Historischer Haushalts-Betrug? Union: Keine Etat-Tricks
20.10.2009, 16:50 UhrSteuern senken, Milliardenlöcher in Sozialkassen stopfen und die Schuldenbremse einhalten - für Union und FDP werden die abschließenden Koalitionsverhandlungen ein finanzpolitischer Drahtseilakt. Wegen massiver Finanznöte ist ein milliardenschweres Sondervermögen zur Finanzierung krisenbedingter Kosten im Gespräch.
Innerhalb der künftigen Bündnis-Partner wird zudem darauf gesetzt, höhere Sozialabgaben zur Finanzierung von Steuersenkungen zu vermeiden. Unter anderem soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bei 3,0 Prozent gedeckelt werden. Unter den CDU-Ministerpräsidenten wächst allerdings der Unmut über den Steuer-Kurs der FDP und auch der CSU. Wegen neuer Defizite in den Länderkassen drohen CDU-Länderchefs mit einer Blockade von Steuersenkungen im Bundesrat. Die Opposition warnte bereits vor einem historischen Haushalts-Betrug - was die Union prompt zurückwies: Man werde nicht mit Buchungstricks Steuersenkungen finanzieren und mit einem Schattenhaushalt die Schuldenregel im Grundgesetz umgehen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sah sich dennoch genötigt, vor der Unions-Fraktion ein dramatisches Bild der Haushaltslage zu zeichnen. Laut Teilnehmern verwies sie darauf, dass es schwierig werde, die gerade erst im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse am Anfang einzuhalten. Deshalb seien große Sparanstrengungen nötig.
"Es geht nicht um Verschleierung"
Die Schlussberatungen über den Koalitionsvertrag beginnen an diesem Mittwoch in großer Runde. Weiter offen ist dabei der Umfang der geplanten Steuersenkungen. Erst für Donnerstag oder Freitag wird eine Entscheidung erwartet. Die Verhandlungen sollen bis Wochenende abgeschlossen sein. CDU und CSU haben ein Entlastungsvolumen von 20 Milliarden Euro bis 2013 angeboten, die FDP fordert 35 Milliarden Euro.
Union und FDP erwägen, 2010 anfallende Milliardenausgaben für Sozialkassen in das laufende Jahr vorzuziehen und einen dritten Nachtragsetat für 2009 vorzulegen. Damit sollen Spielräume geschaffen werden. Über einen Sonderetat könnten Löcher bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und gegebenenfalls auch beim Gesundheitsfonds gestopft werden. CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter sagte: "Es geht nicht um Verschleierung." Es gehe um Transparenz und die Folgen die Finanzkrise für die sozialen Sicherungssysteme.
Arbeitslosen-Beitrag nicht über 3,0 Prozent

Westerwelle, Merkel und Seehofer: Die Koalitionsverhandlungen sollen bis zum Wochenende abgeschlossen sein.
(Foto: dpa)
Entschieden ist noch nichts. Denkbar ist, ein neues Sondervermögen erst 2010 aufzubauen. Es kann aber auch der bestehende, gegen die Krise aufgelegte Investitions- und Tilgungsfonds genutzt werden. Union und FDP prüfen, ob dort alle krisenbedingten Ausgaben bereits verbucht sind. Von dem 2010 erwarteten Defizit im Gesundheitswesen etwa könnten bis zu 4 Milliarden Euro bei einem Fonds verbucht werden und die restlichen 3,5 Milliarden über Einsparungen erbracht werden. Offen ist, ob das mögliche Sondervermögen mit eigenen Kreditermächtigungen ausgestattet wird oder mit Haushaltsmitteln.
Trotz steigender Defizite bei der BA wollen Union und FDP den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,0 Prozent begrenzen. Dieses Ziel werde angestrebt, hieß es. Die BA kämpft in Folge der Wirtschaftskrise mit sinkenden Beitragseinnahmen und stark steigenden Ausgaben für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld. Sie benötigt 2010 vom Bund ein Darlehen von bis zu 20 Milliarden Euro.
Erst im Januar war der Beitragssatz auf 2,8 Prozent des Bruttolohns gesunken. 2011 soll er auf 3 Prozent klettern. Das reicht aber nicht zur Deckung der Defizite. Daher wurde zuletzt über eine Anhebung des Beitragssatzes auf bis zu 4,5 Prozent spekuliert. Dies würde den Bund entlasten, die Abgaben der Bürger aber erhöhen. Überlegt wird, die Milliardenhilfe für 2010 an die BA haushaltstechnisch bereits im Etat 2009 zu verbuchen. Damit würde die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr steigen.
FDP warnt vor "Angsthasenpolitik"
Angesichts drohender zusätzlicher Löcher in den Länderkassen treten mehrere CDU-Länderchefs auf die Bremse. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sagte: "Die FDP hat vor der Wahl sehr hohe Erwartungen geweckt und tut sich jetzt schwer, diese zu realisieren." FDP-Generalsekretär Dirk Niebel warnte Oettinger dagegen vor einer "Angsthasenpolitik".
Auch führende Unions-Finanzpolitiker haben sich gegen Steuersenkungen zulasten der Bundesländer ausgesprochen. "Wir sind gut in der Konsolidierung in den Ländern vorangekommen und jedes Steuersenkungspaket würde uns um Jahre zurückwerfen", sagte der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende, Mike Mohring, nach einem Treffen der finanzpolitischen Sprecher der Unionsfraktionen der Länder.
Quelle: ntv.de, dpa