Haushaltsdebatte in Berlin Von Hüten und doppelten Zungen
03.12.2002, 00:01 UhrDie Stimmung ist schlecht - vor allem im Bundestag. Am ersten Tag der dreitägigen Haushaltsdebatte warf Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) der Union Doppelzüngigkeit vor. Vor der Wahl habe sie Schwarzweißmalerei betrieben, gleichzeitig aber Versprechungen von gut 21 Mrd. Euro gemacht.
Der Haushaltsexperte der Union, Dietrich Austermann, forderte Eichel im Gegenzug zum Rücktritt auf: "Nehmen Sie Ihren Hut. Sie haben versagt, wie kein Finanzminister vor Ihnen." Der Vizechef der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz, betonte, der von der Union geforderte Untersuchungsausschuss zum Thema "Wahlbetrug" werde beweisen, dass Eichel vor der Wahl über das Ausmaß der Finanzmisere gelogen habe. Vor dem Ausschuss sei Eichel "unter Strafandrohung zur Wahrheit verpflichtet" - "das ist der entscheidende Unterschied!"
FDP-Haushaltsexperte Günter Rexrodt verzichtete auf persönliche Angriffe gegen Eichel. Dessen Politik kritisierte er dennoch als konjunkturfeindlich und weltfremd.
Grüne drängen zu Reformen
SPD und Grüne stellten sich hinter Eichel. Die Grünen forderten allerdings mehr Energie bei der Durchsetzung von Reformen.
Die Finanzexpertin der Grünen, Antje Hermenau, warf den Ländern vor, sich hinter Eichel zu verstecken. 2,5 Prozent des diesjährigen Schuldenstands von 3,8 Prozent gingen auf Lasten aus der Vergangenheit zurück. Notwendig seien jetzt noch entschiedenere Reformen.
Der SPD-Haushaltsexperte Joachim Poß warf der Opposition Konzeptionslosigkeit vor. "Mit uns wird es keine Steuersenkungspolitik auf Pump geben", sagte er. Zurzeit gebe es keinen Spielraum für weitere Steuer- und Abgabensenkungen. "Die Alternative ist massiver Sozialabbau und Rückkehr in den Schuldenstaat. Das ist der Kern der Politik von Union und FDP."
"Arbeitslosigkeit wird steigen"
Dennoch kündigte Eichel neue Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme an. Die geplanten Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe um 2,9 Mrd. Euro würden nicht die einzigen Einschnitte bleiben. Für den Arbeitsmarkt zeichnete er ein düsteres Bild: "In diesem Winter wird die Arbeitslosigkeit wieder deutlich über vier Millionen steigen."
Eichel betonte, wenn die Reformen früher angepackt worden wären, gäbe es heute weniger Probleme. Der Staat zahle heute viel weniger Schuldzinsen als vor seinem Amtsantritt. Was Deutschland jetzt brauche seien "Macher und nicht Miesmacher".
Eichel bekräftigte das Ziel, im 2006 im Gesamthaushalt ohne neue Schulden auszukommen und 2003 die Defizitquote wieder unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken zu wollen.
Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, äußerte Zweifel an dieser Ankündigung. "Wir sind gewissermaßen besorgt darüber, dass es für sie (die Bundesregierung) schwierig werden könnte." Die EZB begrüße die Entscheidung der EU-Kommission, ein Defizitverfahren gegen Deutschland einzuleiten.
Die Zahlen
Trotz der Sparmaßnahmen nimmt die Neuverschuldung im Haushalt 2003 überplanmäßig um 3,4 Mrd. auf 18,9 Mrd. Euro zu. Der Haushaltsentwurf sieht Ausgaben von 247,9 Mrd. Euro vor. 200 Mio. Euro will Eichel noch bei den Beamten einsparen. 1,3 Mrd. Euro sollen verteilt über die Ministerien gekürzt werden.
Mit dem Nachtragsetat 2002 fängt Eichel die hohen Steuerausfälle ab, muss aber dazu die neuen Schulden kurzfristig um 13,5 Mrd. 34,6 Mrd. Euro wieder aufstocken – das ist die zweithöchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Im kommenden Jahr will Eichel die Finanzlöcher unter anderem durch eine schärfere Besteuerung von Wertpapier- und Immobilienverkäufen stopfen. Insgesamt sollen die Steuerzahler 3,6 Mrd. Euro zur Etatsanierung beitragen.
Quelle: ntv.de