"Populismus und Polemik" Türken für Abwahl Kochs
10.01.2008, 06:42 UhrMit den Themen Ausländer- und Jugendkriminalität gerät die Union in den laufenden Wahlkämpfen zunehmend in die Defensive. Migranten-Organisationen beschwerten sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel über den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Und die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) appellierte an Bundespräsident Horst Köhler, in die Debatte über Jugendkriminalität einzugreifen und für Versachlichung zu sorgen.
In dem offenen Brief an Merkel und Koch wirft das Forum für Migrantinnen und Migranten Koch "Schnellschüsse, Unbedachtsamkeiten und wahltaktischen Populismus" vor. "Wo offene, konstruktive Gespräche und an der Sachlage orientierte Lösungsvorschläge nötig wären, richten Sie durch Wahlpolemik erheblichen Schaden an", heißt es dort an die Adresse der Bundeskanzlerin.
Von Merkel und Böhmer enttäuscht
Der TGD-Vorsitzende Kenan Kolat rief die hessischen Wähler unterdessen auf, Koch am 27. Januar abzuwählen. Mit seinen Äußerungen zum Jugendstrafrecht und zu Erziehungscamps betreibe Koch eine Spaltung der Gesellschaft. Enttäuscht äußerte er sich über Merkel und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (beide CDU), die keine besänftigenden Töne in der Debatte gefunden hätten. Die Türken in Deutschland hätten die Mordanschläge auf ihre Landsleute Anfang der 1990er Jahre in Mölln und Solingen nicht vergessen.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla äußerte sich empört. "Anstatt Politiker zu beschimpfen und zum Wahlboykott aufzurufen, sollte sich die Türkische Gemeinde konstruktiv bei der Suche nach Lösungen gegen die Gewalt junger Ausländer in Deutschland beteiligen", sagte er.
Koch rutscht ab, SPD frohlockt
Die SPD legte in ihrer Kritik an Koch ebenfalls nach. Mit Blick auf Umfragen, nach denen die SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti in Hessen inzwischen genauso populär ist wie Amtsinhaber Koch sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil bei n-tv, es zeige sich, "dass die charakterlose Art und Weise, in der Herr Koch glaubt, diesen Wahlkampf führen zu müssen, sich nicht auszahlt".
Heil kritisierte auch die Politik des Landes Hessen: "Was nützen die schärfsten Gesetze, wenn wie in Hessen zu wenig Polizisten, zu wenig Staatsanwälte, zu wenig Richter und zu wenig Jugendhilfe da ist."
Hausaufgaben nicht gemacht
Koch selbst hatte zuvor eine zu langsame Bearbeitung von Straftaten Jugendlicher durch die Gerichte in seinem Bundesland eingeräumt. "Das Problem ist da", sagte der CDU-Politiker am Mittwochabend in der ARD. Koch bestätigte Recherchen des Senders, nach denen die hessischen Amts- und Landgerichte bei Jugendstrafsachen im Ländervergleich ganz hinten liegen. Koch hatte gefordert, kriminelle Jugendliche sollten härter und rascher bestraft werden. Koch bangt derzeit um seine Bestätigung im Amt nach der Landtagswahl in Hessen am 27. Januar.
Dagegen bestritt der hessische Justizminister Jürgen Banzer (CDU) jede Schuld der Landesregierung an der überdurchschnittlichen Dauer von Jugendstrafverfahren vor hessischen Gerichten. Der Grund liege in den hohen Fallzahlen und der Täterstruktur in den Landgerichtsbezirken Frankfurt und Darmstadt, sagte Banzer: "Das hat mit der besonderen Klientel zu tun, die im Rhein-Main-Gebiet anliegt." Koch hatte gesagt: "Wir arbeiten an der Frage, wir müssen Wege finden. Das ist eine der Hausaufgaben, die wir noch haben."
Struck fordert mehr Richter und Sozialarbeiter
SPD-Fraktionschef Peter Struck wies Forderungen der Union nach einem schärferen Jugendstrafrecht erneut zurück. Eine Anhebung der Jugendhöchststrafe von 10 auf 15 Jahre bei Schwerverbrechen werde nicht gebraucht: Entscheidend sei die Prävention, nicht die Strafandrohung, sagte Struck. "Es ist völlig klar, dass es keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf Bundesebene gibt." Stattdessen sollten die Länder zum Beispiel mehr Richter oder Sozialarbeiter einstellen.
Keine Nachsicht mit der CSU
In Bayern sorgt derweil ein Plakat der Münchner CSU für Ärger. Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, sprach in einem Brief an Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) und den CSU-Vorsitzenden Erwin Huber von einem "der unanständigsten und widerwärtigsten Wahlplakate", das sie von einer demokratischen Partei bisher gesehen habe. Die FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nannte das Plakat "eine Selbstanzeige", denn seit Jahrzehnten trage die CSU uneingeschränkt die Verantwortung für die innere Sicherheit in Bayern.
Die CSU wirbt mit dem Plakat unter dem Titel "Keine Nachsicht mit Gewalttätern" für ihren Oberbürgermeister-Kandidaten Josef Schmid bei der Kommunalwahl am 2. März. Es zeigt, wie einer der beiden Schläger auf die Silhouette des am Boden kauernden 76-jährigen Rentners eintritt. In dem weiß ausgesparten Umriss ist zu lesen: " ... damit Sie nicht der Nächste sind".
Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude kritisierte die Kampagne als unterschwellig fremdenfeindlich. Das Plakat bringe eine Brutalisierung des Wahlkampfs und "schürt Emotionen, die dann die ganze Bevölkerungsgruppe auszuhalten hat, gegen die da latent Stimmung gemacht wird", sagte der SPD-Politiker.
Quelle: ntv.de