Politik

"Hinterhältiger Dolchstoß" Simonis gibt auf

Heide Simonis gibt auf. Sie werde nicht zur Wiederwahl als schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin antreten, kündigte Simonis vor der SPD-Landtagsfraktion am Freitag an. Die SPD-Politikerin zog damit die Konsequenz aus ihrer gescheiterten Wiederwahl.

"Ich persönlich habe noch gestern Nacht für mich Konsequenzen gezogen", sagte sie nach einer Mitteilung der Landesregierung: "Gegen offene Messer zu kämpfen ist nicht leicht, aber in der Politik manchmal notwendig. Gegen einen hinterhältigen Dolchstoß jedoch gibt es keine Abwehrmöglichkeiten."

Simonis hatte im Landtag in vier Wahlgängen keine Mehrheit bekommen, weil ihr aus dem Lager von SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) eine Stimme fehlte. Simonis blieb aber mit ihrer rot-grünen Regierung geschäftsführend im Amt.

Die 61-Jährige hatte sich Bedenkzeit erbeten. Sie wollte ursprünglich eine vom SSW unterstützte rot-grüne Minderheitsregierung bilden, nachdem es bei der Landtagswahl am 20. Februar für eine Neuauflage von Rot-Grün allein nicht gereicht hatte. Eine große Koalition hatte die seit 1993 amtierende Simonis immer wieder abgelehnt. Am Eindrucksvollsten vielleicht am tag nach der Wahl in der Talkshow "Beckmann". Auf die Frage warum sie keine große Koalition wolle, antwortete Simonis: „Ja, und wo bin ich dann? Soviel Opfer dürfen Sie von mir nicht verlangen, dass ich für Peter Harry jetzt zurücktrete!“

Im Gegensatz dazu setzte sich CDU-Fraktionschef Peter Harry Carstensen vehement für eine Regierung aus CDU und SPD ein. Er bekam bei der Ministerpräsidentenwahl alle 34 Stimmen von CDU und FDP und damit eben so viele Stimmen wie Simonis.

Leiser Abschied in Staatskanzlei

Einen Tag nach dem peinlichen Wahl-Desaster hatten sich die Hinweise auf einen bevorstehenden Rücktritt von Simonis immer mehr verdichtet. Aus der Staatskanzlei sickerte durch, dass sie sich von den Mitarbeitern verabschiedet habe. Augenzeugen berichteten von weinenden Mitarbeitern und enttäuschten Gesichtern.

Bundes-SPD akzeptiert "neue Gegebenheiten"

Die Spitze der Bundes-SPD tendiert zu einer großen Koalition in Schleswig-Holstein. Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering forderte eine rasche Entscheidung bei der Regierungsbildung in Kiel. Man müsse mit den neuen "Gegebenheiten " für eine regierungsfähige Mehrheit schnell fertig werden, sagte er nach Beratungen der SPD-Fraktion in Berlin.

Bundeskanzler Gerhard Schröder rief die SPD-Abgeordneten in der Sitzung auf, wegen der Vorgänge in Kiel den Kopf nicht hängen zu lassen. Es habe die SPD immer ausgezeichnet, dass sie wieder aufgestanden sei, "wenn wir am Boden sind", sagte er laut Teilnehmerangaben. Er sei weiterhin traurig darüber, dass einer "großartigen Frau" wie Simonis "das Messer in den Rücken gerammt worden ist".

SSW geht von Bord

Der SSW hat das Modell einer von ihm unterstützten rot-grünen Minderheitsregierung für erledigt erklärt. "Dieses gemeinsame Projekt ist jetzt durch einen feigen Heckenschützen zu Fall gebracht worden", hieß es am Freitag in einer Erklärung der Landtagsabgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Harms sowie der Landesvorsitzenden Gerda Eichhorn. Simonis sei eine verlässliche Partnerin gewesen, die einer Minderheitsregierung Tatkraft und Stabilität verliehen hätte.

Wer ist der Maulwurf?

Simonis hatte ein beispielloses Abstimmungsdesaster erlitten und wie CDU-Fraktionschef Peter Harry Carstensen in vier Wahlgängen eine Mehrheit verfehlt. Ursprünglich wollte Simonis eine vom SSW unterstützte rot-grüne Koalition bilden. Die dänisch orientierte Regionalpartei reagierte ebenso wie die Grünen wütend auf den "Abweichler", der in den Reihen der SPD vermutet wird.

Das Misstrauen in der Landtagsfraktion wird nach Überzeugung des SPD-Landeschefs Claus Möller bleiben. "Der Schaden für die SPD ist groß", sagte er auf NDR Info. Verdächtigungen über den Abweichler gebe es viele, aber natürlich keine öffentliche Diskussion. SPD-Fraktionschef Hay sagte, es gebe noch keine Anhaltspunkte, wer der "Abweichler" war.

Der Kieler Finanzminister Ralf Stegner (SPD) hat inzwischen in einem offenen Brief dem noch unbekannten Abweichler "schäbigen und charakterlosen Verrat" vorgeworfen. Die oder der Betroffene richte nicht nur schweren politischen und persönlichen Schaden an, sondern habe eine Verantwortung auf sich geladen, die kaum zu ertragen sein werde. Das Abstimmungsverhalten habe nichts mit dem freien Mandat oder der angeblichen Unvernunft einer vom SSW tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung zu tun. Stegner galt als potenzieller Nachfolger von Simonis im Laufe der kommenden Legislaturperiode.

Beratungen in Kiel

Die Nord-SPD will nun mit allen Parteien über eine neue Regierung reden. Nach Angaben von Parteichef Claus Möller wäre eine andere Koalition als das Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) politisch inhaltlich wesentlich schwieriger.

Schon die Sondierungsgespräche nach der Landtagswahl am 20. Februar hätten gezeigt, dass es in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie in den Bereichen Energie und Bildung sehr große Unterschiede zur CDU gebe, sagte Möller im DeutschlandRadio Kultur. Er wolle angesichts der im Mai anstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen die Gespräche zügig führen. "Ich gehe davon aus, dass wir in der April-Sitzung (des Landtages) endgültig wissen, was Sache ist", sagte Möller. Auf jeden Fall werde aber seine Partei an einer künftigen Regierung in Kiel beteiligt sein.

Carstensen erklärte, er wolle mit anderen Parteien reden, als erstes mit der SPD. Nur Gespräche mit den Grünen werde es nicht geben. Neuwahlen lehnte er ebenso ab. Die Politik habe das Ergebnis der Landtagswahlen zu respektieren. Carstensen erneuerte sein Angebot zur Bildung einer großen Koalition mit der SPD. Darin wolle er Ministerpräsident werden. Die CDU hatte die Wahl vor einem Monat gewonnen, für eine Koalition mit der FDP fehlte aber ein Mandat.

Keine Ampel in Kiel

Der Kieler Landtag hat 69 Sitze. Rechnerisch ist außer der großen Koalition auch ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP möglich, das aber als unwahrscheinlich gilt. SPD-Chef Möller hatte am Donnerstag auch Gespräche über eine Ampel ins Kalkül gezogen. Der Sprecher der Kieler FDP, Christian Albrecht, bekräftigte: "Wir wollen eine stabile Regierungsmehrheit in Schleswig-Holstein, das ist nach der Lage der Dinge eine große Koalition. " Die Liberalen seien zurzeit nicht gefragt.

Kein Rückenwind für NRW

SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter sagte mit Blick auf die Auswirkungen der Kieler Vorgänge auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen: "Rückenwind war das jedenfalls nicht, was da gekommen ist aus Schleswig-Holstein, für die Freunde in Nordrhein-Westfalen." Der Wahl dort wird eine Schlüsselrolle auch für den Bund zugemessen.

NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) sprach sich deutlich für eine große Koalition in Kiel aus. Im ZDF forderte eine Entscheidung bis Ende der kommenden Woche: "Sie können sich vorstellen, ich habe ein Interesse daran, dass sich das schnell klärt in Kiel, dass das nicht über Ostern hinweg eine offene Frage bleibt ", sagte er mit Blick auf die Auswirkungen der Affäre auf seinen Wahlkampf.

Quelle: ntv.de

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