Kritik an Berichten zu Kachelmann Union will Medien zensieren
01.06.2011, 12:51 Uhr
Nach dem Freispruch für Kachelmann werden das Verfahren und die Berichterstattung zum Thema.
(Foto: dapd)
Nach dem Urteil gegen Moderator Kachelmann wird die Kritik an der Berichterstattung immer lauter. Unionspolitiker wollen den Medien Grenzen setzen. Vergewaltigungsprozesse dürften nicht rücksichtslos ausgeschlachtet werden. Auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger übt deutliche Kritik. Journalisten lehnen eine solche Zensur ab.
Angesichts der Kritik an der Rolle der Medien beim Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann fordern Rechtsexperten der Union eine Beschränkung der Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse. Der Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses, Siegfried Kauder, vertrat in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" die Auffassung, es dürfe nicht sein, "dass die Intimsphäre der Betroffenen bis in den letzten Winkel in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird." Vielmehr müssten die Medien verpflichtet werden, nicht über Aussagen zu berichten, die vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht würden.
Kauder stellte die Frage, was es dem Opfer einer Vergewaltigung helfe, "dass es sich hinter verschlossenen Türen dem Gericht anvertrauen kann, wenn sämtliche Aussagedetails später doch in der Zeitung stehen". Die Tendenz, Verfahren wegen Vergewaltigung medial rücksichtslos auszuschlachten, entmutige Opfer sexueller Gewalt, sich an die Behörden zu wenden. Es sei aber fatal, wenn die ohnehin geringe Anzeigebereitschaft der Betroffenen weiter abnehme. Kauder schlug vor, strengere Auflagen für die Berichterstattung über Sexualdelikte notfalls gesetzlich zu regeln, "soweit die Medien sich nicht zu einer überzeugenden Selbstverpflichtung bereit erklären".
"Medien instrumentalisiert worden"
Auch CSU-Rechtsexperte Norbert Geis sagte der Zeitung, eine Selbstregulierung der Medien sei "dringend geboten". Geis forderte einen "Ehrenkodex, mit dem sich die Branche verpflichtet, weitaus zurückhaltender über Prozesse wegen sexueller Gewalt zu berichten". Grundsätzlich sei die Öffentlichkeit des Strafprozesses eine Errungenschaft. Die Berichterstattung dürfe aber nicht so weit führen, "dass die Betroffenen dadurch an den Pranger gestellt und vorverurteilt werden".
Der Vorsitzende des Bundestagsinnenauschusses, Wolfgang Bosbach, bezeichnete es in der "Passauer Neuen Presse" als problematisch, wenn manche Medien "mit der Berichterstattung bereits die Beweiswürdigung und das Urteil vorwegnehmen wollen und sich auf die Seite von Verteidigung oder Anklage schlagen". Der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag mahnte in der Zeitung, die Integrität der Ermittlungen müsse gewahrt bleiben. Dies sei im Fall Kachelmann "in extremem Ausmaß missachtet worden". "Da sind Aussagen und Akten durchgestochen worden. Das ist eine kritische Entwicklung."
Dagegen sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz dem Blatt, die Medien seien in dem Mannheimer Prozess "bedient und instrumentalisiert worden". "Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidiger - alle wollten den Medienprozess." Jetzt gebe es nur Verlierer und Opfer. "Dieser Prozess wird als negatives Lehrstück in die deutsche Justizgeschichte eingehen."
DJV lehnt Einschränkungen ab
Der Deutsche Journalisten-Verband lehnte die Einschränkung von Prozessberichterstattung allerdings ab. Der Pressekodex des Deutschen Presserates ziehe hier schon eindeutige Grenzen, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. "Der Schutz der Privatsphäre von Opfern wie auch von Zeugen hat Vorrang vor der Berichterstattung", sagte er. "Diese Selbstverpflichtung der Medien macht gesetzliche Regelungen überflüssig." Rechtspolitiker sollten sich erst mit der Sachlage vertraut machen, bevor sie die Pressefreiheit in Teilen zur Disposition stellten. Die Berichterstattung per Gesetz einzuschränken sei verfassungswidrig. Im Fall Kachelmann sei dies auch wirkungslos gewesen, da Anwälte und Ermittlungsbehörden die Journalisten mit Informationen versorgt und vermeintliche Opfer bereitwillig in Medien Auskunft gegeben hätten.
Die Fehler der Medien im Fall Kachelmann müssten aufgearbeitet werden. "Dazu ist der Journalismus in der Lage, ohne dass es der Drohung mit schärferen Gesetzen bedarf", sagte Konken.
Kritik von der Justizministerin
Das Landgericht Mannheim hatte Kachelmann am Dienstag vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, da es für die Schuld des 52-Jährigen keine "tragfähigen Beweise" gebe. In der Urteilsbegründung kritisierte der Vorsitzende Richter Michael Seidling ausdrücklich auch die Medien. Sie hätten im Fall Kachelmann nicht nur "Stimmungen" erzeugt, sondern auch die Persönlichkeitsrechte der Nebenklägerin und des Angeklagten "in nicht gerechtfertigter Weise" verletzt.
Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte die Rolle der Medien kritisiert. "Die Unschuldsvermutung ist in Gefahr, wenn Medien ihr Urteil fällen, lange bevor Richter gesprochen haben", hatte die Ministerin der "Passauer Neuen Presse" gesagt. Es bestehe die Gefahr, dass rechtsstaatliche Verfahren "ausgehebelt" würden, "wenn die Beweisaufnahme vom Gerichtssaal in Talkshows verlagert wird". Eine Vorverurteilung dürfe es nicht geben: "Für die Berichterstattung sind Freiheit und Verantwortung zwei Seiten derselben Medaille", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. "Die Unschuldsvermutung soll davor schützen, als schuldig behandelt zu werden, bevor die Schuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren nachgewiesen wurde."
Die FDP-Politikerin lobte das Urteil der Mannheimer Richter: Es habe das "Vertrauen in die Unabhängigkeit der deutschen Justiz" gestärkt.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP