Politik

Tag vier der Proteste in der Türkei Und wieder fliegen Tränengas-Granaten

Auf dem Taksim Platz im Zentrum von Istanbul sammelt sich der Protest.

Auf dem Taksim Platz im Zentrum von Istanbul sammelt sich der Protest.

(Foto: REUTERS)

Die türkischen Sicherheitskräfte bleiben bei ihrer harten Linie gegenüber Demonstranten gegen Ministerpräsident Erdogan: Bei neuen Kämpfen in Ankara versuchen sie wieder, die rund 1000 Regierungsgegner mit Tränengas zu vertreiben. Während Erdogan selbst die Proteste abtut, signalisiert Präsident Gül Entgegenkommen.

In der Türkei ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen, die den vierten Tag in Folge gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf die Straße gingen. Einsatzkräfte feuerten in Ankara Tränengas-Granaten auf rund 1000 Protestierer ab, die sich dem zentralen Kizilay-Platz näherten. Die meist jugendlichen Kundgebungsteilnehmer skandierten "Tayyip, tritt zurück". Auf den Zufahrtsstraßen zum zentralen Taksim-Platz in der Metropole Istanbul verstärkten die Demonstranten ihre Barrikaden.

Zuvor hatte Erdogan die Bevölkerung zur Ruhe aufgerufen. Die Menschen sollten sich nicht von "extremistischen Elementen" provozieren lassen, die die Demonstrationen organisiert hätten, sagte er in Istanbul. "Bleiben Sie ruhig, entspannen Sie sich, all das wird sich wieder legen."

Die Polizei riegelte in Ankara die zu Erdogans Amtssitz führenden Straßen ab. Die Proteste, die sich am Neubau eines Einkaufszentrums entzündet hatten, richten sich inzwischen gegen den Regierungschef und dessen Politik, die von vielen Demonstranten als autoritär empfunden wird.

Gül: "Demokratie bedeutet nicht nur Wahlen"

Staatspräsident Abdullah Gül signalisierte den Demonstranten derweil Entgegenkommen. "Demokratie bedeutet nicht nur Wahlen", sagte er. "Die mit gutem Willen überbrachten Botschaften wurden gehört", versicherte der Präsident, der ebenso wie Erdogan der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) angehört, gegen die sich die Proteste richten.

"Ich rufe alle meine Bürger auf, sich an die Regeln zu halten und ihre Kritik und ihre Ansichten auf friedlichem Wege zu äußern, wie sie es bereits getan haben", sagte Gül. Zugleich rief der Präsident die Demonstranten zur Wachsamkeit gegenüber der Infiltrierung der Proteste durch "illegale Organisationen" auf.

In Deutschland rufen die Ereignisse in der Türkei derweil Kritik aus. So verfolgt etwa Kanzlerin Angela Merkel das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten mit Sorge, wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagte. "Das Gebot der Stunde ist Deeskalation und Dialog", beschrieb Seibert die Haltung der CDU-Chefin. Das Recht der Bürger auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sei ein Grundrecht in einer Demokratie. Rechtsstaatliches Verständnis erfordere, dass die Sicherheitsbehörden stets verhältnismäßig vorgehen. Auswirkungen auf Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei sehe er derzeit aber nicht.

Roth sieht Fehler bei der EU

Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte derweil die Politik der EU gegenüber der Türkei und machte diese mitverantwortlich für das harte Vorgehen Erdogans. Man habe das Land nicht gleichberechtigt mit anderen EU-Beitrittskandidaten behandelt und ihr mit der sogenannten privilegierten Partnerschaft immer wieder klar gemacht, dass sie eigentlich gar nicht nach Europa gehöre, sagte Roth im Deutschlandfunk .

"Viele in der Türkei, nicht zuletzt Erdogan, haben wahrscheinlich den Eindruck, dass Europa es gar nicht so ernst meint. Also muss man sich auch um solche demokratischen Prinzipien und Kriterien gar nicht mehr kümmern." Es sei ein "Riesenfehler", dass Europa den Weg von mehr Demokratie und mehr Rechtsstaat nicht glaubwürdig begleitet habe.

Gleichzeitig kritisierte Roth, dass sich Erdogan immer mehr "wie ein absolutistischer Herrscher" aufführe. "Er verweigert das Recht auf Meinungsfreiheit, auf Demonstrationsrecht gegenüber ihm, der sich selber als Diener des Volkes bezeichnet." Sie sei erschüttert über das Ausmaß der Gewalt gegen friedliche Demonstranten, die zusammengeknüppelt worden seien. "Und man muss sich nicht wundern, dass der Protest sich auf eine solche Art und Weise ausgeweitet hat."

Quelle: ntv.de

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