Betriebe befürchten Chaos Tarifeinheit vor dem Aus
23.06.2010, 12:20 UhrDas Bundesarbeitsgericht hebt den jahrzentelangen Grundsatz "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" auf. Von nun an sollen mehrere Verträge in einem Unternehmen möglich sein. Gewerkschaften und Arbeitgeber befürchten eine massive Zunahme von Streiks und fordern eine gesetzliche Lösung.

Schon jetzt kämpfen verschiedene Gewerkschaften für Ärzte um Löhne und Gehälter.
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Das Bundesarbeitsgericht hat die Tarifeinheit gekippt und lässt damit mehr Konkurrenz unter den Gewerkschaften zu. Mit der Entscheidung der Richter in Erfurt wird der jahrzehntelange Grundsatz "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" aufgegeben. Damit sind künftig in einem Unternehmen mehrere Tarifverträge nebeneinander möglich, aber auch mehr Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
"Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können", heißt es in der Begründung der höchsten Arbeitsrichter. Die Weichen dafür hatte bereits Ende Januar der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts gestellt. Seiner Rechtsauffassung folgte nun auch der Zehnte Senat. Die DGB-Gewerkschaften müssen jetzt mit härterer Konkurrenz durch kleinere Spartenorganisationen rechnen.
In den konkreten Fällen sind ein Arzt in Mannheim und eine Ärztin im badischen Rastatt Mitglied der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB), die Kliniken wandten aber auf alle Beschäftigten den mit Verdi vereinbarten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) an. Der MB hatte diesen Tarif nicht mit unterzeichnet. Die Ärzte verlangten daher Zulagen nach dem früher auch vom MB unterzeichneten Bundesangestelltentarif. Nach der neuen Rechtsprechung stehen ihnen die Zulagen zu, weil der neuere TVöD die alten Regelungen nur für Verdi-, nicht aber für MB-Mitglieder verdrängt.
Beide Seiten nicht begeistert
Arbeitgeber befürchten durch den Kurswechsel zu einer Liberalisierung mehr Streiks und eine wachsende Zahl von Berufsgruppengewerkschaften, wie sie bereits bei Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa am Verhandlungstisch sitzen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der DGB hatten sich Anfang Juni für eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit ausgesprochen.

Auch bei der Bahn gibt es bereits verschiedene Verträge - die Lokführergewerkschaft GdL hatte mit Streiks das Unternehmen lahmgelegt.
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Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnte vor einer "Zerfaserung der Tarifordnung". Er forderte die Politik dazu auf, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. "Ohne Tarifeinheit droht die Zersplitterung des Tarifvertragssystems, eine Spaltung der Belegschaften und eine Vervielfachung kollektiver Konflikte", so Hundt.
Auch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber sieht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kritisch. Während der Laufzeit eines Tarifvertrages müsse Verlässlichkeit und Arbeitsfrieden gegeben sein, so der Präsident der Vereinigung, Thomas Böhle. Dies setze die uneingeschränkte Weitergeltung des Grundsatzes der Tarifeinheit voraus. "Es darf nicht die Gefahr ständiger Tarifauseinandersetzungen und Streiks bestehen", so Böhle. "Der soziale Frieden in den Verwaltungen und Betrieben darf nicht durch Auseinandersetzungen der verschiedenen Beschäftigtengruppen um eigenständige Tarifregelungen ständig gefährdet werden."
Quelle: ntv.de, ghö/dpa