Links oder rechts? Venezuela am Scheideweg
16.12.2012, 10:05 Uhr
Die Anhängerschaft von Präsident Chavez ist groß.
(Foto: AP)
Der Ausgang der Gouverneurswahlen in Venezuela hat weit mehr als nur regionale Bedeutung. Angesichts des schlechten Gesundheitszustandes von Staatschef Chávez könnte ein Sieg der rechten Opposition ein Zeichen gegen die "bolivarische Revolution" setzen.
Dunkle Wolken hängen seit Tagen über Caracas, immer wieder unterbrochen von sonnigen Abschnitten. Doch es ist nicht nur der für die Jahreszeit typische wolkenverhangene Himmel, der die Menschen hier nach oben blicken lässt. Die Anhänger von Staatspräsident Hugo Chávez Frías, der sich in Kuba einer abermaligen Krebsoperation unterziehen musste, fürchten um das Leben ihres Idols. In vielen Kirchen finden Fürbitten für den gläubigen Katholiken statt. Der Nachrichtensender Telesur übertrug die Gebete live. Auch die muslimische Gemeinde hat für den "Comandante", wie der 58jährige von seinen Anhängern genannt wird, gebetet.
Am Nachmittag strömten trotz des Regens Tausende von "Chavistas" auf die Plaza Bolívar im Herzen von Caracas zu einer Kundgebung mit dem bolivianischen Staatschef Evo Morales, der zu einem Votum für die Kandidaten der vereinten Linken aus Chávez’ Vereinigter Sozialistischer Partei und deren Verbündeten der Kommunistischen Partei sowie weiteren kleineren Linksparteien aufrief.
Morales weiß wie die anderen linken Präsidenten des Subkontinents: Kippt der "Chavismo", bedeutet dies Gefahr für sie selbst. Schon am Vormittag hatte das Militär seine Patrouillen in der Innenstadt verstärkt. Zusammenstöße zwischen den Lagern wären aber nicht befürchtet worden, hieß es. Mit dabei Venezuelas Vizepräsident Nicolás Maduro, den Chávez für den Fall seines Ablebens zum Nachfolger ernannt hat.
Dies passierte zum ersten Mal: Bei vorherigen Operationen hatte der Präsident immer wieder betont, er wolle sein Mandat bis zum Ende der Wahlperiode 2019 ausüben. Auf heftigen Widerspruch ist hier die Weigerung von US-Präsident Barack Obama gestoßen, Chávez Genesung zu wünschen. Auch Obama ist sich bewusst, dass ein Ende der Linksentwicklung in Venezuela der Beginn einer Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten seiner Verbündeten in Kolumbien und Chile bedeuten kann.
Bedeutsame Abstimmung
Wenn die knapp 19 Millionen Wahlberechtigten an diesem Sonntag über die Neubesetzung der Gouverneursposten in den 23 Bundesstaaten und im Hauptstadtdistrikt Caracas abstimmen, hat dies also nur auf den ersten Blick regionale Bedeutung. Angesichts des ernsten Gesundheitszustandes des Staatspräsidenten wird der Urnengang zu einer Abstimmung über den weiteren Weg des erdölreichen südamerikanischen Landes. Chávez hatte die Präsidentenwahlen im Oktober bei einer Beteiligung von mehr als 80 Prozent klar für sich entschieden. Damit verbunden war zweifellos ein Votum für die Weiterführung der "bolivarischen Revolution", wie die schrittweise Umgestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen hier genannt wird. Doch ist die Zustimmung allzu sehr auf Chávez’ Person ausgerichtet. Sollte es der Linken nicht gelingen, ihre Vormachtsstellung zu verteidigen, wäre dies ein Zeichen für den Beginn einer Umkehr.
Die Umfragen sind parteipolitisch geprägt: Die mehrheitlich oppositionelle Presse sagt der vereinten bürgerlichen und rechten Opposition den Sieg des bei den Präsidentenwahlen unterlegenen Henrique Capriles Radonski voraus. Dieser bewirbt sich um die Wiederwahl für das Amt des Gouverneurs des bevölkerungsreichen Bundesstaates Miranda; die regierungsnahen und linken Medien erwarten das genaue Gegenteil. Abgestimmt wird mit elektronischen Wahlautomaten, welche der Nationale Wahlrat CNE in einem logistischen Gewaltakt auf die insgesamt weit mehr als 11.000 Wahllokale verteilt hat. Die Stromversorgung sei gesichert, hieß es aus dem Ministerium für Elektroenergie. Sollte – wegen heftigen Regens – die Stromversorgung ausfallen, stünden Akkus und Notstromaggregate bereit, erklärten uns Mitarbeiter des CNE. Doch der liebe Gott steht ja auf Chávez Seite und wird keinen Blackout zulassen. Meinen zumindest die Gläubigen unter den "Chavistas".
Quelle: ntv.de