SPD für Wortbruch Union für Koalitionsbruch
23.02.2008, 16:11 UhrDie geplante Annäherung der SPD an die Linke in Hessen wird zunehmend zur schweren Belastung in der großen Koalition. Am Tag vor der Wahl in Hamburg warnten führende Unionspolitiker die Sozialdemokraten eindringlich vor einem "Spiel mit dem Feuer" und drohten mit Konsequenzen bis hin zum Koalitionsbruch. Die Debatte dominierte auch den Wahlkampf-Endspurt der Parteien in der Hansestadt. In der engeren SPD-Führung zeichnete sich unterdessen ein vorsichtiges Umdenken ab.
Union warnt vor Wählerbetrug
"Wenn es zu einem Wortbruch in Hessen kommt, wird es nicht ohne Auswirkungen auf die große Koalition sein", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Man könne mit einem Partner nicht erfolgreich und vertrauensvoll zusammenarbeiten, wenn er Wähler derart täusche.
Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte der "Bild"-Zeitung: "Ein Pakt mit der kommunistischen Linken wäre eine schwere Belastung für die große Koalition." CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer warnte in der "Welt am Sonntag" vor "atmosphärischen Störungen". CSU-Präsidiumsmitglied Markus Ferber forderte sogar ein Ende des schwarz-roten Bündnisses in Berlin, falls Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Nach einem solchen "Wählerbetrug" gebe es keine Grundlage für eine Zusammenarbeit mehr. "Dann sollte die Kanzlerin die SPD-Minister entlassen und Neuwahlen ansteuern."
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Unionsfraktionschef Volker Kauder verständigten sich offenbar bereits in einem vertraulichen Gespräch auf ein Ende der "Friedenspflicht", sollte die SPD in Hessen mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Laut "Bild" fand dieses Gespräch bereits am Mittwoch statt.
Zuspruch für Beck-Vorstoß
In der engeren SPD-Führung zeichnete sich unterdessen ein vorsichtiges Umdenken ab. Nach dem ersten Unmut über den Vorstoß von Parteichef Kurt Beck, Ypsilanti notfalls auch mit Stimmen der Linken wählen zu lassen, gibt es dafür inzwischen zunehmend Verständnis in den eigenen Reihen. Nach dem bayerischen SPD-Chef Ludwig Stiegler plädierte SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer offen für diese Linie. Scheer, der als Wirtschaftsminister in Hessen vorgesehen ist, sieht in Ypsilantis Wahl zur Ministerpräsidentin mit Stimmen der Linkspartei keinen Wortbruch, "wenn wir als Minderheitsregierung ohne inhaltliche Absprachen mit der Linkspartei antreten".
Dem Vernehmen nach wollen sich am Montag bei den Beratungen der SPD-Spitzen auch führende Mitglieder des pragmatischen "Netzwerks" hinter Becks Position stellen. Im dem von Linken dominierten SPD-Vorstand dürfte der Parteivorsitzende dafür eine klare Mehrheit bekommen.
Die SPD-Linke wandte sich gegen Denkverbote. Ihr Sprecher Björn Böhning plädierte dafür, das Verhältnis zur Linkspartei nicht zu tabuisieren. "Es wäre schlecht, diese Debatte mit Dogmen zu beginnen", sagte Böhning. "Die SPD muss die strategische Frage lösen, die mit Bezug auf die Linkspartei vor ihr liegt."
und Ablehnung
Konservative SPD-Politiker wie Vizeparteichef Peer Steinbrück reagierten alarmiert. Steinbrück warnte Beck vor dem Verlust der Glaubwürdigkeit. Auch nach der Wahl gelte, was Beck und Hessens SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vor der Wahl gesagt hätten, sagte Steinbrück der "Bild am Sonntag": "Sie haben beide deutlich gemacht, dass sie auch nicht billigend in Kauf nehmen wollen, dass Frau Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Die SPD darf und wird hier nicht ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen." Die geheime Wahl Ypsilantis werde nicht funktionieren.
Auch der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, hat Zweifel, dass Ypsilanti eine von seiner Partei tolerierte Regierung in der SPD durchsetzen kann. "Ich glaube nicht, dass Frau Ypsilanti von ihren eigenen Reihen gewählt wird", sagte Gysi dem "Spiegel". Er verlangte zudem Verhandlungen zwischen SPD und Linken, falls es doch zu einer rot-grünen Minderheitsregierung kommt. "Einfach Anträge zu stellen und uns als Mehrheitsbeschaffer von Fall zu Fall zu nutzen, das wird nicht gehen. Wir wollen direkte Gespräche."
FDP in Schlüsselposition
Der hessische Grünen-Vorsitzende Tarek Al-Wazir sieht ebenfalls Probleme für die SPD für den Fall einer Wahl Ypsilantis mit den Linke-Stimmen voraus. Eine verlässliche Landespolitik für eine ganze Wahlperiode sei damit nicht gesichert, sagte er. Deshalb müsse sich die FDP fragen lassen, warum sie zwar eine Wahl Ypsilantis mit Hilfe der Linken für eine Katastrophe halte, aber nichts tue, um dies zu verhindern. Die von CDU und FDP ins Gespräch gebrachte Jamaika-Koalition schloss Al-Wazir weiter strikt aus.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle forderte die Union auf, die Koalition mit der SPD in Berlin zu beenden. "Sozialisten und Kommunisten" bereiteten gemeinsam eine "andere Republik" vor, sagte er der "Bild"-Zeitung. Was in Hessen drohe, sei auch in Hamburg möglich. Nach den Worten von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla haben die Hamburger Wähler die "einmalige Chance, über den Wortbruch von Herrn Beck und Frau Ypsilanti abzustimmen".
Hamburger SPD ist erbost
Dort beteuerte SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann, im Gegensatz zu Überlegungen für Hessen würde er sich nicht von den Linken zum Bürgermeister wählen lassen. Amtsinhaber Ole von Beust (CDU) konterte, er glaube zwar Naumann, aber nicht der SPD. Bei Sozialdemokraten in der Hansestadt löste die von Parteichef Kurt Beck ausgelöste Diskussion Verärgerung aus. "Diese Debatte ist gegenüber der Hamburger SPD extrem rücksichtslos", sagte Ex-Bürgermeister Henning Voscherau dem "Spiegel".
Quelle: ntv.de