Politik

Gaspreise künstlich deckeln? "Das wäre der sichere Weg in die ökonomische Katastrophe"

Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin. Wegen Wartungsarbeiten kommt dort aktuell kein Gas an - ob Russland die Pipeline danach wieder öffnet, ist unklar.

Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin. Wegen Wartungsarbeiten kommt dort aktuell kein Gas an - ob Russland die Pipeline danach wieder öffnet, ist unklar.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zusammen mit Kollegen hat der Ökonom Rüdiger Bachmann im März ein Gasembargo gegen Russland vorgeschlagen. Zu dem Konzept (pdf) gehörten auch Maßnahmen, um mit der aus dem Importstopp folgenden Gasknappheit umzugehen. Ein Gasembargo hat die Bundesregierung damals abgelehnt - nun bereitet sie sich darauf vor, dass Russland seinerseits die Gaslieferungen weiter drosselt oder einstellt. "Spätestens im März hätte man damit anfangen müssen", sagt Bachmann im Interview mit ntv.de. "Das ist objektiv nicht passiert."

Von einer künstlichen Deckelung der Gaspreise hält Bachmann nichts. "Wenn die Verbraucher entlastet werden, muss das unabhängig von den steigenden Energiekosten geschehen - das ist ökonomisches Grundwissen."

ntv.de: Bundeswirtschaftsminister Habeck hat im Deutschlandfunk neulich an die Debatte um ein Gasembargo erinnert und erklärt, er habe damals schon gesagt, dass er den ökonomischen Berechnungen nicht glaubt. "Es gab eine Reihe von namhaften Ökonomen und Ökonominnen, die gesagt haben: Ach, so ein bisschen weniger Wachstum, das macht nichts." Da waren Sie wohl mitgemeint. Lagen Sie falsch?

Rüdiger Bachmann: Niemand hat gesagt, dass es nur "ein bisschen weniger Wachstum" geben würde. Wir haben immer gesagt, dass ein Gasembargo eine Rezession nach sich ziehen würde, maximal in der Größenordnung der Corona-Rezession, und das war ein massiver Einbruch. Wir haben aber zugleich darauf hingewiesen, dass diese Rezession mit den richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen abgefedert werden könnte - so war es in der Corona-Krise ja auch. Der Wirtschaftsminister war aber offenbar nicht bereit oder nicht in der Lage, die Maßnahmen zu ergreifen, die die Große Koalition in der Corona-Krise ergriffen hat. Das spricht ja auch für sich.

Rüdiger Bachmann lehrt Wirtschaftswissenschaften an der University of Notre Dame in den USA.

Rüdiger Bachmann lehrt Wirtschaftswissenschaften an der University of Notre Dame in den USA.

(Foto: Matt Cashore/University of Notre Dame)

Es scheint aber noch immer einen Groll in der Bundesregierung wegen der Embargo-Debatte zu geben. Bundeskanzler Scholz sagte kürzlich bei Maybrit Illner, er sei "ein bisschen überrascht über all diejenigen, die noch vor ein paar Wochen und Monaten in vielen Talkshows" den sofortigen Importstopp von Gas gefordert hatten, und die "sich jetzt darüber beklagen, dass es Konsequenzen geben könnte, wenn es so allmählich weniger wird". Gehören Sie zu den Leuten, die sich beklagen, wenn Putin nach der Wartung von Nord Stream 1 den Hahn nicht wieder aufdreht?

Ich möchte die Frage anders anpacken. Habeck hat den Ökonomen, die ein Gasembargo vorgeschlagen hatten, vorgeworfen, sie würden jetzt schweigen. Mich überrascht dieses Nachtreten. Gerade von Habeck, dessen großer Bewunderer ich eigentlich bin, weil er so wunderbar Politik erklären kann und dabei Zweifel zugibt. Uns gegenüber verfällt Habeck dann aber doch wieder in so eine politische Logik, als seien wir die Opposition, die es zu bekämpfen gälte. Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht; ich hätte mir eine ruhige Kommunikation mit ihm gewünscht. Uns Ökonomen wurde immer gesagt, dass wir das Primat der Politik zu respektieren hätten - und nichts anderes tun wir. Die Bundesregierung hat sich gegen ein Gasembargo entschieden, auch gegen andere Maßnahmen wie Einfuhrzölle auf russisches Gas. Nicht einmal die griechischen und zypriotischen Reeder wurden in die Sanktionen eingebaut, die dürfen weiter russisches Öl transportieren. Sollen wir als Wissenschaftler ständig gegen dieselbe Wand rennen? In einer Demokratie entscheidet die Politik, und das ist auch gut so. Die Politik muss sich dann allerdings vor den Wählern und vor der Geschichte verantworten. Es kann sein, dass es an der Wahlurne keine Konsequenzen geben wird. Aber ich bin mir sicher, dass diese Entscheidungen in den Geschichtsbüchern nicht gut wegkommen werden. Und ich glaube, dass wissen Scholz und Habeck auch.

Aktuell geht es nicht mehr um ein Gasembargo, sondern um die notwendigen Maßnahmen, um sich auf eine Gasknappheit vorzubereiten. Das ist ein Punkt aus unserer Studie, der damals leider völlig untergegangen ist. Vielleicht war das auch unser Fehler. Das wissenschaftliche Ego hat zumindest mich da zu sehr um die Zahlen argumentieren lassen. Wir hätten damals sagen sollen: Ok, wir können uns nicht darauf einigen, welche genauen quantitativen Folgen ein Gasembargo hätte. Aber können wir uns wenigstens darauf einigen, dass wir schnell Maßnahmen ergreifen, um uns auf eine Gasknappheit vorzubereiten? Denn es war immer klar, dass die auch ohne Embargo kommen kann.

Der Kanzler sagt, die Bundesregierung habe schon im Dezember angefangen, "diese Fragen zu durchdenken", deshalb sei Deutschland "sehr, sehr weit mit den Vorbereitungsmaßnahmen".

Ich glaube ihm sogar, dass die Bundesregierung schon lange darüber nachdenkt. Aber dann wäre es gut gewesen, wenn wir schon in der vergangenen Heizperiode angefangen hätten, Gas einzusparen. Spätestens im März hätte man damit anfangen müssen. Das ist objektiv nicht passiert.

Wo sehen Sie die größten Versäumnisse?

Wir haben viel zu lange Gas verstromt, wir haben Zeit verloren bei der Wärmedämmung, das jetzt geplante Auktionsmodell hätte längst kommen müssen. Ein Gasgeld nach dem Vorbild des Klimageldes oder andere Maßnahmen, die den Bürgern die marginale Kilowattstunde Gas verteuert, dann aber sozial abfedert, sind dringend nötig.

Ist es aus Ihrer Sicht richtig, dass Deutschland sich dafür eingesetzt hat, dass die reparierte Gas-Turbine aus Kanada zurück nach Russland kommt?

Das ist keine ökonomische Frage. Politisch scheint mir das ein weiteres Hinknien vor Putin zu sein. Es ist letztlich ein Unterlaufen der eigenen Sanktionen, auch wenn der nun gefundene Weg rechtlich in Ordnung sein mag. Aber das ist eine politische Entscheidung. Die zu bewerten, liegt nicht in meiner ökonomischen Kompetenz.

Was halten Sie davon, dass der Gasversorger Uniper Staatshilfen beantragt hat?

Das ist folgerichtig. Das haben wir übrigens auch gefordert: Eine der Maßnahmen, die ein Gasembargo hätte begleiten müssen, wäre ein staatlicher Schutzschirm für die betroffene Industrie gewesen. Das gilt natürlich ebenso in Vorbereitung einer Gasknappheit. Die Frage ist nur, wie man diesen Schutzschirm gestaltet. Enthält er Sparanreize oder nicht? Der Ökonom Jens Suedekum hat darauf aufmerksam gemacht, dass das eine ganz entscheidende Frage ist. Wenn der Schutzschirm es den Unternehmen ermöglicht, die Verbraucher lange vor Preiserhöhungen zu verschonen, dann erspart sich die Politik zwar Ärger, aber sie geht auch ein hohes Risiko ein: Was passiert, wenn die Appelle nicht fruchten und nicht genug Gas gespart wird?

Prinzipiell ist gegen einen Bailout nichts einzuwenden - das ist eine unerfreuliche, aber bei systemrelevanten Unternehmen manchmal notwendige Maßnahme. Nur sollte die finanzielle Hilfe an Bedingungen geknüpft werden. Denn Uniper ist ja nicht unverschuldet in diese Situation geraten. Die Fehlentscheidungen des Unternehmens sollten für Manager, aber auch Aktionäre und Gläubiger nicht folgenlos bleiben.

Aus Ihrer Sicht sollten die Verbraucher nicht von steigenden Preisen verschont bleiben?

Nein, im Gegenteil. Das wäre der sichere Weg in die ökonomische Katastrophe. Wenn die Verbraucher entlastet werden, muss das unabhängig von den steigenden Energiekosten geschehen - das ist ökonomisches Grundwissen. Preise dürfen nicht subventioniert werden, sonst besteht kein Anreiz, den Energieverbrauch zu senken. Bei unteren und mittleren Einkommen wird man eine Entlastung vornehmen müssen. Aber wie genau die aussieht, ist erneut eine politische Entscheidung. Vorstellbar sind verschiedene Modelle. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung etwa hat vorgeschlagen, dass ein Grundbedarf an Gas subventioniert wird, aber für alles, was darüber hinausgeht, muss der Marktpreis bezahlt werden.

Was wir auf jeden Fall brauchen, ist ein Anreiz, Gas und auch Strom einzusparen. Wenn wir das nicht tun, kann es passieren, dass es zu Rationierungen kommt.

Ein zentraler Grundsatz der Bundesregierung bei den Sanktionen war, dass sie Deutschland nicht stärker schaden dürfen als Russland. Ist das gegeben?

Dieser Satz ist ein Wiesel-Kriterium, das man beliebig auslegen kann, um politisches Handeln zu rechtfertigen. Wissenschaftlich ist das wertlos. Klar ist, dass es aktuell in Deutschland noch keine Rezession gibt, in Russland dagegen schon, und zwar massiv. Und selbst wenn wir einen Einbruch von drei oder vier Prozent hätten, würde es Deutschland noch immer besser gehen als Russland.

Der Linken-Politiker Klaus Ernst sagt, Länder wie Katar seien "auch keine Musterknaben der Demokratie", und wenn man sich aussuchen müsse, "von wem der Bösen wir unsere Energie holen", dann sei er "für den billigsten Weg, und das ist Russland". Können Sie sich vorstellen, dass so eine Position wieder mehrheitsfähig wird in Deutschland?

Ja, leider. Aber natürlich ist das eine unsägliche Position. Erstens geht es nicht darum, nur mit lupenreinen Demokratien Geschäfte zu machen, sondern darum, sogenannte Klumpenrisiken zu vermeiden. Anders gesagt: Es ist idiotisch, nur auf einen der schlechten Anbieter zu setzen. Zweitens bringt Katar nicht die europäische Sicherheitsarchitektur in Gefahr. Klaus Ernst versteht nicht, was hier gerade passiert: Russland legt die Axt an die europäische Friedensordnung, die KSZE, es bedroht mit seinem Imperialismus nicht nur die Ukraine, sondern auch ganz konkret die westeuropäischen Demokratien. Dieses Gefährdungspotenzial haben Staaten wie Katar und Saudi-Arabien nicht.

Mit Rüdiger Bachmann sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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