Politik

Beck schmeißt hin Steinmeier gegen Merkel

Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird die SPD von einem chaotisch organisierten Führungswechsel erschüttert. Nach dem überraschenden Rücktritt von Parteichef Kurt Beck soll der frühere Vorsitzende Franz Müntefering an die Parteispitze zurückkehren. Außenminister und SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier wird 2009 wie erwartet als Kanzlerkandidat Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) herausfordern. Bis zur Wahl Münteferings auf einem Sonderparteitag wird Steinmeier auch die SPD führen.

Beck begründete seinen Rückzug mit internen Intrigen. Die Union forderte von der SPD eine stärkere Abgrenzung von den Linken, hielt aber an der großen Koalition fest.

Keine weiteren Themen

Steinmeier teilte die neue Aufgabenverteilung bei der Klausur der SPD-Spitze in Werder bei Potsdam mit. Beck hatte das noch laufende Treffen unmittelbar nach seinem - nur im Kreise der engsten Führung erklärten - Rücktritt wortlos verlassen. Die inhaltliche Diskussion über das vorbereitete Eckpunktepapier für die Bundestagswahl spielte keine Rolle mehr.

Niemand soll zurückbleiben

Steinmeier sagte nach der Klausur, für Beck habe nach dessen eigenen Angaben seit Monaten festgestanden, dass er, Steinmeier, die Kanzlerkandidatur übernehmen solle. Beide seien sich einig gewesen. Er wolle dafür kämpfen, dass in 385 Tagen wieder ein Sozialdemokrat regiere. "Wir sind besser gerüstet als wir glauben." Die SPD wolle das Land neu gestalten. "Wir wollen, dass niemand am Rand der Gesellschaft zurückbleibt."

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte, die SPD müsse nach vorne schauen. Die Partei werde für wirtschaftlichen Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Vernunft gebraucht.

Beck spricht von Kampagne

Beck kritisierte in einer schriftlichen Erklärung, der vereinbarte Ablauf bei der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur sei durch "gezielte Falschinformationen" in Medien durchkreuzt worden. "Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen." Deshalb sei es ihm nicht mehr möglich, das Amt des Parteichefs mit der nötigen Autorität auszuüben. Seinen Nachfolgern wünschte er Glück. Heil verneinte im ZDF aber, dass es einen "Putsch gegen Beck" gegeben habe.

Konflikt offen erkennbar

Bis zuletzt soll Beck versucht haben, Müntefering an der Spitze zu verhindern: Beck habe der engsten Führung Arbeitsminister Olaf Scholz als Nachfolger vorgeschlagen, berichtete die "Frankfurter Rundschau" unter Berufung auf Teilnehmer. Dies sei aber mehrheitlich abgelehnt worden. Müntefering war von Steinmeier als Vorsitzender vorgeschlagen worden. Laut "Handelsblatt" stimmten im Präsidium die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti und ihr schleswig-holsteinischer Kollege Ralf Stegner gegen Ex-Vizekanzler Müntefering, der bei der Klausur nicht anwesend war. Stegner versicherte Müntefering im "Flensburger Tageblatt" aber seine Loyalität.

Der 68 Jahre alte Müntefering hatte die Partei bereits von 2004 bis 2005 geführt. Er wäre bei einer erneuten Wahl nach Steinmeiers Überbrückungsphase der fünfte Vorsitzende innerhalb von fünf Jahren.

SPD landet Coup

Die SPD hat nach Ansicht des Politologen Oskar Niedermayer mit dem neuen Führungsduo einen Coup gelandet. "Es ist eine Zäsur", sagte Niedermayer im Interview mit n-tv online. Die SPD befinde sich in der womöglich größten Krise der letzten Jahrzehnte. Müntefering und Steinmeier könnten nun tatsächlich die Partei aus der Depression befreien. Dabei habe es zu einem SPD-Chef Müntefering "keine Alternative" gegeben. "Müntefering ist der Einzige, der der Partei wieder zu neuer Kraft verhelfen kann. Er wird der Partei klarmachen, dass die Zeit der Nabelschau vorbei ist und es nun darauf ankommt, sich auf den politischen Gegner zu konzentrieren", erklärte der Berliner Parteienforscher.

Auch die Kandidatur von Außenminister Steinmeier sieht Niedermayer positiv. "Eine Kanzlerkandidatur von Frank-Walter Steinmeier bietet der SPD größere Chancen, als dies eine Kandidatur von Beck getan hätte. Aber natürlich ist die Wahl für die SPD keinesfalls gewonnen. Die Aussichten sind etwas besser geworden. Aber wenn wir ehrlich sind: Sie sind immer noch nicht besonders gut."

Beck "hinterlässt Trümmerhaufen"

Die Union reagierte mit Häme auf den Wechsel an der Spitze der SPD. "Die SPD-Vorsitzenden scheitern nicht an sich, sondern an den vollkommen ungelösten Konflikten in inhaltlichen und strategischen Fragen. Die Solidarität ist aus der Partei entflohen und durch Egotrips Einzelner und Illoyalitäten ersetzt worden", sagte der CDU-Bundesvize Christian Wulff der dpa. Beck sei nicht nur während seiner Erkrankung von der Partei im Regen stehen gelassen worden.

Nach Ansicht von CSU-Chef Erwin Huber hinterlässt Beck einen "Trümmerhaufen und eine tief frustrierte Partei". Beck sei an der eigenen Partei gescheitert. Er habe den Linksschwenk und den Schlingerkurs zur Linkspartei zu verantworten, der die SPD zerreiße. Sein Rücktritt sei deshalb nur konsequent. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte bei n-tv, die SPD müsse ihre Positionen klären. Die Auswirkungen auf die große Koalition blieben abzuwarten.

"Es ist schon bemerkenswert, dass die Halbwertszeiten der SPD-Vorsitzenden mittlerweile eher in Monaten als in Jahren zu messen sind", erklärte FDP-Chef Guido Westerwelle. "Steinmeier wird nur mit den Grünen Kanzler", hob Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hervor. Linken-Chef Oskar Lafontaine wertete die Personalentscheidungen der SPD als Niederlage für den linken Flügel der Partei.

Schwere Brocken stemmen

Die SPD startet nun mit einem schwierigen Auftakt in die letzten zwölf Monate vor der Bundestagswahl im September 2009. Zudem muss sie am 28. September die Landtagswahl in Bayern bestehen. In Hessen plant SPD-Chefin Ypsilanti eine Ablösung der geschäftsführend amtierenden CDU-Regierung durch ein von den Linken toleriertes rot-grünes Bündnis. Auch ihr Linkskurs und die daraus resultierenden Angriffe der Union hatten Beck stark in Bedrängnis gebracht.

Steinmeiers Handschrift

Das "Handelsblatt" berichtete, die SPD wolle wieder stärker um die Wähler der politischen Mitte werben. Das sei eine der Kernbotschaften des Strategiepapiers für die Bundestagswahl 2009. Damit trage das Konzept eindeutig die Handschrift Steinmeiers, der bereits im Februar betont hatte, dass SPD nur dann Chancen auf einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2009 haben könne, wenn sie wieder die politische Mitte anspreche - und neben einem sozialpolitischen Programm auch eine Politik für Leistungsträger anbiete.

Quelle: ntv.de

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