"Rohe Bürgerlichkeit" Soziales Klima wird eisiger
03.12.2010, 17:20 Uhr"Klassenkampf von oben": In Deutschland gibt es einen spürbaren Trend zur Abwertung sozial Schwacher. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der Universität Bielefeld in einer Langzeitstudie. Es zeichne sich ein Rückzug der höheren Einkommensgruppen vom sozialen Zusammenhalt der Solidargemeinschaft ab.

(Foto: dpa)
Einer Studie zufolge ist in Deutschland eine "deutliche Vereisung des sozialen Klimas" zu beobachten. Vor allem in höheren Einkommensgruppen gibt es eine Zunahme "abwertender, menschenfeindlicher Einstellungen" gegenüber sozial schwachen Gruppen und Minderheiten, wie aus der in Berlin veröffentlichten Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld hervorgeht. Fremdenfeindlichkeit und vor allem Islamfeindlichkeit nehmen bei den Besserverdienenden danach ebenso zu wie die negativen Einstellungen gegenüber Langzeitarbeitlosen, Obdachlosen oder Homosexuellen.
Die Wissenschaftler um Studienleiter Wilhelm Heitmeyer sprachen von einer "rohen Bürgerlichkeit" und einem "Klassenkampf von oben". Es zeichne sich ein Rückzug der höheren Einkommensgruppen vom sozialen Zusammenhalt der Solidargemeinschaft ab. Sie begründen diese Tendenzen vor allem mit den Folgen der Wirtschaftskrise. Dabei gehe es den Besserverdienenden vor allem um die Sicherung eigener sozialer Privilegien.
Arme solidarisieren sich mehr
Das Gefühl, von der Krise bedroht zu sein, befördert laut Studie generell die Entsolidarisierung in der Gesellschaft gegenüber Einwanderern. Während sich aber Arme stärker mit Hilfebedürftigen wie Arbeitslosen solidarisieren, selbst wenn sie sich von der Krise bedroht und benachteiligt fühlen, sei dies bei Menschen mit mehr als 2500 Euro Nettoeinkommen im Monat weniger der Fall.
Die Langzeitstudie "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Deutschland" untersucht seit 2002 Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen gegenüber unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Für den nun vorliegenden 9. Report, der sich mit den Folgen der Wirtschaftskrise befasste, wurden im Mai und Juni dieses Jahres 2000 Personen befragt.
Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Bundestagsfraktion, forderte angesichts der Studienergebnisse Konsequenzen. Politik und Wirtschaft müssten dem Auseinanderdriften der Gesellschaft dringend entgegen wirken. Wer wie FDP-Chef Guido Westerwelle von "anstrengungslosem Wohlstand" der Hartz-IV-Empfänger phantasiere, "fördert diesen fatalen Trend zur Abwertung sozial Schwacher", kritisierte Lazar.
Quelle: ntv.de, AFP