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Von Jordanien bis Iran Verfolgung von Lesben und Schwulen in Nahost immer brutaler

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Selbstporträt des iranischen Fotografen Ashkan Shabani. Das Bild zeigt ihn mit seinem Partner im Geschäft eines Freundes. Über Jahre war dies einer ihrer Treffpunkte. Trotz Ablehnung durch die Familie, gesellschaftlicher Diskriminierung und staatlicher Verfolgung versuchen queere Menschen auch im Iran, zu leben und zu lieben. In Teheran und vielen anderen Städten finden sie Wege, die Einschränkungen zu überwinden.

Selbstporträt des iranischen Fotografen Ashkan Shabani. Das Bild zeigt ihn mit seinem Partner im Geschäft eines Freundes. Über Jahre war dies einer ihrer Treffpunkte. Trotz Ablehnung durch die Familie, gesellschaftlicher Diskriminierung und staatlicher Verfolgung versuchen queere Menschen auch im Iran, zu leben und zu lieben. In Teheran und vielen anderen Städten finden sie Wege, die Einschränkungen zu überwinden.

(Foto: ashkanshabani.com)

LGBTIQ+-Gemeinschaften im Nahen und Mittleren Osten sind zunehmend staatlichen Repressalien ausgesetzt. Auch in einst liberalen Ländern wird über die Todesstrafe für diese Menschen diskutiert. Für Aktivisten sind es Ablenkungsmanöver vom Versagen der Politik.

Innerhalb weniger Monate wurde das umstrittene Cybercrime-Gesetz in Jordanien durch das Parlament gepeitscht, und dann von König Abdullah II. verabschiedet: Seit Kurzem ist die "Anstiftung zur Unsittlichkeit" in Jordanien strafbar. Auch schwammige Tatbestände wie die Verbreitung von "Fake News" und die "Untergrabung der nationalen Einheit" werden von dem neuen Gesetz erfasst, das Onlinebeiträge kriminalisiert.

Den Beschuldigten drohen bis zu drei Jahre Haft und Geldbußen bis zu 25.000 Euro. Journalisten, Oppositionelle, vor allem aber die LGBTIQ+-Gemeinschaft, also Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und queere Menschen befürchten eine Ausweitung der Repressalien. Denn das Gesetz bedroht die Möglichkeit, sich anonym im Netz zu bewegen, weil es den Zugang zu entsprechenden Browsern wie Tor verbietet, die oft auch von der queeren Community genutzt werden, um sich mit verdeckter Identität austauschen zu können.

Ein Sündenbock muss her

Dabei ist Jordanien eines der wenigen Länder im Nahen Osten, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht strafbar sind. Allerdings werden sie im konservativen Königreich auch nicht geduldet. Je sichtbarer die LGBTIQ+-Gemeinschaft in den vergangenen Jahren wurde, desto mehr nahm der Druck auf sie zu. Aktivisten berichten von Entführungen durch die Geheimpolizei und Zwangsouting bei den Familien. Seit August blockiert die Regierung den Zugang zu Grindr, einer Dating-App, die von queeren Menschen genutzt wird. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fürchtet, dass das neue Gesetz dazu genutzt werden könnte, solche Praktiken auszudehnen.

Für Homosexuelle im Iran gibt es Liebe nur im Verborgenen. Das Selbstporträt des Fotografen Ashkan Shabani zeigt ihn mit seinem Partner an einem abgeschiedenen Ort im Norden des Iran, in den Hyrkanischen Wäldern am Kaspischen Meer. Hier trafen sie sich, nachdem sie sich in sozialen Medien kennengelernt hatten. Ashkan hat den Iran mittlerweile verlassen.

Für Homosexuelle im Iran gibt es Liebe nur im Verborgenen. Das Selbstporträt des Fotografen Ashkan Shabani zeigt ihn mit seinem Partner an einem abgeschiedenen Ort im Norden des Iran, in den Hyrkanischen Wäldern am Kaspischen Meer. Hier trafen sie sich, nachdem sie sich in sozialen Medien kennengelernt hatten. Ashkan hat den Iran mittlerweile verlassen.

(Foto: ashkanshabani.com)

Für Menschenrechtsaktivisten hat der Backlash einen politischen Grund: Dem Land gehe es wirtschaftlich schlecht, da brauche es einen Sündenbock, um vom Versagen der Politik abzulenken. Zudem finden im nächsten Jahr Parlamentswahlen statt. Der jordanische Ableger der Muslimbruderschaft wirbt für sich, indem er Hass gegen LGBTIQ+-Menschen schürt. Als im Juni ein queerer ägyptischer Film in Amman gezeigt werden sollte, wurde die Aufführung auf Druck islamistischer Parlamentarier abgesagt.

Irak: Parlament diskutiert Todesstrafe

Auch in anderen Ländern der Region nehmen die Repressalien gegen die Community zu. Im Irak wurde kürzlich im Parlament gar die Möglichkeit diskutiert, Homosexualität mit dem Tod zu bestrafen. Auch hier scheint der Zeitpunkt des Vorstoßes bewusst gewählt, um von den zahlreichen innen- und außenpolitischen Konflikten abzulenken. Denn das ölreiche, aber von Krieg verwüstete Land kämpft mit einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise. Auch aus diesem Grund entstand dort im Oktober 2019 eine Protestbewegung: Mehrere Monate lang demonstrierten Hunderttausende gegen steigende Arbeitslosigkeit, gegen Korruption und mangelnde Demokratie. Nur durch Repression und Coronaeinschränkungen konnten die Aufstände unterdrückt werden.

Dennoch gingen im vergangenen Jahr Tausende auf die Straßen, um den dritten Jahrestag der Demonstrationen zu begehen. Die Machthaber fürchteten wohl, dass es im Oktober wieder zu Ausschreitungen kommen könnte, was jedoch nicht geschah.

"Sexuelle Abweichung"

Zwar steht im Irak gleichgeschlechtlicher Sex offiziell nicht unter Strafe. Die Behörden nutzen aber ein Gesetz gegen Prostitution, um trotzdem Strafen zu verhängen. Eine im vergangenen Jahr von HRW veröffentlichte Untersuchung kam außerdem zu dem Ergebnis, dass staatlich unterstützte bewaffnete Gruppen LGBTIQ+-Menschen entführen, vergewaltigen, foltern und töten.

Im März 2020 bezeichnete der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr gleichgeschlechtliche Ehen als einen der Gründe für die Ausbreitung des Coronavirus. Im August dieses Jahres wurde eine Richtlinie erlassen, die Medien des Landes anweist, das Wort "Homosexualität" durch "sexuelle Abweichung" zu ersetzen.

Iran: Todesstrafe und Hetze in Afrika

Besonders dramatisch ist die Situation im Iran - und das schon seit Jahrzehnten. Die Gemeinschaft lebt versteckt, die Menschen werden nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich geächtet. Schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich zu sein, gilt in konservativen und streng religiösen Kreisen als psychische Krankheit, die heilbar sein soll. Verzweifelte Betroffene wählen sogar den Weg einer operativen Geschlechtsangleichung, die das Regime seit der offiziellen Legalisierung durch den früheren Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini befürwortet. Denn in den Augen der herrschenden Kleriker dienen die Operationen dem Ziel, eine "Krankheit" zu heilen und die Betroffenen in die traditionellen Kategorien von heterosexuellen Männern oder Frauen einzupassen.

Hingegen gilt die gleichgeschlechtliche Liebe im Iran als Straftat und kann mit dem Tod bestraft werden. Tausende Menschen wurden seit der Islamischen Revolution 1978 hingerichtet. Laut Medienberichten wurden im September 2022 erstmals zwei Frauen hingerichtet, weil sie lesbisch gewesen sein sollen. Nach einem internationalen Aufschrei behauptete das Regime, die beiden seien in Menschenhandel verwickelt gewesen.

Als der iranische Präsident Ebrahim Raisi im Juni Uganda besuchte, betonte er den Konservatismus als gemeinsame Überzeugung. Der Westen versuche, "Homosexualität als ein Zeichen von Zivilisation darzustellen, obwohl dies eines der schmutzigsten Dinge ist, die in der Geschichte der Menschheit geschehen sind", befand Raisi. Sein Besuch auf dem afrikanischen Kontinent war der erste eines iranischen Staatschefs seit mehr als einem Jahrzehnt. Iran leidet unter schweren Wirtschaftssanktionen der USA und versucht, neue Verbündete zu finden. In Uganda wurde ein Anti-Homosexuellen-Gesetz verabschiedet, das gar die Todesstrafe vorsieht.

Wer ins Ausland flieht, etwa nach Deutschland, muss hierzulande im Asylverfahren glaubhaft machen, dass ihm wegen seiner sexuellen Orientierung Repressalien in seiner Heimat droht. Doch gibt es immer wieder Abschiebungen queerer Personen in ihre Herkunftsländer, wo diesen die Verfolgung droht. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg berichtet, dass momentan viele seiner iranischen Klienten große Angst haben, in den Iran zurückkehren zu müssen, sollte ihr Asylantrag abgelehnt werden.

Libanon: Hass gegen LGBTIQ+-Community eint die zerstrittene Politik

Galt der Libanon bislang als tolerant gegenüber der LGBTIQ+-Gemeinde, ist auch hier die Community in den vergangenen Monaten zunehmend ins Visier der Politik geraten. Auch der Libanon befindet sich seit 2019 in einer Wirtschaftskrise, für welche die politische Führung verantwortlich gemacht wird, die seit Jahrzehnten an der Macht ist. Laut einem Artikel im Strafgesetzbuch sind hier sexuelle Beziehungen verboten, die "den Gesetzen der Natur zuwiderlaufen". Dieser Artikel wird immer häufiger gegen Homosexuelle angewendet. Während die Politiker untereinander zerstritten sind, sind sich die politische und die religiöse Führung des Landes in ihrem Hass gegenüber der LGBTIQ+-Community einig.

Als im Juli einige Parlamentarier die Abschaffung des Artikels forderten, zogen sie damit die Wut der Mehrheit der Abgeordneten auf sich. Hassan Nasrallah, Chef der islamistischen Hisbollah, rief dazu auf, für homosexuelle Menschen die Todesstrafe einzuführen. Ein sunnitischer Abgeordneter kündigte einen Gesetzesentwurf an, der jeden Versuch, Homosexualität zu legalisieren, unter Strafe stellen soll. Viele Angehörige der LGBTIQ+-Community ziehen sich angesichts solcher Forderungen zurück. Tarek Seidan, Chef der 2004 gegründeten Aktivistengruppe Helem, sagte, die Politiker machten eine verletzliche Gruppe zu Sündenböcken, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. "Haben irgendwelche dieser Leute Lösungen für Wasser, Strom und die Gesundheitsversorgung?", kritisierte Seidan. "Sie haben nichts. Und wenn sie nichts zu bieten haben, schaffen sie einen Feind."

Türkei: Erdoğan beschimpft Opposition als "LGBT"

Auch für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist die Abkürzung LGBTIQ+ ein Schmähwort. Noch vor wenigen Jahren hatten Zehntausende Menschen in Istanbul eine Pride-Parade gefeiert. Heute wäre das undenkbar. Seit 2015 werden in der Türkei Kundgebungen für die Rechte von queeren Menschen verboten. Je länger sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, desto häufiger wird politisch gegen die Community gehetzt.

Den Austritt aus der Istanbul-Konvention zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen 2021 rechtfertigte die Regierung damit, dass das Abkommen Homosexualität normalisiere. Nach einem Kesseltreiben der Regierung gingen 2022 in mehreren türkischen Städten Tausende Menschen auf die Straße, um ein Verbot "schwuler Propaganda" zu fordern. "Diese Nation hat keine LGBT", sagte Erdoğan kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Mai, er bezeichnete queere Personen als "pervers", und konnte mit dieser Rhetorik bei den religiös-konservativen Wählern punkten. Selbst direkt nach seinem Wahlsieg beschimpfte Erdoğan die abgehangene Opposition als "LGBT".

Die Fotos in diesem Text sind von Ashkan Shabani, ein iranischer Fotograf, visueller Storyteller, Videojournalist und LGBTQ+-Aktivist. Er beschäftigt sich mit sozialen Fragen und Menschenrechten, insbesondere mit LGBTIQ+-Rechten im Nahen Osten.

Quelle: ntv.de

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