"Schmerzliche und unheilbare Wunde" Tränen beim Demjanjuk-Prozess
21.12.2009, 15:08 UhrEs sind bewegende Momente: Im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher Demjanjuk sagen mehrere Holocaust-Überlebende aus. Ein Mann berichtet, dass seine Familie und seine Freundin in Sobibor ermordet wurden - er selbst habe jedoch ein schlechtes Gewissen, weil er seine Liebsten zurücklassen musste.

Demjanjuk hielt wie auch an den vorigen Prozesstagen seine Augen während der Aussagen geschlossen.
(Foto: dpa)
Im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk (89) sind in München mehrere Nebenkläger aus den Niederlanden angehört worden. In bewegenden Worten berichteten sie, wie viele Angehörige jüdischen Glaubens sie im Zweiten Weltkrieg im Vernichtungslager Sobibor verloren haben. Die Anklage wirft dem gebürtigen Ukrainer Demjanjuk Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden in Sobibor vor.
"Sobibor ist für mich eine schmerzliche und unheilbare Wunde", sagte ein 86-jähriger Nebenkläger aus Amsterdam. Seine Eltern, seine Schwester und seine Freundin seien in Sobibor ermordet worden, sagte der ehemalige Apotheker unter Tränen. Er selbst habe rechtzeitig über Belgien, Frankreich, Spanien und Kanada nach England fliehen können. Aber er habe Schuldgefühle, dass er seine liebsten Menschen damals zurückgelassen habe. "Die Ereignisse von damals prägen alle Tage meines Lebens", sagte er. Erst ein paar Monate nach Kriegsende habe er von der Ermordung seiner Angehörigen erfahren.
Kein Vater zum Fußballspielen
"Ich bin als Nebenkläger hier für meine Eltern", sagte ein 70-Jähriger. Er sei noch ein kleiner Junge gewesen, als seine Eltern nach Sobibor deportiert und dort 1943 in die Gaskammern getrieben wurden. "Meine Mutter war hochschwanger", sagte der Nebenkläger. "Deshalb bin ich auch hier für meinen ungeborenen Bruder oder für meine ungeborene Schwester." Er selbst überlebte den Holocaust im Schutze einer anderen Familie.
Ein heute 67-Jähriger war gerade ein Jahr alt, als sein Vater nach Sobibor deportiert wurde. Erst als er selbst sechs oder sieben Jahre alt gewesen sei, habe er von der Ermordung des Vaters erfahren. "Ich habe meine Mutter gefragt, warum ich keinen Vater wie andere Jungen zum Fußballspielen habe." Erst da habe seine Mutter ihm die schreckliche Wahrheit gesagt. Aus seiner Familie seien 74 Menschen von den Nazis in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet worden.
Demjanjuk schweigt zu Vorwürfen
Demjanjuk soll während des Zweiten Weltkriegs ein halbes Jahr lang Wärter im Vernichtungslager Sobibor im damals von Deutschland besetzten Polen gewesen sein. Als Kriegsgefangener soll er sich entschieden haben, mit den Deutschen in Sobibor zusammenzuarbeiten.
Der Angeklagte, der in einem Rollstuhl in den Gerichtssaal gebracht worden war, hielt während der Verhandlung die Augen wie an den beiden Prozesstagen zuvor fast durchweg geschlossen und schwieg. Von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung Demjanjuks war den Angaben zufolge nichts mehr zu spüren. Es gehe Demjanjuk wieder gut, er sei voll verhandlungsfähig. Der vorige Prozesstermin am 2. Dezember war wegen einer Erkrankung des 86-Jährigen abgesagt worden.
Einen Antrag der Verteidigung auf eine Einstellung des Verfahrens lehnte das Gericht als unbegründet ab. Abgewiesen wurde auch der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gegen Demjanjuk. Die Verteidigung hatte ihre Anträge unter anderem mit Zweifeln an der Rechtmäßigkeit von Demjanjuks Abschiebung aus den USA nach München begründet. Das Gericht wies auch den Antrag der Verteidigung ab, das Verfahren zumindest auszusetzen, um noch weitere Unterlagen aus dem Ausland beziehen zu können. Der Prozess wird an diesem Dienstag nun wie geplant fortgesetzt.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP