitzende der Partei Die Linke, Klaus Ernst, nannte die Zahl der Anträge eine "Bankrotterklärung der Sozialdemokratie". Die SPD solle endlich ihre parlamentarische Mehrheit für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns nutzen. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer forderte die Einrichtung einer Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild. Das Gremium solle ein Mindestlohnniveau bestimmen, "unter das niemand fallen darf".
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte die Regierung auf, ihre Pläne zur Festsetzung gesetzlicher Mindestlöhne aufzugeben. Dem stimmt auch Patrick Adenauer, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, zu. Sollte in Zukunft der Staat über Löhne entscheiden, sei dies "ein Eingriff in die Freiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern" und ein "staatliches Lohndiktat".
IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel kritisierte, dass sich Arbeitgeberverbände großer Branchen geweigert hätten, die Aufnahme zu beantragen. "Sich jetzt über mangelndes Interesse zu mokieren ist zynisch", sagte er.
Quelle: ntv.de