Merkel will klare Worte Vatikan weist Kritik zurück
03.02.2009, 20:42 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel hat vom Papst nach der Rücknahme einer Kirchenstrafe für den britischen Holocaust-Leugner Richard Williamson eine Klarstellung gefordert. In einer ungewöhnlichen Reaktion auf die strittige Personalentscheidung des deutschen Papstes erklärte Merkel: "Es geht darum, dass von Seiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann." Dies sei aus ihrer Sicht "noch nicht ausreichend erfolgt", sagte die CDU-Vorsitzende und Protestantin in Berlin und sprach von einer "Grundsatzfrage".
Der Vatikan verwahrte sich gegen Kritik von der Bundeskanzlerin am Papst und machte deutlich, dass er die Forderung der Kanzlerin für unangebracht hält. Die Verurteilung jeder Holocaust- Leugnung durch den Papst hätte "klarer nicht sein können", sagte der Sprecher des Vatikans, Federico Lombardi. Er verwies darauf, dass das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zuletzt am vergangenen Mittwoch seine "volle Solidarität" mit den Juden bekräftigt und sich von einer Leugnung der Judenvernichtung distanziert habe. Begrüßt wurde Merkels Intervention dagegen von dem Tübinger Theologen Hans Küng und der "Initiative Kirche von unten".
Mit ihrer Forderung an den Papst, seine Haltung zu Holocaust-Leugnern klarzustellen, hatte sich Merkel in die Schar der Kritiker des deutschen Pontifex Maximus eingereiht. Die Kanzlerin betonte, dass sie normalerweise innerkirchliche Entscheidungen nicht bewerte oder kommentiere. "Allerdings ist das anders, wenn es um Grundsatzfragen geht", sagte Merkel.
Unterdessen gerät Benedikt XVI. wegen der Rücknahme der Exkommunikation von vier Traditionalisten-Bischöfen auch in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck.
Beispielloses Vorgehen
Nach Einschätzung des Papst-Schülers Wolfgang Beinert ist das Vorgehen von Benedikt in der 2000-jährigen Geschichte der katholische Kirche beispiellos. Bisher hätten Gruppierungen, die im Widerspruch zum Papst standen, immer erst ihren Auffassungen abschwören müssen, bevor sie wieder in die Kirche aufgenommen werden konnten, sagte der Theologie-Professor dem Bayerischen Rundfunk. Die Bischöfe der Piusbruderschaft seien aber teilweise rehabilitiert worden, ohne dass sie ihre abweichenden Auffassungen hätten revidieren müssen. Beinert, mittlerweile emeritiert, war einst Assistent von Joseph Ratzinger und übernahm später wie der heutige Papst einen Dogmatik-Lehrstuhl an der Regensburger Universität.
Beinert bezweifelt, dass man in Rom nichts über die antisemitischen Auffassungen von Bischof Williamson gewusst hat. Wenn nicht der Papst, so hätte zumindest der für die Pius-Bruderschaft zuständige Kardinal von der Holocaust-Leugnung Williamsons wissen müssen. Schließlich sei die skandalöse Äußerung ja bereits im November vergangenen Jahres im Seminar der Piusbruderschaft in Zaitzkofen bei Regensburg gefallen. Williamson bestreitet die Ermordung von sechs Millionen Juden in den Nazi-Gaskammern.
Fundamentale Fehler
Auch andere Theologen warfen dem Papst fundamentale Fehler vor, welche die Effektivität seines Pontifikat infrage stellten. "Er ist umgeben von Leuten, die nicht so intelligent sind wie er, und denen es nie in den Sinn käme, ihm zu widersprechen", sagte Pater Tom Reese vom Theologischen Zentrum der Georgetown-Universität in Washington.
Mehrere katholische Bischöfe in Deutschland äußerten ihr Unverständnis über die Rehabilitation Williamsons, der sich inzwischen beim Papst für Unannehmlichkeiten zwar entschuldigt, seine umstrittenen Äußerungen aber nicht zurückgenommen hat. "Wer den Holocaust leugnet, hat keinen Platz in der katholischen Kirche", erklärte der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Ähnlich äußerte sich auch sein Osnabrücker Kollege Franz-Josef Bode, der im NDR von völlig irritierten Gemeindemitgliedern sprach. Der Papst habe mit der Rehabilitation zwar einen Riss in der Kirche kitten wollen. "Aber es hätte nicht passierten dürfen, dass es sich auf einen Menschen bezieht, der den Holocaust leugnet", sagte Bode. "Da ist der Papst schlecht beraten gewesen."
Falsche Berater
Auch Benedikts Biograf Peter Seewald hält den Papst für falsch beraten. "Es ist völlig unvorstellbar, dass er die Äußerungen gekannt hat. Sonst hätte er niemals die Exkommunikation aufgehoben", sagte Seewald dem "Focus". "Dieser Vorgang macht deutlich, dass es hinter den Mauern des Vatikans an Professionalität fehlt und zum Teil Naivität vorherrscht. Man hätte diese Krise mit etwas mehr Präzision leicht vermeiden können." Seewald gilt seit seinem Interviewbuch "Salz der Erde" von 1996 als enger Vertrauter von Joseph Ratzinger.
Persönliche Unfehlbarkeit
Scharfe Kritik am Papst kam vom Tübinger Theologen Hans Küng. Benedikt versuche immer noch, den Eindruck persönlicher Unfehlbarkeit in wichtigen Entscheidungen aufrechtzuerhalten, auch wenn er die Rehabilitation der ultrakonservativen Bischöfe eigentlich zurücknehmen müsste. "Wer unfehlbar sich fühlt, macht auch unfehlbare Fehler", sagte Küng im Bayerischen Rundfunk. Nach Einschätzung des Magdeburger Bischofs Gerhard Feige hat die Entscheidung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche geschadet.
Für die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" ist die Rücknahme der Exkommunikation des Holocaust-Leugners Williamson "ein diplomatischer und kirchenpolitischer Super-GAU." Es sei "schon eine große Unterlassungssünde", wenn der Vatikan den Sachverhalt nicht gründlich prüft, sagte Sprecher Christian Weisner. "Bei Befreiungstheologen sieht man sehr viel genauer hin", ergänzte Weisner an die Adresse von Benedikt XVI.
Kurie räumt Fehler ein
Inzwischen räumte der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper bei Radio Vatikan ein: "Es sind mit Sicherheit Fehler im Management der Kurie gemacht worden." Der für die Beziehungen zum Judentum zuständige Kardinal zeigte sich zutiefst besorgt über die durch die Aufhebung der Exkommunikation gegen die Traditionalisten ausgelöste Debatte und sprach von einem entscheidenden "Mangel an Kommunikation im Vatikan". Dabei nahm er auch Bezug auf ähnliche "Betriebsunfälle" des deutschen Pontifex - wie etwa die Regensburger Rede, die 2006 durch ein Zitat über den Islam heftige Proteste in der islamischen Welt ausgelöst hatte.
Dialog mit Judentum schwer beschädigt
Jüdische Organisationen halten den Dialog mit der katholischen Kirche für schwer beschädigt. "Wir waren auf diesem Kurs von Versöhnung schon so weit vorangekommen in den letzten 50 Jahren, vor allem der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat mit seiner Herzlichkeit und Wärme hier so viel bewegt. Dass dieser Kurs nun verlassen wird – ausgerechnet von einem deutschen Papst – tut uns weh", sagte Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei n-tv. Die Kirche müsse wissen, "wen sie sich da ins Boot holt". Graumann: "Ich glaube, wer mit Schmutz werfende Hetzer umarmt, wird auf die Dauer selbst nicht sauber bleiben können." Es werde Zeit, dass diese "schlimme Fehlentscheidung" korrigiert wird.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland überprüft derzeit seine Teilnahme an der "Woche der Brüderlichkeit" in Hamburg. Die zentrale Eröffnungsveranstaltung mit Bundespräsident Horst Köhler ist für den 1. März geplant. Laut Graumann ist noch keine Entscheidung gefallen.
"Angelegenheit beigelegt"
Benedikt und allen seinen Mitarbeitern liege auch künftig an guten Beziehungen zum Judentum, sagte Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone der katholischen Zeitung "Avvenire". Die Bruderschaft habe sich von Äußerungen ihres Mitbruders distanziert und den Papst "für diese unerfreuliche Episode um Verzeihung gebeten", erinnerte Bertone. Der Papst selbst habe sich am vergangenen Mittwoch klar dazu geäußert, "die Angelegenheit ist aus meiner Sicht beigelegt".
Quelle: ntv.de