Erste Festnahme Trauerfeier für Soldaten
21.10.2008, 16:52 UhrDie beiden bei einem Attentat nahe Kundus getöteten deutschen Soldaten werden an diesem Mittwoch nach Deutschland zurückgebracht. Nach einer Trauerfeier der Bundeswehr in der nordafghanischen Stadt werden sie mit einem Luftwaffen-Airbus in die Heimat überführt. Nach Angaben des Provinzgouverneurs in Kundus wurde einen Tag nach dem Anschlag ein Verdächtiger festgenommen.
Dabei soll es sich um einen Kommandeur der radikalislamischen Gruppe Hisb-i-Islami handeln, sagte Gouverneur Engineer Mohammad Omar. Ein zweiter Verdächtiger, ein Mullah aus einer Moschee in der Gegend von Kundus, sei entkommen. Man vermute, dass diese Männer in den Anschlag verwickelt seien, bei dem am Montag neben den zwei deutschen Soldaten auch fünf afghanische Kinder getötet wurden. Beide würden schon lange verdächtigt, an "feindlichen Aktivitäten" beteiligt zu sein.
Derweil ist in Deutschland wieder eine Debatte über die Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch entflammt. Der designierte Grünen-Chef Cem Özdemir forderte einen Strategiewechsel und sagte: "Wir können nicht auf ewig bleiben."
Trauerfeier in Deutschland
Verteidigungsminister Franz Josef Jung sagte in Berlin, wann, wo und in welchem Rahmen eine Trauerfeier in Deutschland stattfinde, werde mit den Angehörigen der getöteten Soldaten noch abgestimmt. Beide Männer, ein 25-jähriger Stabsunteroffizier und ein 22 Jahre alter Stabsgefreiter, waren ledig.
Auch ein bei dem Attentat verletzter deutscher Soldat werde zur weiteren Behandlung nach Deutschland geflogen. Der zweite verletzte Soldat könne im Rettungszentrum Kundus weiterbehandelt werden. Im Feldlazarett Kundus wird auch ein bei dem Anschlag lebensgefährlich verletztes Mädchen von Ärzten versorgt. Ihr Zustand sei stabil, sagte Jung.
Nach Angaben des Ministers hatten die getöteten und verletzten deutschen Soldaten des in Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) stationierten Fallschirmjägerbatallions 263 an einer Operation teilgenommen, an der insgesamt 160 deutsche und 30 afghanische Soldaten sowie Polizisten aus Afghanistan beteiligt waren. Der Selbstmordattentäter sei mit seinem Fahrrad neben einen gepanzerten Lastwagen des Typs "Mungo" gefahren und habe sich in die Luft gesprengt. Jung sprach von einer "menschenverachtenden Tat".
"Auch eine Bedrohung für Deutschland"
Die für den Anschlag verantwortliche Gruppe Hisb-i-Islami des früheren Premierministers Gulbuddin Hekmatyar arbeitet zumindest im Norden Afghanistans mit den Taliban zusammen. Gouverneur Omar warnte vor einem Abzug der ausländischen Truppen.
NATO-Oberbefehlshaber John Craddock kritisierte, dass einige Staaten des Bündnisses noch immer nicht genug Truppen nach Afghanistan schickten. Das untergrabe die Effektivität und den Erfolg des Militärbündnisses, sagte er in London.
Jung warnte auch vor einer Debatte über einen Abzug der Bundeswehr. Dies wäre "ein schwerer Fehler". Es sei wenig hilfreich, jetzt darüber zu diskutieren. Wenn aus Afghanistan erneut ein Zentrum des Terrorismus würde, wäre dies auch eine Bedrohung für Deutschland, sagten der Minister und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan.
Merkel soll Stellung beziehen
Der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan hat laut Jung verschiedene Facetten. Nach dem Konzept einer "vernetzten Sicherheit" müssten die Soldaten "helfen, schützen, vermitteln", aber nötigenfalls "auch kämpfen, um ein sicheres Umfeld zu gewährleisten". Die Sicherheitslage habe sich zuletzt inbesondere auch im Raum Kundus verschärft, räumte der Minister ein.
Dagegen sagte Özdemir dem "Hamburger Abendblatt", Kanzlerin Angela Merkel müsse der Bevölkerung "endlich erläutern, warum unsere Soldaten überhaupt am Hindukusch sind und wie lange sie noch bleiben müssen".
Bisher sei Merkel beim Thema Afghanistan "merkwürdig leise" gewesen, sagte der designierte Grünen-Chef. Özdemir forderte einen Strategiewechsel. Die Vorgehensweise der Vereinigten Staaten, "den Fokus nur auf die Bekämpfung der Gegner zu legen", führe nicht weiter. Die afghanische Armee und die Polizei müssten in die Lage versetzt werden, "ihre Aufgaben selbstständig und kompetent zu erfüllen".
Die amtierenden Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer vermuteten, dass der Anschlag den Einsatz der internationalen Gemeinschaft unterminieren sollte. Für die Absicherung des Wiederaufbaus sei das Engagement der Bundeswehr weiterhin ein notwendiger Beitrag.
Mehrheit unterstützt Deutsche
Der Gouverneur betonte, die Anwesenheit der Bundeswehr in Kundus und anderen Provinzen sei notwendig. Sollten Terroristen wie das Netzwerk El Kaida in Afghanistan wieder Fuß fassen, sei auch der Rest der Welt bedroht. 95 Prozent der Menschen in der Provinz Kundus unterstützten die Anwesenheit der Deutschen.
Jung sagte, die Zustimmung in Deutschland für den erst kürzlich um 14 Monate verlängerten Afghanistan-Einsatz liege bei 63 Prozent. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass der Attentäter zu einer Gruppen von Terroristen gehöre, die erst unlängst aus Pakistan über die Grenze gekommen seien. Jung wies darauf hin, dass es einen Grenzpunkt gebe, an dem täglich rund 60.000 Menschen unkontrolliert von Pakistan nach Afghanistan kämen.
Welthungerhilfe erwägt Rückzug
Auch Afghanistans Handels- und Industrieminister Amin Farhang warnte vor einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. "Abzug bedeutet Kapitulation", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Afghanistan hat nicht mehr viel zu verlieren - das Land ist so zerstört und kaputt. Aber für die Sicherheit in der Welt hätte das verheerende Konsequenzen", warnte Farhang. "Wenn man auf internationaler Ebene nicht die notwendigen Maßnahmen trifft, dann verbreitet sich der Terrorismus." Deshalb wäre ein Abzug der Deutschen aus dem Norden Afghanistans "ein großer Fehler".
Die Welthungerhilfe sieht derweil angesichts der unsicheren Lage die Fortsetzung ihrer Arbeit gefährdet. Theo Riedke, Regionalleiter Zentralasien der Organisation, schloss im ZDF die vorübergehende Beendigung des Engagements der Welthungerhilfe in Afghanistan nicht aus.
Quelle: ntv.de