Ausnahmeregelung im Reformvertrag Tschechien setzt sich durch
29.10.2009, 23:00 Uhr
Der EU-Gipfel steht vor schwierigen Verhandlungen.
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Nach Jahren zäher Debatten um den EU-Reformvertrag steht der Durchbruch unmittelbar bevor. Auf dem Gipfel in Brüssel einigen sich die Staats- und Regierungschefs, Tschechien mit einer Ausnahmeregelung entgegenzukommen. Bewegung gibt es auch im Streit um die EU-Spitzenjobs. Keine Einigung in Sicht ist beim Thema Klimaschutz.
Die Gipfelteilnehmer der 27 Mitgliedsstaaten einigten sich auf eine Formel, die der EU-kritische tschechische Präsident Vaclav Klaus zur Bedingung für seine Unterschrift unter die Ratifizierungsurkunde des Lissabon-Vertrags gemacht hatte: die Benes-Dekrete, die Rechtsgrundlage in der damaligen Tschechoslowakei für die Vertreibung mehrerer Millionen Menschen - in der Mehrzahl Deutscher - können nicht durch europäisches Recht für ungültig erklärt werden. Sofern jetzt das tschechische Verfassungsgericht Anfang November den Vertrag erneut für legal erklärt, könnte dieser nach Unterschrift durch Klaus zum Jahresende in Kraft treten.
Nach einer Einigung mit den Regierungen Tschechiens und der Slowakei ging es zuletzt vor allem darum, auch die Zustimmung von Ungarn, Deutschland und Österreich zu bekommen. Diese drei Staaten hatten nachdrücklich gefordert, dass in keinem EU-Text die Benes-Dekrete direkt und namentlich erwähnt werden dürften. Nach Einschätzung Frankreichs dürfte der EU-Reformvertrag am 1. Dezember in Kraft treten. "Die Ratifizierung (Tschechiens) ist jetzt so gut wie sicher, und das ist ein großer Erfolg", sagten französische Delegierte.
Blair ist aus dem Rennen

Blair ist aus dem Spiel - die beiden Spitzenjobs der EU sind aber noch lange nicht vergeben.
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Damit ist auch der Weg frei, zwei Spitzenjobs zu besetzen. Konservative und Sozialdemokraten haben einen "Deal" vereinbart: Der erste ständige EU-Ratspräsident wird wohl konservativ, der "Außenminister" sozialdemokratisch sein. Damit wäre eine Kandidatur des ehemaligen britischen Premiers Tony Blair als Ratspräsident automatisch vom Tisch. Blair hatte sich Hoffnungen auf das Amt gemacht und Unterstützung unter anderem von Italien und aus seinem eigenen Land.
Als Favorit für die Ratspräsidentschaft gilt der niederländische Regierungschef Jan-Peter Balkenende, hieß es aus Kreisen der Europäischen Volkspartei (EVP). Im Gespräch sind auch Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker sowie Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. Erwartet wird, dass die bisherigen Befürworter Blairs als Präsident nun umschwenken und den britischen Labour-Außenminister David Miliband als "Hohen EU-Repräsentanten" (Außenminister) unterstützen.
Entscheidung in kommenden zwei Wochen

Neuerdings ist der Niederländer Jan Peter Balkenende als EU-Präsident im Gespräch.
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"Es gibt eine klare Präferenz für den Hohen Repräsentanten", sagte der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz, nach Beratungen mit Kollegen. Auch der spanische Regierungschef José Luis Rodrígues Zapatero bestätigte diese Haltung der europäischen Sozialisten. Der Vorsitzende der Europäischen Sozialdemokratischen Partei, Poul Nyrup Rasmussen, sagte, eine Arbeitsgruppe werde in den kommenden zwei Wochen über eine Postenaufteilung mit den konservativen Regierungschefs verhandeln.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erstmals von ihrem neuen Außenminister Guido Westerwelle bei einem Gipfel begleitet wurde, hielt sich zu den Personalspekulationen in der Öffentlichkeit zunächst bedeckt.
Finanzbedarf von 100 Milliarden Euro
Eine schlechte Figur machte die Gipfelrunde hingegen beim Klimaschutz, wo die EU ihre globale Vorreiterrolle im Kampf gegen die Erderwärmung aufs Spiel setzt. Fünf Wochen vor dem Weltklimagipfel in Kopenhagen haben sich die Mitgliedsstaaten wegen der Verteilung von Milliarden-Hilfen für die Entwicklungsländer überworfen. Deutschland, Frankreich und Italien weigerten sich, konkrete Finanzierungsangebote für die Entwicklungsländer auf den Tisch zu legen, wie Diplomaten sagten.

"Das ist eine glückliche Fügung, dass gleich am ersten Tag meiner Amtszeit die Möglichkeit besteht, gleich mit so vielen neuen Kollegen zusammenzutreffen", sagt Außenminister Westerwelle (l).
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Ein weiterer Knackpunkt war, dass Polen sowie acht weitere osteuropäische Länder auf Erleichterungen bei der internen Verteilung der Lasten beharrten. Beim Abschluss eines Weltklimaabkommens kommen auf die EU Hilfszahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe jährlich zu. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft wollte versuchen, bis Freitagmorgen einen neuen Kompromissvorschlag auszuarbeiten.
Der amtierende EU-Ratsvorsitzende, Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt, sagte, er wolle für Schweden vom Gipfel ein klares Mandat für die Weltklimaverhandlungen in Kopenhagen. Die internationale Staatengemeinschaft will sich im Dezember in der dänischen Hauptstadt auf die Grundzüge eines Weltklimaabkommens einigen. Unter anderem an der unklaren Haltung der EU droht der Weltklimagipfel in Kopenhagen aber zu scheitern. Die UN rechnen schon nicht mehr mit einer Einigung auf dem Gipfel.
Die EU-Kommission schätzt den Finanzbedarf für die Dritte Welt global auf gut 100 Milliarden Euro im Jahr 2020. Die Hälfte dessen soll aus öffentlichen Mitteln kommen, 15 Milliarden davon nach einem Vorschlag der EU-Kommission aus Europa. Den Rest soll die Industrie bestreiten.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts