Politik

Interview mit Jana Puglierin "Waffenlieferungen und Verhandlungen sind kein Gegensatz"

b78e98f7aca505fe2dd578ccffcf7e11.jpg

Putin am Mittwoch beim Besuch einer Rüstungsfabrik in St. Petersburg.

(Foto: AP)

Die Behauptung, dass Waffen keinen Frieden schaffen, sei "kein sinnvolles Argument, wenn ein Land ein anderes auslöschen will", sagt die Sicherheitsexpertin Jana Puglierin. "Wer so argumentiert, spielt Putins Narrativ in die Hände." Dass diese Position für viele Deutsche schwierig ist, kann Puglierin nachvollziehen: "Politiker aller Parteien haben den Deutschen in den letzten Jahrzehnten immer wieder gesagt, es gebe keine militärische Lösung. Der Bevölkerung jetzt zu erklären, dass die Möglichkeit für Verhandlungen militärisch vorbereitet werden muss - das ist für die Deutschen eine radikale Umkehr.

ntv.de: Häufig hört man den Satz "Kriege werden selten auf dem Schlachtfeld entschieden" als Argument gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Stimmt das: Werden Kriege nur selten auf dem Schlachtfeld entschieden?

Jana Puglierin: Historisch ist es so, dass der Ausgang eines Krieges auf dem Schlachtfeld zumindest vorbereitet wird. Es gibt Kriege, die mit dem klaren Sieg einer Seite enden - das klassische Beispiel dafür ist der Zweite Weltkrieg. Und es gibt Kriege, in denen eine Seite zwar nicht vernichtend geschlagen wird, aber militärisch kein Fortkommen sieht und sich deshalb zurückzieht. Beispiele dafür wären Russland in Afghanistan oder die USA in Vietnam. Zu sagen, Kriege würden nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, ist eine starke Vereinfachung. Wie der Satz: "Es gibt keine militärische Lösung."

Photo Jana Puglierin ECFR.jfif

Jana Puglierin ist die Leiterin des Berliner Büros der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR).

(Foto: ECFR)

Gibt es denn militärische Lösungen?

Das kommt darauf an, was man als Lösung ansieht. Russland etwa hat durch militärische Gewalt in Syrien absolut sein Ziel erreicht. Das Ziel war ja nicht Frieden, sondern zu verhindern, dass Assad abgesetzt wird. Auch bei der Annexion der Krim oder dem russischen Zündeln in der Ostukraine ab 2014 hat Russland seine Ziele mit militärischen Mitteln erreicht. Insofern springen beide Sätze zu kurz. Sie lassen außer Acht, dass Bedingungen militärisch ausgefochten werden, die Diplomatie erst möglich machen.

In der vergangenen Woche sagte Ex-General Erich Vad der Zeitschrift "Emma", die Annahme, dass Putin nicht verhandeln wolle, sei unglaubwürdig. Was meinen Sie: Will Putin verhandeln?

Russland legt eine Stadt nach der anderen in Schutt und Asche. Ich weiß nicht, wie man da auf die Idee kommen kann, dass Russland zu Zugeständnissen bereit ist. Russland signalisiert zwar vage Gesprächsbereitschaft, schafft aber gleichzeitig Fakten, die eine Verhandlungslösung unmöglich machen, etwa durch die völkerrechtswidrige Aufnahme der vier ukrainischen Regionen in die Russische Föderation.

Wird der Einstieg in Verhandlungen auch dadurch erschwert, dass die russischen Kriegsziele unklar definiert sind?

Das ist ein Irrtum, Russland hat klare Ziele.

Welche?

Die Russen haben am 17. Dezember 2021, also zwei Monate vor dem Krieg, zwei Vertragsentwürfe vorgelegt, den USA und der NATO. Sie haben darin klar skizziert, wie sie sich die europäische Sicherheitsordnung vorstellen. Sie wollen die Amerikaner aus Europa verdrängen, die NATO-Osterweiterung zumindest militärisch rückgängig machen sowie eine Rückkehr zu allgemein akzeptierten Einflusssphären. Was die russischen Ziele in der Ukraine angeht, kann man sich darüber unterhalten, ob Russland seine Kriegsziele den Realitäten auf dem Schlachtfeld anpasst.

Aber?

Was er will, hat Putin in seinem Aufsatz "Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern" im Sommer 2021 klargemacht. Er sagt darin, "wahre Souveränität" sei für die Ukraine nur im Verbund mit Russland möglich, die Ukraine sei Teil der "dreieinigen russischen Nation" und hat folglich kein Recht, als eigener Staat zu existieren. Auch drei Tage vor dem Überfall auf die Ukraine hat er das Kriegsziel klar benannt.

In der "Rede an die Nation" am 21. Februar 2022.

Das ist die Rede, in der er ankündigt, dass Russland die "Souveränität" der "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk anerkennen werde. Er wiederholt darin vieles aus seinem Aufsatz: Dass die Ukraine künstlich von den Bolschewisten ins Leben gerufen worden sei, dass sie "integraler Bestandteil" Russlands sei. Putins Kriegsziel ist das Auslöschen der ukrainischen Souveränität, ihrer Unabhängigkeit und Freiheit.

Sie meinen, Russland will die gesamte Ukraine annektieren?

Nicht unbedingt, aber es will Einfluss auf die gesamte Ukraine haben. Das war das Ziel seit 2014, darum ging es auch beim Minsker Abkommen. Minsk war für die Russen ein Weg, direkten Einfluss auf die Regierung in Kiew zu bekommen, auch wenn es am Ende nicht funktioniert hat. Wenn Russland von "Demilitarisierung" und "Denazifizierung" spricht, ist damit gemeint, dass die Ukraine kein souveräner, unabhängiger Staat sein soll, der seinen eigenen Weg bestimmen kann.

SPD-Chef Klingbeil hat gesagt, manchmal werde ihm "schwindlig", wenn er sehe, "dass sich Diskussionen nur noch um Waffen drehen", er sei "geschockt, wenn ich in diesen Tagen erlebe, wie der Begriff der Diplomatie fast verächtlich gemacht wird". Ist das für Sie eine zutreffende Einschätzung, dass Diplomatie in Deutschland verächtlich gemacht wird?

Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen in Deutschland nicht verstehen, warum keine Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs geführt werden. Politiker aller Parteien haben den Deutschen in den letzten Jahrzehnten immer wieder gesagt, es gebe keine militärische Lösung. Der Bevölkerung jetzt zu erklären, dass die Möglichkeit für Verhandlungen militärisch vorbereitet werden muss - das ist für die Deutschen eine radikale Umkehr. Trotzdem finde ich es problematisch, wenn Waffenlieferungen und Verhandlungen als Gegensatz dargestellt werden. "Waffen schaffen keinen Frieden", das ist kein sinnvolles Argument, wenn ein Land ein anderes auslöschen will. Wer so argumentiert, spielt Putins Narrativ in die Hände. Der Fairness halber muss man anmerken, dass Klingbeil das nicht macht, sondern auch gesagt hat, die Ukraine müsse militärisch gestärkt werden.

Inwiefern stärkt es Putins Narrativ, wenn man Waffenlieferungen und Verhandlungen als Gegensatz darstellt?

Wenn die westlichen Gesellschaften Druck auf ihre Regierungen ausüben, weil sie die militärische Unterstützung der Ukraine ablehnen, dann muss Putin nur abwarten, bis die Ukraine keine Hilfe mehr bekommt. Aber da wir gerade über die SPD gesprochen haben: Die SPD-Bundestagsfraktion hat in einem Papier zur Zeitenwende (pdf) die Grundvoraussetzungen für einen Frieden bekräftigt, die von den G7-Staaten im Oktober genannt wurden - und dazu gehört, dass die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden muss. Außerdem gelte bei jeglichen Verhandlungsbemühungen das Prinzip: nicht ohne die Ukraine, nicht über die Ukraine hinweg. Das ist für mich der richtige Ansatz.

Bundeskanzler Scholz findet, dass seine Regierung mit Blick auf Waffenlieferungen "klug abgewogene und international eng koordinierte Entscheidungen" trifft. Worin könnte, zum Beispiel, die kluge Abwägung liegen, im Dezember die Lieferung von "Marder"-Schützenpanzern und "Leopard"-Kampfpanzern auszuschließen und dies im Januar zuzusagen?

Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung die Ukraine zwar unterstützen will, aber gleichzeitig immer Sorge hat, dass sie dadurch eine Eskalation durch Russland herbeiführen könnte. Wenn der Bundeskanzler von "Besonnenheit" spricht, meint er, glaube ich, ein Vortasten. Die Amerikaner nennen das "boiling the frog", den Frosch kochen. Es geht darum, die Unterstützung der Ukraine langsam hochzufahren, um Russland nicht allzu sehr zu provozieren. Allerdings muss man auch sagen, dass die Bundesregierung sich lieber einreiht als voranzugehen.

Wie frei ist die Bundesregierung überhaupt in der Frage der Waffenlieferungen? Kann sie "klug abwägen" oder muss sie einfach tun, was die USA von ihr fordern?

Ich glaube, dass die Abstimmung zwischen Scholz und Biden sehr eng ist und dass die Sichtweisen der beiden auf den Krieg gar nicht so unterschiedlich sind. Und natürlich muss eine Bundesregierung nicht einfach machen, was die USA von ihr fordern - denken Sie an das Nein zum Irak-Krieg von Gerhard Schröder oder an die Haltung der Großen Koalition zu Nord Stream 2. Wenn Deutschland wollte, könnte es sagen: Das machen wir nicht. Die Bundesregierung fühlt sich aber ganz wohl damit, dass die USA die Führungsmacht sind. Umgekehrt lassen die USA Deutschland auch sehr viel Spielraum. Die USA bemühen sich, die Deutschen nicht sehr zu drängen, mehr zu tun. Sie wollen nicht wie damals unter Trump agieren. Es ist eher eine Ermunterung.

Was bedeutet das für den "Leopard"? Rechnen Sie damit, dass an diesem Freitag beim Treffen der Ukraine-Unterstützer in Ramstein die Lieferung von Kampfpanzern beschlossen wird?

Es wird wohl eine Koalition von Staaten geben, die liefern wollen. Ich gehe auch davon aus, dass Deutschland diese Lieferungen freigeben wird, sich wahrscheinlich sogar daran beteiligt. Es ist die gleiche Diskussion wie bei den "Marder"-Schützenpanzern. Ich frage mich wirklich, warum so etwas nicht besser vorbereitet wird. Stattdessen wurden deutsche Kampfpanzer und auch "Marder" für Ringtausche genutzt. Dabei war schon im September absehbar, dass die Ukraine früher oder später westliche Schützen- und Kampfpanzer brauchen würde.

Was sind für den neuen Verteidigungsminister die drei wichtigsten Baustellen, die jetzt angegangen werden müssen?

Die zentrale Aufgabe ist, unbedingt die Zeitenwende hinzukriegen, sich einzusetzen für die Bedürfnisse der Bundeswehr. Es ist natürlich ein Schock, wenn Eva Högl, die Wehrbeauftragte, sagt, dass man eigentlich nicht 100 Milliarden, sondern 300 Milliarden Euro bräuchte, um in der Bundeswehr etwas zu verändern. Aber ich glaube, dass sie Recht hat. Der neue Verteidigungsminister muss wissen, dass die Aufgabe immens ist und dass das Sondervermögen nicht reicht, wenn der reguläre Verteidigungshaushalt in den nächsten Jahren nicht steigt. Es muss außerdem dringend eine Reform des Beschaffungswesens geben. Und es ist wichtig, dass die Bundeswehr in die Lage versetzt wird, unsere NATO-Verpflichtungen einzuhalten.

Mit Jana Puglierin sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen