Merkel in Georgien Territoriale Planspiele
16.08.2008, 20:30 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringt auf die rasche Umsetzung des europäischen Friedensplans für Georgien. Die Kanzlerin werde sich bei ihrem Besuch in Tiflis am Sonntag für die "komplette Einstellung aller Kampfhandlungen" einsetzen, hieß es in Berlin in Regierungskreisen. "Die Feuerpause muss überprüfbar und dauerhaft sein." Auch der künftige Status der abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien, in denen russische Truppen stationiert bleiben, wird Thema sein.
Merkel hatte am Freitag bei ihrem Treffen mit Russlands Präsident Dmitri Medwedew in der Schwarzmeerstadt Sotschi nachdrücklich den Abzug der russischen Truppen aus dem "Kerngebiet Georgien" verlangt. Medwedew hatte betont, dass eine Rückkehr von Südossetien und Abchasien in den Staat Georgien nicht vorstellbar sei.
Gebietsfrage
In Tiflis wird Merkel mehrere Stunden mit Präsident Michael Saakaschwili sprechen. Er lehnte im "Spiegel" einen Verzicht auf georgische Gebiete strikt ab. "Wir kämpfen bis zum Ende, bis der letzte russische Soldat georgischen Boden verlassen hat. Wir kapitulieren nie", sagte er. Im "Focus" würdigte Saakaschwili sein Gespräch mit Merkel: "Ich bin beeindruckt von ihrer Haltung, sie hat augenblicklich begriffen, was Sache ist." Sein Gespräch mit der Kanzlerin sei "besser als alle anderen Gespräche mit europäischen Führern gewesen".
Merkel will vorrangig erreichen, dass humanitäre Hilfe so rasch wie möglich in den Kriegsgebieten einsetzen kann. Ein Thema der Gespräche in Tiflis wird auch sein, welchen Status Südossetien und Abchasien langfristig unter Berücksichtigung des Völkerrechts haben können.
Territoriale Integrität
In seiner wöchentlichen Radioansprache betonte US-Präsident George W. Bush dass die USA das georgische Volk nicht im Stich lassen würden. Die freie Welt müsse sich für eine bedrohte Demokratie einsetzen, die sich für die Freiheit entschieden habe. Über die nationale Integrität Georgiens einschließlich der abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien könne es keine Diskussion geben. Die Konflikte in den Provinzen müssten friedlich und in Verhandlungen gelöst werden, ohne dass aber die territoriale Einheit Georgiens zur Disposition stehen dürfe, betonte Bush. Moskau dürfe die Zugehörigkeit der Provinzen zu Georgien nicht in Frage stellen.
Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnte erneut den Erhalt der territorialen Integrität Georgiens an. In der "Welt am Sonntag" widersprach er damit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Dieser hatte gesagt, man solle das "Gerede" über die territoriale Unversehrtheit Georgiens "vergessen". Weil sich die Europäische Union am Völkerrecht orientiere, "bleibt die territoriale Integrität Georgiens Grundlage unserer Politik", sagte Steinmeier. Dies stehe in der EU für niemanden zur Debatte. Auch Moskau habe diese Sicht in der Vergangenheit wiederholt bestätigt. "Ich gehe davon aus, dass sich daran nichts geändert hat", sagte Steinmeier.
"Hasardeur" Saakaschwili
Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) bezeichnete Saakaschwili als "Hasardeur". "Auslösendes Moment" der Kampfhandlungen im Kaukasus sei der Einmarsch der Georgier nach Südossetien gewesen, sagte Schröder dem "Spiegel". Die Chancen für einen NATO-Beitritt Georgiens seien durch die jüngsten Ereignisse "in noch weitere Ferne" gerückt.
Ähnlich äußerten sich mehrere deutsche Außenpolitiker. SPD- Außenexperte Gert Weisskirchen sagte der "Bild"-Zeitung: "Ein neues NATO-Mitglied muss vor der Aufnahme ins Bündnis frei von inneren Konflikten sein. Diese Regel gilt auch für Georgien." Der Obmann der Unions-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU), sagte: "Ein Beitritt Georgiens zur NATO ist durch die Ereignisse der letzten Tage sicherlich nicht näher gerückt". Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer sagte: "Es gibt keinen Grund, jetzt den NATO-Beitritt Georgiens zu forcieren. Die Bundesregierung sollte in dieser Frage bei ihrer vorsichtigen Haltung bleiben."
In Berlin wird davon ausgegangen, dass die erst kürzlich aufgenommenen Verhandlungen der EU mit Russland über ein neues Kooperationsabkommen von der Kaukasus-Krise nicht nachhaltig gestört werden. Es werde zu einer Verlangsamung dieses Prozesses kommen, aber nicht zum Stillstand. Bislang strebte die EU eine "strategische Partnerschaft" mit Russland an. Ob an diesem Begriff festgehalten wird angesichts der neuen Spannungen ist offen.
Ban unterbricht Urlaub
Im Tauziehen um eine Resolution der Vereinten Nationen zum Konflikt in Georgien hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine diplomatische Offensive gestartet. Er unterbrach seinen zweiwöchigen Urlaub, um in New York zu Einzelgesprächen mit den betroffenen UN-Botschaftern zusammenzukommen. Wie sein Büro mitteilte, ließ sich Ban zunächst von seinen Spitzenbeamten über die Lage im Krisengebiet informieren. Im Laufe des Tages wollte er die Vertreter der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sowie den georgischen Botschafter treffen. Der Generalsekretär gehört dem höchsten UN-Gremium nicht an, kann aber jederzeit an den Beratungen teilnehmen.
Die westlichen Länder im Sicherheitsrat ringen seit Tagen mit Russland um einen Entwurf für die geplante Friedensresolution. Sie soll den von der EU vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Plan zur Entschärfung des Kaukasus-Konflikts in eine bindende Form gießen. Umstritten ist die Frage der territorialen Integrität Georgiens, die Moskau nicht anerkennen will. Ob es noch am Wochenende zu einer Einigung kommt, war am Samstag zunächst nicht absehbar.
Quelle: ntv.de