Ein Drittel der Betroffenen jünger als 17 Tausende gehen Zwangsehe ein
09.11.2011, 16:13 Uhr
(Foto: dpa)
Konkrete Zahlen kann eine neue Studie zu Zwangsheiraten in Deutschland nicht bereitstellen - dafür beweisen mehr als 3400 dokumentierte Fälle im Jahr 2008, dass Zwangsehen ein dringendes Problem bleiben. Betroffen sind vor allem junge Menschen aus religiösen Migrantenfamilien. Die Opposition kritisiert die Maßnahmen der Regierung.
Tausende Menschen werden in Deutschland jährlich in getrieben. Ein Drittel der von Zwangsheirat Betroffenen - in der Mehrzahl Frauen - sei jünger als 17 Jahre. Das ergibt eine Studie, die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) übergab.
Für die von der Frauenorganisation Terre des Femmes und der Hamburger Lawaetz-Stiftung erarbeitete Studie wurden im Jahr 2008 insgesamt 3443 von Zwangsverheiratung Betroffene in 830 Beratungsstellen erfasst. In 60 Prozent der Fälle wurde demnach die Zwangsehe angedroht, in 40 Prozent der Fälle war sie bereits vollzogen. Betroffen seien vor allem Menschen mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, viele davon mit deutscher Staatsangehörigkeit. "Wer flieht und sich dagegen wehrt, riskiert Isolierung in der eigenen Familie", sagte Schröder.
Türkische Gemeinde verpricht Aufklärung
Schröder fügte hinzu, die Dunkelziffer von Zwangsheiraten in Deutschland liege vermutlich höher, seriöse Zahlenangaben seien kaum möglich: "Nur die Mutigen lassen sich beraten." Klar sei aber, dass die "Bedrohung für eine große Zahl von Menschen" existiere. Auch Männer (sechs Prozent) seien von Zwangsehen betroffen. Häufigstes Herkunftsland der Eltern sei mit 44 Prozent die Türkei, gefolgt von Serbien, Irak und Afghanistan mit jeweils sechs bis neun Prozent.
Fast zwei Drittel (59,4 Prozent) der erfassten Fälle stammen der Studie zufolge aus religiösen Migrantenfamilien. Schröder appellierte an die "muslimischen Autoritäten" in Deutschland, die Zwangsheirat deutlich zu verurteilen. Der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, verwies darauf, dass seine Gemeinde sich seit Jahren für Aufklärung einsetze. "Jede Zwangsheirat ist für mich ein Menschenrechtsentzug", sagte Kolat. Archaische Strukturen ließen sich jedoch nur durch langfristige Bemühungen aufbrechen. Er rief Schröder zu einer gemeinsamen, speziell an Migranten gewandten Aktion auf.
Hotline soll Betroffenen helfen
Schröder forderte die Schulen auf, dem Thema Zwangsheirat mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Vor allem jüngere Migrantinnen mit schlechten Deutschkenntnissen, die noch zur Schule gingen, wenden sich der Studie zufolge oft erst nach Hinweisen durch Dritte an Hilfeeinrichtungen. Das Beherrschen der deutschen Sprache sei "der Schlüssel für ein selbstbewusstes, ungezwungenes Leben unabhängig von den Eltern". Schröder kündigte für Ende 2012 eine mehrsprachige bundesweite Hotline "Gewalt gegen Frauen" an, die auch speziell den Opfern von Zwangsheirat zur Verfügung stehen werde.
Böhmer sah durch die Studie die Entscheidung der Regierung bestätigt, die Zwangsverheiratung als Straftatbestand ins Gesetz aufzunehmen und das Rückkehrrecht für Migranten auf zehn Jahre zu verlängern, die zur Zwangsheirat ins Ausland verschleppt wurden. Böhmer forderte auch die Herkunftsländer auf, "mit ganzer Kraft" gegen Zwangsheirat vorzugehen.
Die Opposition kritisierte die Bundesregierung. Es sei für die Betroffenen "zu wenig", für Ende 2012 eine Hotline anzukündigen, erklärte die Grünen-Fraktionsvize Ekin Deligöz. Die SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz kritisierte das von der Bundesregierung beschlossene Hochsetzen der Ehedauer für ausländische Ehepartner für das eigenständige Bleiberecht von zwei auf drei Jahre. Diese schade vor allem Zwangsverheirateten, die nun noch länger in der Ehe ausharren müssten.
Quelle: ntv.de, AFP