SPD will echten Neuanfang Status als Volkspartei in Gefahr
16.01.2010, 14:36 Uhr
Generalsekretärin Nahles geht nicht schonend mit der Vergangenheit der Partei um.
(Foto: AP)
Die SPD will sich runderneuern. In zwölf Thesen schlagen Parteichef und Generalsekretärin eine grundlegende Reform von Programm und Organisation vor. Selbstkritisch sprechen sie von einem "dramatischen Vertrauensverlust" in die Partei.
Die SPD sieht nach ihrer dramatischen Niederlage bei der Bundestagswahl ihren "Status als Volkspartei gefährdet". In "12 Thesen zur Erneuerung der SPD" wollen Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles dem 45-köpfigen Parteivorstand auf einer Klausur von diesem Sonntag an eine grundlegende Reform von Programm und Organisation vorschlagen. In bundesweiten Gesprächsforen und "Zukunftswerkstätten" soll sich die SPD verstärkt auch für Nichtmitglieder öffnen.

Parteichef Gabriel will mit der SPD zurück zum Gemeinwohl.
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Äußerst selbstkritisch setzt sich das SPD-Thesenpapier mit der eigenen Regierungspolitik in den vergangenen elf Jahren auseinander. Auch in Deutschland seien im Zuge eines weltweiten neoliberalen Trends die Vermögens- und Einkommensunterschiede zwischen Reichen und Armen größer geworden, die Chancenungerechtigkeit in der Bildung habe sich verschärft, und sozialer Aufstieg sei schwerer geworden. Dabei räumt die neue SPD-Führung ein: "Auch unsere Politik hat diesen Trend nicht grundlegend aufhalten können."
Im Mittelpunkt einer neuen SPD-Politik müsse deshalb wieder die Stärkung des Zusammenhalts in der Gesellschaft stehen. "Für alle Menschen muss ein sicheres Leben und Anschluss und Aufstieg durch Leistung und Anstrengung möglich sein." An diesem Ziel hätten sich alle SPD-Reformvorschläge und die programmatische Erneuerung der Partei zu orientieren.
Erosionsprozesses des Vertrauens
Für den "dramatischer Vertrauensverlust" der SPD bei der Wahl sehen Gabriel wie Nahles "keine einzelne Ursache". Er sei vielmehr Ergebnis eines "kontinuierlichen Erosionsprozesses des Vertrauens und des Zutrauens in die Politik der SPD". Die Abwanderung der Wähler sei "milieuübergreifend und in alle Richtungen" erfolgt. "Es fehlte der Partei ein klares Profil, emotionale Anziehungs- wie Überzeugungskraft, Kompetenz und Vertrauen in wichtigen Politikfeldern."
Schwarz-Gelb steht für Abkehr vom Gemeinwohl
Der schwarz-gelben Koalition wirft die SPD vor, mit ihrer Steuer- und Klientelpolitik dem Freiheitsbegriff der Verfassung den inneren Gehalt zu rauben. "Freiheit wird reduziert auf die Abwesenheit des Staates. Hinter der "Befreiung von staatlichen Steuern" und der politischen Verantwortung des Staates verbirgt sich in Wahrheit die Abkehr vom Gemeinwohl." Und weiter: "Aus der Freiheit für alle wird die Freiheit weniger, die sich all jenes privat leisten können, was ein seiner Handlungsmöglichkeiten beraubter Staat allen nicht mehr zur Verfügung stellen kann: Bildung, soziale Sicherheit, kulturelle Vielfalt und innere Sicherheit."
"Die SPD ist in der Opposition. Wir sind keine Regierungspartei im Wartestand. Diese neue Rolle müssen Partei und Bundestagsfraktion annehmen," heißt es in dem Papier. Kritik an der "Rechts-Koalition" allein werde nicht ausreichen. Die SPD müsse auf allen zentralen Feldern der Politik konkrete Alternativen vorlegen. Dies gelte insbesondere für die Themen wirtschaftliches Wachstum und Umwelt, Bildung und Integration, Arbeit und soziale Sicherheit, Familien- und Generationengerechtigkeit.
Seit 1990 rund 40 Prozent der Mitglieder verloren
In einem Arbeitsprogramm wird für dieses Jahr die Einrichtung von mehreren "Zukunftswerkstätten" angekündigt, in denen die SPD auch den Dialog mit Nichtmitgliedern und gesellschaftlichen Organisationen führen will. Eine "Reformwerkstatt" soll sich mit der Erneuerung der Parteistruktur befassen. Kritisch wird angeführt, dass die SPD seit 1990 rund 40 Prozent ihrer Mitgliedschaft verloren habe. Aufgrund der Altersstruktur werde die Partei in den kommenden fünf Jahren weitere Mitglieder verlieren. Die Folgen seien ein Verlust von Beiträgen und ein starker Personalabbau in der Fläche. Von den 10 000 Ortsvereinen hätten über die Hälfte weniger als 50 Mitglieder.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa