Politik

"Deutschland wird unberechenbar" Kohl kanzelt Merkel ab

Bundeskanzlerin Merkel und Altbundeskanzler Kohl beim Empfang anlässlich des 70. Geburtstages von DRK-Präsident Seiters am 25. Oktober 2007.

Bundeskanzlerin Merkel und Altbundeskanzler Kohl beim Empfang anlässlich des 70. Geburtstages von DRK-Präsident Seiters am 25. Oktober 2007.

(Foto: picture alliance / dpa)

Lange war von Altkanzler Kohl kein Wort über die Amtsführung seiner Nachfolger zu hören. Doch in jüngster Zeit äußert Kohl zunehmend seine Meinung. Jetzt rechnet er in einem Interview mit der Bundesregierung regelrecht ab. Sie zeige ein "erschreckendes Maß an Mutlosigkeit". Außenminister Westerwelle lässt das nicht auf sich sitzen.

Altkanzler Helmut Kohl (CDU) hat seinen Nachfolgern vorgeworfen, Deutschlands Ruf als verlässlicher außenpolitischer Partner aufs Spiel zu setzen. "Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen", beklagte Kohl in der Zeitschrift "Internationale Politik". Es sei dringend an der Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Verantwortung wieder verlässlich wahrnähmen. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen."

Bei einer Rede kürzlich in der American Academy in Berlin setzte sich Kohl bereits für die Rettung der Griechen ein.

Bei einer Rede kürzlich in der American Academy in Berlin setzte sich Kohl bereits für die Rettung der Griechen ein.

(Foto: picture alliance / dpa)

Als Beispiel für den bereits wahrnehmbaren Bedeutungsverlust Deutschlands nannte Kohl die Europareise von US-Präsident Barack Obama vor einigen Wochen, bei der Obama zwar Frankreich und Polen besucht habe, nicht aber Deutschland. "Nach allem, was wir Deutsche und Amerikaner gemeinsam erlebt und durchlebt haben und was uns bis heute tief verbindet, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht."

Werte und Prinzipien

Kohl forderte die Bundesregierung auf, deutlich zu machen, "wo wir stehen und wo wir hin wollen, dass wir wissen, wo wir hingehören, dass wir Werte und Prinzipien haben, die über den Tag hinaus gelten, für die wir einstehen und für die wir werben". Indirekt warf er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vor, es fehle ihnen an Führungs- und Gestaltungwillen. Sie hätten keinen Sinn für die Kontinuitäten deutscher Außenpolitik.

Kohl wehrt sich gegen die Meinung, zu seiner Zeit sei das Regieren einfacher gewesen.

Kohl wehrt sich gegen die Meinung, zu seiner Zeit sei das Regieren einfacher gewesen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Argumentation, die Welt heute sei komplexer als zur, irritiere ihn, so Kohl. Seiner Ansicht nach offenbare sie "vor allem ein erschreckendes Maß an Mutlosigkeit gegenüber den heutigen Herausforderungen und Möglichkeiten sowie einen eklatanten Mangel an historischem Wissen und Bewusstsein, wie schwierig verantwortungsvolles Handeln in damaliger Zeit tatsächlich war." Die enormen Veränderungen in der Welt könnten keine "keine Entschuldigung dafür sein, wenn man keinen Standpunkt oder keine Idee hat, wo man hingehört und wo man hin will".

Außenminister Guido Westerwelle wies die Kritik postwendend zurück. Von fehlender Kontinuität könne keine Rede sein, erklärte der FDP-Politiker im ZDF. "Für uns ist nicht nur entscheidend, dass wir alte Partnerschaften pflegen, Freundschaften vertiefen, sondern in der Welt des 21. Jahrhunderts ist es auch notwendig, die neuen Kraftzentren der Welt ernst zu nehmen und neue strategische Partnerschaften aufzubauen", verteidigte Westerwelle die Politik der Bundesregierung. "Das ist kein Kurswechsel, das ist auch nicht das Vergessen unseres Kurses oder unseres Kompasses, sondern das ist die schlichte Erkenntnis einer neuen Zeit."

"Beherztes Zupacken"

Besonders am Herzen liegt dem Altkanzler die Europapolitik. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise mahnte der langjährige Bundeskanzler dringend zur Solidarität mit Griechenland und zur Rettung des Euro. "Wir haben keine Wahl, wenn wir Europa nicht auseinanderbrechen lassen wollen", betonte Kohl. "Europa bleibt gerade auch für Deutschland ohne Alternative." Er habe sich damals zwar gegen eine Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone stark gemacht, nun aber seien die Fehler nicht rückgängig zu machen.

Deshalb brauche es nun ein "beherztes Zupacken und ein Paket vorausschauender, klug gewogener und unideologischer Maßnahmen, mit dem wir Europa und den Euro wieder auf einen guten Weg bringen und für die Zukunft absichern". Dabei könnten Mitgliedsstaaten, die in Schwierigkeiten sind, zwar Hilfestellungen der Gemeinschaft erhalten, müssten aber zuallererst ihre Hausaufgaben selber machen. "Es ist an der Zeit, mit einer klaren Linie die Krise zu beenden und Europa auch wieder für andere Themen handlungsfähig zu machen."

Quelle: ntv.de

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