Vor Wahl wie nach Wahl? Spannung in Österreich
27.09.2008, 15:20 UhrBei der vorgezogenen Parlamentswahl in Österreich am Sonntag zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Sozialdemokraten und der Konservativen ab. Die letzten Umfragen vor dem Urnengang sagten der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) von Werner Faymann einen Stimmenanteil zwischen 26 und 29 Prozent voraus, wie die "Salzburger Nachrichten" berichteten. Die Volkspartei (ÖVP) des bisherigen Vizekanzlers und Finanzministers Wilhelm Molterer kann demnach mit 25 bis 27 Prozent der Stimmen rechnen. Der Stimmenanteil der beiden größten Parteien Österreichs würde damit insgesamt so niedrig liegen wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn das Bündnis aus SPÖ und ÖVP Anfang Juli nach nur anderthalb Jahren zerbrochen war, zeichnet sich damit die neuerliche Bildung einer Großen Koalition ab.
Drittstärkste Kraft wird den Umfragen zufolge die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit 17 bis 19 Prozent. Die Vier-Prozent-Hürde überspringen den Umfragen zufolge problemlos auch zwei weitere Parteien: Den Grünen wurde ein Stimmenanteil von elf oder zwölf Prozent vorausgesagt (bisher 11 Prozent). Um eine "kleine Koalition mit Rot oder Schwarz zu bilden, müssten die Grünen aber einen größeren Stimmenzuwachs verzeichnen, mit dem sie jedoch kaum rechnen können. In dieser schwierigen Lage hielten sich die Spitzenkandidaten von SPÖ und ÖVP am Vorabend der Wahl über ihre Koalitionsabsichten bedeckt.
Das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) des umstrittenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider, das sich 2005 von der FPÖ abspaltete, kann mit rund acht Prozent rechnen. Diese beiden rechten Parteien FPÖ und BZÖ dürften also die eigentlichen Sieger der Wahl werden, die nach dem Auseinanderbrechen der rot-schwarzen großen Koalition nötig wurde. Sie könnten zusammen ebenso viele Stimmen gewinnen wie SPÖ oder ÖVP. Beide großen Parteien haben allerdings Koalitionen mit der politischen Rechten ausgeschlossen. Sowohl Molterer als auch Faymann haben immer wieder bekräftigt, dass sie mit den offen Ausländer- und EU-feindlichen Parteien nicht regieren wollen.
Keine Koalition la Schüssel
Dass es nach dem kommenden Sonntag zu einer solchen, auch im Ausland vermutlich höchst umstrittenen Koalition kommen könnte, bezweifelt auch der Innsbrucker Politologe Fritz Plasser. "In der SPÖ würde es in dieser Frage zu einer Zerreißprobe kommen", warnte er. Zwar gebe es in der ÖVP "Leute, die so was anstreben", letztlich aber halte er eine Koalition der Konservativen mit denen beiden Rechtsparteien, wie sie ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 gebildet hatte, "für kaum vorstellbar".
Wer wird Kanzler?
Bliebe also wieder nur eine Große Koalition, die in Österreich lediglich noch etwa 15 Prozent der Wähler wollen. Nur welche Partei sie anführt - und damit Österreichs Bundeskanzler wird - das werden die Wähler am Sonntag entscheiden. Ginge es nach der Beliebtheit, dann dürfte der "neue Mann" der Sozialdemokraten das Rennen machen. Der 48 Jahre alte Faymann, der noch vor drei Monaten vielen Österreichern völlig unbekannt war, wäre für die meisten Wähler in der Alpenrepublik mit deutlichem Abstand "erste Wahl" - wenn sie den Kanzler wählen dürften. Zu farblos ist Molterer im Wahlkampf geblieben. Doch in Österreich wird das Parlament nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, und da liegen Volkspartei und Sozialdemokraten kurz vor dem Ziel gleichauf.
Wählen ab 16
Insgesamt bewerben sich zehn Parteien um die 183 Abgeordnetensitze im Nationalrat. Von den bisher nicht im Parlament vertretenen Parteien hat nur das Liberale Forum eine als gering eingeschätzte Chance, die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen. Die erste Hochrechnung am Sonntag wird bereits kurz nach der Schließung der Wahllokale um 17.00 Uhr erwartet. Der Urnengang bringt zwei Neuheiten mit sich: Zum einen wurde das Alter für Wahlberechtigte auf 16 Jahre herabgesetzt, so dass insgesamt 6,3 Millionen Österreicher wählen können. Außerdem wird die nächste Legislaturperiode fünf statt bisher vier Jahre dauern.
Bei der Nationalratswahl 2006 hatte die SPÖ trotz leichter Verluste mit 35,34 Prozent überraschend die Mehrheit der Mandate (68) gewonnen. Die bis dahin regierende ÖVP belegte nach massiven Verlusten mit 34,33 Prozent (66 Sitze) nur den zweiten Platz. Beide Parteien waren jedoch zu schwach, um mit den Grünen oder der rechten Freiheitlichen Partei (je rund 11 Prozent) eine Koalition zu bilden. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer bildete daraufhin nach zähen Verhandlungen eine große Koalition, die jedoch von Anfang an durch massive Streitigkeiten gelähmt war. Der ÖVP-Vorsitzende und Finanzminister Wilhelm Molterer kündigte schließlich im Juli die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten auf.
Heftiger Wahlkampf
In dem ungewöhnlich kurzen, aber umso heftiger geführten Wahlkampf gelang es der SPÖ unter ihrem neuen Parteichef Faymann jedoch, an den bis dahin in allen Umfragen führenden "Schwarzen" vorbeizuziehen. Faymann liegt vor dem Wahltag auch als Kanzlerkandidat deutlich vor dem ÖVP-Spitzenkandidaten Molterer. Im Wahlkampf stellten alle Parteien sozialen Themen in den Vordergrund. Die drastische Verteuerung der Lebenshaltungskosten, die Sicherung der Renten und das Gesundheitssystem standen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Auf Antrag der Sozialdemokraten verabschiedete der Nationalrat in letzter Minute am frühen Donnerstagmorgen mehrere Reformanträge, die über höhere Sozialleistungen rund 1,6 Milliarden in die Taschen der rund acht Millionen Österreicher bringen sollen.
Ausschreitungen bei FPÖ-Kundgebung
Am Freitag war es bei einer Kundgebung der FPÖ zu Ausschreitungen gekommen. Bei der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung der Freiheitlichen Partei Österreichs im Wiener Stadtteil Favoriten gerieten linke Demonstranten und FPÖ-Anhänger aneinander. Mehrere Menschen seien festgenommen worden, berichtete die Nachrichtenagentur APA.
Während der Rede von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache versuchten Demonstranten, die Bühne zu stürmen. Sie wurden von der Polizei zurückgedrängt. Nach dem Ende der Rede hätten beide Seiten mit Gegenständen geworfen. Passanten hätten teilweise in Sicherheit gebracht werden müssen. Die Polizei habe mehrmals einschreiten müssen, habe die Situation aber relativ schnell in den Griff bekommen. 300 Gegendemonstranten und 3500 FPÖ-Sympathisanten, darunter auch Rechtsextreme, seien anwesend gewesen. 150 Polizisten waren im Einsatz.
Quelle: ntv.de