Auch bei schweren Verbrechen Straffreiheit für V-Leute möglich
23.05.2013, 20:11 Uhr
Die rechte Szene in Deutschland ist von V-Leuten unterwandert, die faktisch täglich Straftaten begehen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es geht nicht um einen Freibrief, wohl aber um einen notwendigen Spielraum für die Ermittler und Informanten des Verfassungsschutzes: Weil V-Leute vor allem bei einem Einsatz in terroristischen Vereinigungen faktisch immer Straftaten begehen, sollen sie künftig davor geschützt werden, für diese Straftaten büßen zu müssen.
Um Extremismus besser bekämpfen zu können, soll die Justiz die Möglichkeit erhalten, auch schwerere Straftaten von V-Leuten nicht zu verfolgen. Das schlägt eine Bund-Länder-Kommission zur Aufarbeitung der NSU-Morde vor. Die Experten wollen aber nicht von einem Freibrief für V-Leute sprechen, wenn diese Straftaten begehen. "Das kommt nicht in Betracht", heißt es in dem Bericht.
Die Kommission war im Februar 2012 eingesetzt worden, um das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu untersuchen und Empfehlungen für politische Schlussfolgerungen vorlegen.
Der Kommissionsvorsitzende Eckhart Müller sagte bei der Vorstellung des Berichts am Rande der Innenministerkonferenz (IMK), Polizei und Verfassungsschutz hätten bei der Aufklärung der NSU-Morde nicht gut gearbeitet und vor allem nicht gut zusammengearbeitet: "Das bedeutet aber nicht, dass die Sicherheitsstruktur insgesamt versagt hat", betonte Müller. Das Kommissionsmitglied Heino Vahldieck bezeichnete es als das "gravierendste Versagen überhaupt", dass das NSU-Trio viele Jahr unentdeckt morden konnte.
Laut Kommission geht es beim Umgang mit V-Leuten darum, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, damit Staatsanwaltschaften auch die Möglichkeiten haben, Verfahren wegen schwerer Straftaten wie Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung einzustellen.
Müller sagte, auch weiterhin sei der Einsatz von V-Leuten unverzichtbar: "Auch wenn nicht gerne darüber geredet wird: Beim Einsatz von V-Leuten vor allem in terroristischen Vereinigungen ist die Begehung von Straftaten kaum zu vermeiden." Zudem müssten die Beamten des Verfassungsschutzes gegenwärtig immer mit einem Strafverfahren wegen Anstiftung rechnen, wenn V-Leute Straftaten begingen.
Neue Regeln für Sicherheitsbehörden
Die Kommission unterstrich, die Trennung von Verfassungsschutz und Polizeibehörden solle beibehalten werden. Es gebe aber zwischen diesen Behörden auch ein "Trennungsgebot in den Köpfen". So machte die Kommission allein 60 Schnittstellen aus, an denen es bei der Bearbeitung der NSU-Morde "ganz konkret Versäumnisse gegeben hat". Es dürfe nicht sein, dass Polizei und Verfassungsschutz parallel gefährliche Personen beobachteten, ohne voreinander zu wissen.
Die Kommission schlug weiter vor, die Fachaufsicht über Polizei und Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene zu stärken und die Bundesanwaltschaft mit mehr Kompetenzen auszustatten. So sollte der Generalbundesanwalts künftig die Ermittlungen etwa bei ganzen Mordserien auch dann an sich ziehen können, wenn es noch keinen Staatsschutzbezug gibt.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) begrüßte den Bericht: "Wir sind dankbar dafür, dass sie unsere Behörden fair behandelt haben." Es sei jetzt Aufgabe der Politik, bei den Sicherheitsbehörden "Korrekturen vorzunehmen". Auch der IMK-Vorsitzende, der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD), sieht den Reformbedarf bestätigt: "Das ist eine außerordentlich gute Grundlage für unsere Arbeit", sagte Pistorius.
Unter anderem empfiehlt die Kommission in dem 365-seitigen Bericht, den Schutz von Informanten des Verfassungsschutzes zu überarbeiten. Solche V-Leute hatten in der NSU-Affäre eine zwielichtige Rolle gespielt. "Der Quellenschutz ist nicht absolut", heißt es in dem Kommissionsbericht. Der Schutz von Leib und Leben der Quelle, die Arbeitsfähigkeit der Behörden und die berechtigten Belange von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr seien in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Bei der Aufarbeitung der NSU-Morde war mehrfach der Vorwurf aufgekommen, Sicherheitsbehörden hätten dem Schutz von V-Leuten Vorrang vor der Aufklärung gegeben.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP