Politik

Ecuadors Präsident im Interview mit n-tv.de "Unsere Kugeln sind die Wählerstimmen"

Rafael Vicente Correa Delgado im Gespräch mit Manfred Bleskin.

Rafael Vicente Correa Delgado im Gespräch mit Manfred Bleskin.

Rafael Vicente Correa Delgado ist seit 2007 Präsident von Ecuador. Der in den USA promovierte Wirtschaftswissenschaftler verfolgt mit anderen lateinamerikanischen Staatschefs das Ziel, einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu errichten, der die Exzesse der Vergangenheit überwindet. Mit n-tv.de sprach er über die "Revolutción Ciudadana", aber auch über Wikileaks-Gründer Assange und den Handel mit der EU.

n-tv.de: Worum geht es bei Ihrem Besuch in Deutschland?

Rafael Correa: Natürlich ist der Handelsaustausch wichtig. Vor einigen Wochen hat Ihr Staatssekretär für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unser Land als ökonomischen Jaguar bezeichnet. Das gefällt mir. Ecuador kann auf ein sehr dynamisches Wirtschaftswachstum verweisen. Wir sind zahlungsfähig und können auf Erfolge bei der Beseitigung der Armut verweisen. Wir investieren immens viel in den öffentlichen Sektor, in Wissenschaft und Technologie. Jetzt ist der richtige Moment, um in Ecuador zu investieren. Mit den Vertretern Ihrer Regierung haben wir auch über das Handelsabkommen mit der EU gesprochen, über das wir schon seit einigen Jahren verhandeln.

In Ihrem Land findet eine tiefgreifende Umgestaltung statt, die Sie "Revolución Ciudadana", Bürgerrevolution, nennen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass dabei die Freiheit, namentlich die der Presse, beschnitten wird.

Europa sollte Lateinamerika besser kennenlernen. Bei uns herrscht totale Meinungsfreiheit. Man darf aber nicht beleidigen, lügen oder Desinformationen verbreiten. Einige Journalisten und Medien meinen, sie stünden über dem Gesetz. Sie schreiben zum Bespiel, ein Journalist wäre mit einer Strafe belegt worden. Aber es war ein Verkehrspolizist, der ihn wegen Geschwindigkeitsübertretung bestraft hat. Dann heißt es, das wäre ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Apropos Meinungsfreiheit: Was passiert mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange, der sich in Ihrer Botschaft in London befindet?

Mit allem Respekt: Diese Frage müssen Sie Großbritannien, Schweden oder Europa stellen. Ecuador hat gemacht, was gemacht werden musste. Es ist das souveräne Recht eines jeden Landes, Asyl zu gewähren. Assange kann die Botschaft in London morgen verlassen, wenn Großbritannien ihm freies Geleit gewährt.

Das bedeutet, dass Sie Assange weder den britischen noch den nordamerikanischen Behörden übergeben?

Niemals! Assange steht unter dem Schutz des ecuadorianischen Staates. Es sei denn, er selbst wünscht dies.

Aus Anlass des Ablebens des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez haben Sie gesagt, seine Träume wären auch die Träume Ecuadors. Welche Zukunft hat die "zweite Befreiung" Lateinamerikas im Licht des knappen Wahlsiegs des Linkskandidaten bei den Präsidentenwahlen in Venezuela und angesichts der sehr gespannten Lage dort?

Hugo Chávez war auch ein Opfer medialer Desinformation. Er ist weltweit der Einzige, der so viele Wahlen gewonnen hat. Aber in der Propaganda gegen ihn hieß es, es gäbe keine Demokratie in Venezuela, weil nicht diejenigen die Wahlen für sich entschieden, die mancher gern als Sieger gesehen hätte. Der demokratische Prozess muss weitergehen, der Wille des venezolanischen Volkes respektiert werden. Der Bürger Nicolás Maduro, der gewählt wurde, muss weitermachen.

Was erwarten Sie von der zweiten Amtszeit des US-Präsidenten?

Persönlich halte ich ihn für einen guten Menschen. Ich habe das Volk der Vereinigten Staaten sehr gern. Ich habe dort mit meiner Familie vier sehr glückliche Jahre lang gelebt. Ich besitze zwei nordamerikanische Universitätsabschlüsse. Die US-Politik, vor allem die gegenüber Lateinamerika und abgesehen von den Invasionen und Aggressionen, fußt auf einer fürchterlichen Doppelmoral. Regierungen, die sich unterordnen, sind die Guten, wie korrupt oder diktatorisch sie auch immer sein mögen. Wir, die Nichtangepassten, sind die Bösen, wie demokratisch wir auch immer gewählt sein, wie sehr wir auch die Menschenrechte achten mögen. An den Zielen hat sich bei Obama nichts geändert. Wir werden weiterkämpfen, um eine bessere Außenpolitik der USA vor allem gegenüber Lateinamerika zu erreichen.

Wie bewerten Sie Ihre Beziehungen zu Kolumbien, besonders angesichts der gegenwärtigen Friedensgespräche zwischen Regierung und der kommunistischen Guerilla FARC-EP?

Mit dem Regierungswechsel (2010 von Präsident Álvaro Uribe Vélez zu Präsident Juan Manuel Santos, anm. d. Red.) haben sich die Beziehungen verbessert. Die Friedensgespräche, die von Juan Manuel Santos sehr mutig aufgenommen wurden, gehören zu den besten Nachrichten der vergangenen zehn Jahre in Lateinamerika. Alle Lateinamerikaner, alle Menschen guten Willens sollten diesen Friedensprozess unterstützen, damit die Gewalt in Kolumbien beendet wird. Auch Ecuador leidet unter der Gewalt: Wir geben Hunderte von Millionen Dollar für den Schutz unserer Grenzen aus, um das Eindringen Bewaffneter zu verhindern. Aber es geht nicht um uns. Es geht um Kolumbien. Der Konflikt dort hat zu viele Opfer gefordert.

Lassen Sie uns noch einmal über Ihr Land reden. In Ecuador spricht man davon, den Sozialismus des 21. Jahrhunderts errichten zu wollen. Was bedeutet das?

Vor allem soziale Gerechtigkeit. Es gibt Übereinstimmungen mit dem traditionellen Sozialismus, so eben das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, die Planung, die fundamentale Rolle des Staates bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Wir sind aber keine Staatsfetischisten. Der Staat als institutionalisierter Repräsentant der Gesellschaft widerspiegelt die kollektiven Interessen. Es kommt darauf an, das richtige Gleichgewicht zwischen Staat und dem Wirken der Gemeinschaft auf der einen, und den Interessen eines Individuums auf der anderen Seite zu finden. Wir wollen aber die Fehler des klassischen Sozialismus nicht wiederholen. Wir wollen keine Gewalt. Unsere Soldaten sind unsere Bürger, unsere Kugeln sind die Wählerstimmen. Wir wollen im 21. Jahrhundert keinen Klassenkampf. Wir sind Pazifisten. Das Wichtigste ist, für unsere Völker den Frieden zu bewahren.

Das Gespräch führte Manfred Bleskin

Quelle: ntv.de

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