Europa, Russland, USA "Verteidigung der Zivilisation"
23.05.2002, 00:00 UhrUS-Präsident George W. Bush hat in seiner mit Spannung erwartete Rede vor dem Deutschen Bundestag ausführlich Stellung zum so genannten Kampf gegen den Terror genommen. "In diesem Krieg verteidigen wir nicht nur Amerika, sondern die Zivilisation per se", erklärte Bush. Zugleich plädierte er dafür, die Lebensbedingungen ärmerer Völker zu verbessern. "Gewalt wird eine Niederlage erleiden, wenn wir mit Bildung und Wohlstand vorangehen", sagte Bush.
Das Militärbündnis der Nato bekomme mit dem Kampf gegen den Terror einen neuen Zweck, sagte Bush. Die Terroristen hassten Demokratie, Toleranz, Frauen, Juden und alle Moslems, die nicht ihrer Meinung seien. Sie kämpften im Namen einer falschen religiösen Reinheit und pervertierten den Glauben. Die Antwort auf die Bedrohungen müsse "konzentriert und vernünftig" sein und mehr als militärische Züge haben. Mehrfach wurde Bushs Rede durch den Applaus der Abgeordneten unterbrochen.
Schröder: "Historische" Rede
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) würdigte die Rede als "herausragend". Bushs Äußerungen über das Verhältnis des Westens zu Russland seien sogar "historisch". Bush, der nach seinem Deutschland-Besuch nach Russland weiter reist, hatte erklärt, er werde in Moskau die letzten Überreste des kalten Krieges beseitigen. Die Beziehungen zwischen Europa, den USA und Russland würden auf eine neue Basis gestellt. Bush und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin wollen einen Abrüstungsvertrag über den Abbau der meisten atomaren Langstreckenwaffen unterzeichnen.
Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) lobte Bushs Anmerkungen über die Bekämpfung der Armut. "Wenn das umgesetzt wird in Politik, dann war das wirklich eine historische Rede", sagte Fischer. Ebenso positiv äußerte sich die Führungsspitze der Union. Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sagte bei n-tv, Bush habe "die überwältigende Mehrheit der Deutschen" erreicht. CDU-Chefin Angela Merkel sprach von "außerordentlich beeindruckenden Worten".
Unruhe im Parlament
Vor der Rede war es im Parlament kurzzeitig unruhig geworden. Abgeordnete der PDS versuchten, ein Transparent mit der Aufschrift "Mr. Bush + Mr. Schröder stop your wars" zu entrollen. Saaldiener entrissen den PDS- Politikern das Transparent. PDS-Fraktionschef Roland Claus zeigte sich verärgert über den Zwischenfall und entschuldigte sich dafür bei Bush. "Die Demokratie hält das aus", antwortete der US-Präsident.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele verließ unmittelbar nach Beginn der Sitzung den Plenarsaal. Er halte es nicht für richtig, „für diese Politik begeistert zu klatschen“, sagte Ströbele zur Begründung.
Treffen Schröders mit Bush
Am Vormittag hatten sich Schröder und Bush zu einem zweistündigen Gespräch im Berliner Kanzleramt getroffen. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen seien in einem ausgezeichneten und freundschaftlichen Zustand, sagte Schröder im Anschluss. Die Gespräche mit Bush bezeichnete er als sehr positiv.
Bush stellte nach den Gesprächen klar, dass es keine konkreten Pläne für eine Aktion gegen das Regime des irakischen Präsidenten Saddam Hussein gebe. Hussein sei aber ein „gefährlicher Mann“, fügte Bush hinzu. Man könne nicht einfach tatenlos auf die Geschehnisse in Bagdad blicken in der Hoffnung, Hussein sei nicht bestrebt, Massenvernichtungswaffen gegen andere Staaten einzusetzen. Bush betonte, er sei froh, bei Schröder auf Verständnis für die amerikanischen Sorgen gestoßen zu sein. Amerika werde die Partner über alle geplanten Schritte informieren und setze im übrigen weiterhin auf die Unterstützung im Kampf gegen den Terror.
Der Kanzler und seine Frau hatten den Präsidenten und dessen Gemahlin Laura zuvor bei strahlendem Sonnenschein im Garten des Kanzleramtes in Berlin willkommen geheißen. Danach zogen sich die beiden Staatsmänner zurück. Beide hatten sich bereits am Vorabend, unmittelbar nach Bushs Ankunft, bei einem Abendessen gesehen.
Auftakt mit Rau
Zum offiziellen Beginn seines Besuchs in Deutschland war Bush zuvor von Bundespräsident Johannes Rau mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen worden. Im Gespräch mit Rau bekräftigte Bush seine Entschlossenheit im Kampf gegen den Terror. Die Mitglieder des El-Kaida-Terroristennetzes von Osama bin Laden bezeichnete der amerikanische Präsident nach Angaben aus Teilnehmerkreisen als Killer.
Demos fielen aus
Zum Besuch des US-Präsidenten geplante Demonstrationen sind reihenweise ausgefallen oder wegen zu geringer Teilnehmerzahl abgesagt worden. Am Mittwochabend waren bei Zusammenstößen von jugendlichen Demonstranten mit der Polizei am Rande eines friedlichen Protestmarsches 58 Personen festgenommen worden. Bei den Auseinandersetzungen in der Gegend um den Lustgarten in Berlin-Mitte wurden 44 Polizeibeamte und mehrere Demonstranten verletzt.
Eine für Donnerstagnachmittag geplante Demonstration auf dem Boulevard Unter den Linden unter dem Motto "Gegen den Krieg und die Kriegsbeteiligung deutscher Soldaten" wurde abgesagt. Ein als "Massensterben" angekündigter Protest fiel mangels Masse aus. Etwa 2.000 Menschen versammelten sich hingegen unter dem Motto "Kuhtreiber statt Kriegstreiber" und zogen durch die Mitte Berlins.
Weiterreise nach Moskau
Am Donnerstagabend traf Bush zu seinem ersten Besuch in Russland ein. Am Flughafen Wnukowo wurde er von Vizeregierungschef und Finanzminister Alexej Kudrin begrüßt, ehe er sich auf den Weg zu seiner Unterkunft in einem Hotel im Stadtzentrum von Moskau begab. Kurz vor der Ankunft des US-Präsidenten hatten mehrere hundert Anhänger der Linken vor der amerikanischen Botschaft in Moskau gegen die US-Politik und gegen das geplante Abrüstungsabkommen mit Moskau demonstriert.
Im Mittelpunkt der Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin stehen Abrüstungsfragen sowie der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Am Freitag ist die Unterzeichnung des Vertrags zur weiteren atomaren Abrüstung geplant. Das Abkommen sieht einen Abbau der Zahl der Atomsprengköpfe auf jeweils 1.700 bis 2.200 in den nächsten zehn Jahren vor. Derzeit verfügen beide Seiten über jeweils rund 6.000 Atomsprengköpfe.
Quelle: ntv.de