"Die Zukunft war früher besser" Union ist in Aufruhr
26.08.2011, 10:11 Uhr
Merkel dürfte alles andere als glücklich über die Kohl-Äußerungen sein.
(Foto: dapd)
Die harsche Kritik von Altkanzler Kohl am außenpolitischen Kurs der Bundesregierung befeuert den Richtungsstreit in der Union. Verteidigungsminister de Maizière springt der Kanzlerin bei, aber die Debatte hat gerade erst begonnen. Die SPD sieht gar das Erbe von Kohl, Brandt und Adenauer in Gefahr.
Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Kritik von Altkanzler Helmut Kohl an der Außen- und Europapolitik der Bundesregierung entschieden zurückgewiesen."Es gibt keinen Weg zurück in eine angebliche Sicherheit von früher", sagte de Maizière. Er nehme die Ratschläge älterer Politiker ernst, aber man könne sie nicht Eins zu Eins in die Gegenwart übersetzen.
"Wir leben im Jahr 2011, in einer hoch komplizierten, sehr schwierigen und unübersichtlichen Situation. Ich verstehe die Sehnsucht nach Sicherheit. Aber im Moment können wir sie nicht versprechen", sagte der CDU-Politiker dem "Tagesspiegel". "Manchmal frage ich mich auch, was die Ratgeber in ihrer aktiven Zeit von Ratschlägen ihrer Vorgängergeneration gehalten haben", fügte de Maizière hinzu. Er finde den Satz des Satirikers Karl Valentin in diesem Zusammenhang "sehr interessant", der einmal gesagt habe: "Die Zukunft war früher auch besser."
Harsche Kritik
Kohl hatte in der Zeitschrift "Internationale Politik" geäußert, Deutschland sei "keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen". Fehlende Verlässlichkeit habe auch im Ausland zu Verunsicherung geführt. "Wenn man keinen Kompass hat, wenn man also nicht weiß, wo man steht und wo man hin will, und daraus abgeleitet dann auch keinen Führungs- und Gestaltungswillen, dann hängt man auch nicht an dem, was wir unter Kontinuitäten der Außenpolitik verstehen", sagte Kohl. Die Deutschen müssten wieder "für andere erkennbar deutlich machen, wo wir stehen und wo wir hin wollen, dass wir wissen, wo wir hingehören, dass wir Werte und Prinzipien machen, die über den Tag hinaus gelten".
Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz und der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose schlossen sich in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die "Internationale Politik" Kohls Kritik an. Unter der Überschrift "Wahre Werte, falsche Freunde" beklagten sie eine Abwendung der schwarz-gelben Regierung von der westlichen Wertegemeinschaft. "Es gibt auch Abirrungen vom rechten Weg", schrieben sie. Es gebe eine deutsche Leidenschaft, "strategische Partnerschaften" mit solchen Staaten einzugehen, die von westlichen Werten wenig oder gar nichts hielten, wie Russland oder China. Die deutsche Enthaltung in der Libyen-Frage habe eine fatale Wirkung gehabt.
Erbe von Adenauer und Brandt
SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Es ist ein gewichtiger Vorgang, wenn ein Mann wie Helmut Kohl, der erfolgreich an Adenauers Politik der Westbindung und Brandts Ost- und Entspannungspolitik angeknüpft hat, diese Traditionen in Gefahr sieht."
Erler betonte, Deutschland müsse europäischer sein als andere Staaten und mehr europäische Verantwortung übernehmen, auch wenn das unpopulär sei. Sonderwege wie die deutsche Enthaltung in der Abstimmung des UN-Sicherheitsrates über den Libyen-Einsatz dürften sich nicht wiederholen. Der SPD-Politiker kritisierte auch die Aussage von Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Deutschland müsse sich auf eine neue Welt mit neuen Kraftzentren einstellen. Er fragte: "Soll das bedeuten, dass wir jetzt die Partnerschaft mit Frankreich und die Partnerschaft mit den USA hinter uns lassen?"
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gab Altkanzler Kohl in seiner Kritik an der Außenpolitik der Bundeskanzlerin erneut Recht. "Niemand weiß, wo Merkel steht, wo sie hin will und ob sie Werte und Prinzipien hat, nach denen sie handelt", sagte Steinmeier der in Bielefeld erscheinenden "Neuen Westfälischen". Die Kanzlerin versuche nur noch krampfhaft, ihre Koalition über den Tag zu bringen. "Europa erwartet mehr von Deutschland, auch Führung." Der ehemalige Außenminister stellte fest: "Innerhalb von nur zwei Jahren haben wir uns aus dem Zentrum an den Rand der europäischen Willensbildung drängen lassen. Das ist bitter."
Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok unterstützte die Grundsatz-Kritik des Altkanzlers. "Helmut Kohl sagt sehr viel Richtiges", sagte Brok der "Passauer Neuen Presse". "Die Enthaltung Deutschlands in der Libyen-Frage war ein grober politischer Fehler. Das sieht nicht nur Helmut Kohl so, sondern auch viele andere in der Union. Es ist gut, dass er noch einmal auf einige Leitideen deutscher Außen- und Europapolitik seit Konrad Adenauer hingewiesen hat."
Merkel steuert gegen
Um die Kritik in den eigenen Reihen zumindest in der Euro-Politik zu entkräften, war Merkel am Dienstag in einer Sondersitzung der Unions-Bundestagsfraktion aufgetreten. Zudem soll eine Kommission nun einen Leitantrag der CDU-Spitze zum Euro für den Bundesparteitag im November ausarbeiten. Während in der Außenpolitik vor allem der deutsche Libyen-Kurs umstritten war, geht es bei der Europa-Politik um die Frage, mit welchen Mitteln die Euro-Zone stabilisiert werden soll - und welche finanziellen Risiken Deutschland dabei für angeschlagene Partner übernehmen soll.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP