Gewalt nimmt kein Ende Überfall auf Rentner
09.01.2008, 08:53 UhrWieder haben junge Männer in Deutschland Gewalt gegen einen Rentner verübt. Tatort diesmal ist Heilbronn. Der 73-Jährige hatte die drei jungen Männer von der Schändung einer Gedenktafel für eine ermordete Polizistin abhalten wollen. Dafür wurde der Rentner, der in von seiner Ehefrau begleitet wurde, von einem 19-jährigen Bosnier, einem 16-jährigen Türken und einem 22-jährigen Deutschen angegriffen. Das berichtete die Polizei. Einer der Tatverdächtigen habe dem älteren Mann so massiv auf den Kopf geschlagen, dass dieser das Bewusstsein verlor. Der Rentner musste mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden.
Die polizeibekannten und alkoholisierten Männer seien zuvor randalierend durch die Stadt gezogen und hätten dort ebenfalls Passanten angegriffen, sagte ein Polizeisprecher. Sie seien inzwischen festgenommen worden.
Die Tat löste Betroffenheit aus. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) zeigte sich bestürzt und verurteilte die Tat als schändlich und menschenverachtend. Innenminister Heribert Rech (CDU) zeigte sich betroffen über die brutale Tat und das "ruchlose Verhalten" an der Gedenktafel. An der Stelle war im April 2007 eine junge Polizistin erschossen, ihr Kollege schwer verletzt worden.
Nur Stunden zuvor hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) Forderungen ihrer Länderkollegen aus Union und FDP nach schärferen Strafen für junge Kriminelle zurückgewiesen. Die Bundesregierung habe die gleichen Vorschläge bereits 2006 einstimmig abgelehnt, sagte die Ministerin nach einer Sonderkonferenz der Justizminister der unionsregierten Länder in Berlin. Die Länderminister hatten sich für härtere Gesetze und mehr Vorbeugung ausgesprochen. Unterdessen macht die CSU Wahlkampf mit einer Video-Szene von dem Überfall in der Münchner U-Bahn.
Gewalt bekämpfen – mit bestehenden Gesetzen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht indes in der Debatte über Jugendkriminalität und Ausländer keinen Bedarf für einen zusätzlichen Integrationsgipfel. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hatte dies gefordert und vor einer Spaltung des Landes gewarnt.
Allerdings wird es am 30. Januar ein Treffen der Bundesintegrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) mit Migrantenorganisationen im Bundeskanzleramt geben. Dies sei ein Routinetreffen im Rahmen des Nationalen Integrationsplans, heißt es in einer Mitteilung Böhmers. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte, er gehe davon aus, dass die aktuelle Debatte dabei eine Rolle spielen werde. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte nach dem brutalen Überfall in einer Münchner U-Bahn eine Debatte über junge ausländische Gewalttäter ausgelöst. Koch stellt sich am 27. Januar der Wiederwahl.
Zypries sagte: "Die jüngst wieder einmal erhobenen Forderungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts entsprechen inhaltlich im Wesentlichen einem Bundesratsantrag vom 10. Februar 2006." Die Ministerin betonte jedoch: "Brutale Übergriffe, wie sie jüngst stattgefunden haben, sind nicht hinnehmbar." Die Ursachen der Gewalt müssten konsequent bekämpft werden.
"Wir wollen nicht nur verschärfen, sondern auch vorbeugen", sagte Niedersachsens Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) bei der Sonderkonferenz in Berlin zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Die Konferenz habe sich auf das Motto "Vorbeugen, Hinsehen, Eingreifen" verständigt.
Die Justizminister aus den Bundesländern bekräftigten außerdem ihre Forderungen nach Erziehungscamps, einem Fahrverbot für jugendliche Straftäter, einer Anhebung des Höchstmaßes der Jugendstrafe sowie der Verkürzung von Verfahrensdauern. "Wir müssen den Werkzeugkasten der Jugendrichter erweitern", sagte Sachsen Justizminister Geert Mackenroth (CDU). Ein "Warnschuss-Arrest", bei dem kriminelle Jugendliche zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe für bis zu vier Wochen weggesperrt werden, soll nach Ansicht der Minister Bewährungsstrafen "spürbar" machen.
Hessens SPD fordert von Ministerpräsident Koch eine Abgrenzung nach rechts. Ihr Generalsekretär Norbert Schmitt verwies auf das Lob der NPD für Kochs Forderung nach einer rascheren Abschiebung krimineller Ausländer. Dazu sagte Hessens Justizminister Jürgen Banzer (CDU): "Wir lassen uns von der NPD nicht die Wahlkampfthemen vorschreiben."
Wahlkampf mit Gewaltszenen
Bayerns SPD hat empört auf ein neues Wahlkampfplakat der Münchner CSU mit einer Szene des Überfalls auf einen Rentner in der U-Bahn reagiert. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sprach von einer unverantwortlichen Reaktion und einem "Tiefpunkt der politischen Kultur". Er wurde von Bayern SPD-Fraktionschef Franz Maget unterstützt. Es handele sich um den offensichtlichen Versuch, Angst zu machen und eine Panikstimmung auszunutzen.
Die CSU wirbt mit dem Plakat "Keine Nachsicht mit Gewalttätern" für die Kommunalwahl am 2. März. Es zeigt, wie einer der beiden Schläger auf die Silhouette des am Boden kauernden 76-jährigen Rentners eintritt. In dem weiß ausgesparten Umriss ist zu lesen: " ... damit Sie nicht der Nächste sind".
Struck: "Erschreckend" und "unanständig"
SPD-Fraktionschef Peter Struck kritisierte in der Debatte die Rolle der Bundeskanzlerin. Ihr Verhalten sei "erschreckend", sagte Struck der "Frankfurter Rundschau", da sie sich den "unanständigen" Parolen Kochs angeschlossen habe.
Als "blanken Unsinn" wies Struck den Vorwurf aus der Union zurück, die Sozialdemokraten seien wegen ihrer Absage an schärfe Gesetze eine Gefahr für die innere Sicherheit. Sollten Merkel und Unionsfraktionschef Volker Kauder Gesprächsbedarf haben, stehe die SPD-Führung zur Verfügung. "Bisher gibt es aber keinen Wunsch vonseiten der CDU/CSU, mit uns über konkrete Gesetzesänderungen zu reden." Die SPD bleibe bei ihrer Position, zunächst die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten für junge Straftäter konsequent anzuwenden. Die Politik müsse sich stärker mit Ursachen der Jugendkriminalität beschäftigen, so Struck: "Da besteht Nachholbedarf in einigen Bundesländern."
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf der Koalition vor, in tiefste Wahlkampf-Niederungen abzusinken. "Wir werden uns daran nicht beteiligen", sagte Künast.
Fast zwei Drittel der Deutschen (64 Prozent) sind der Ansicht, dass der hessische Ministerpräsident das Thema Jugendkriminalität aus rein wahltaktischem Kalkül in den Vordergrund gerückt hat. In einer Forsa-Umfrage erklärten nur 25 Prozent, Koch sei es ein echtes, ehrliches Anliegen, wenn er jetzt ein härteres Durchgreifen gegen kriminelle jugendliche Ausländer fordere.
Quelle: ntv.de