Elitesoldaten im Ausland Wagner? "Nur eine von 32 russischen Söldnerfirmen"
04.07.2023, 19:38 Uhr Artikel anhören
Ein Wandgemälde in der serbischen Hauptstadt Belgrad mit der Aufschrift: "Wagner-Gruppe - Russische Ritter"
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
In mindestens einem Dutzend Länder sind Wagner-Kämpfer aktiv. Die russischen Söldner kämpfen und töten nicht nur in der Ukraine, sondern seit mehreren Jahren vor allem in Afrika, damit Russland an lukrative Bodenschätze gelangt. Doch Wagner ist nicht allein.
Der Marsch auf Moskau auf halber Strecke abgebrochen, Söldner-Boss Jewgeni Prigoschin im Exil in Belarus. Die Zukunft der Gruppe Wagner ist nach dem geschichtsträchtigen vergangenen Wochenende in Russland offen. Präsident Wladimir Putin hat den Kämpfern drei Optionen gegeben: Rückkehr zu ihren Familien nach Russland, Eintritt ins reguläre russische Militär oder der Gang nach Belarus, wie ihr Chef.
Doch das ist anscheinend nur die halbe Wahrheit, da Russland den Worten von Außenminister Sergej Lawrow zufolge, seine "Verpflichtungen auf dem afrikanischen Kontinent" weiterhin wahrnehmen will. Unwahrscheinlich, dass Russland ohne die Wagner-Söldner diesen "Verpflichtungen" nachkommen kann. Prigoschins Gruppe ist schließlich nicht nur in der Ukraine, sondern bereits seit mehreren Jahren auch außerhalb Europas im Einsatz - in Syrien, Venezuela, aber vor allem in Afrika.
Schätzungen reichen bis zu 5000 in Afrika stationierten Wagner-Söldnern. "Mindestens 1600 bis 2000", das könne man gesichert sagen, sagt Severin Pleyer im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Pleyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundeswehr-Denkfabrik German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Erforschung privater Militärfirmen, so wie Wagner lange Zeit als solche galt.
Kampfname von Hitler-Verehrer Utkin
2014 wurde die Söldnergruppe gegründet, unter anderem von Dmitri Utkin und Jewgeni Prigoschin. Uktin, ein ehemaliger Oberstleutnant im russischen Militärnachrichtendienst GRU, hat eine Vorliebe für die Ideologie der Nationalsozialisten. Sein Kampfname "Wagner" wurde zur Bezeichnung der neuen Kampftruppe, in Anlehnung an Richard Wagner, den Lieblingskomponisten von Adolf Hitler. Der Oligarch Jewgeni Prigoschin ist auch als "Putins Koch" bekannt, weil seine Catering-Firma früher unter anderem auch den Kreml-Chef bekocht hat.
Schon kurz nach der Gründung übernahm Wagner Aufgaben in Syrien. Die Söldner kämpfen nunmehr seit fast zehn Jahren an der Seite von Machthaber Baschar al-Assad. Der Fokus ihrer Militäreinsätze außerhalb der Ukraine liegt aber auf dem afrikanischen Kontinent. Mindestens in zwölf Ländern ist Wagner präsent, sagt Experte Pleyer. Wahrscheinlich ist, dass die Truppe aber in weiteren Staaten aktiv ist. Die Wagner-Aktivitäten werden in vielen Ländern bislang zwar vermutet, konnten aber noch nicht überall bis ins letzte Detail nachgewiesen werden. Schätzungsweise zufolge ist oder war Wagner zeitweise bereits in bis zu 30 Ländern im Einsatz.
"Die Problematik ist, dass die Gruppe Wagner unter dem Dach der Holdinggesellschaft Concord agiert. Das ist ein Konstrukt, das mehr als 60 Firmen beinhaltet, von denen wir wissen. Goldfirmen, Minenbetreiber, aber auch Firmenanteile von Rosneft", erklärt Pleyer. Die Concord-Holding soll Geld für den russischen Staat beschaffen, führt der Experte aus. "Deshalb ist Wagner auch keine private Militärfirma im klassischen Sinne, sondern es ist ein semi-staatlicher Akteur."
Gold und Diamanten für Russland
Der Modus operandi ist fast überall der gleiche: Wagner unterstützt korrupte Regierungen und erhält im Gegenzug Zugang zu Bodenschätzen - Gold, Uran, Silizium und vieles mehr. "Nehmen wir das Beispiel der Zentralafrikanischen Republik. Da wird ganz gezielt der Präsident vor Ort geschützt und gestützt. Das wesentliche Geschäftsmodell ist es, militärischen Schutz anzubieten gegen Geld oder das Recht, Diamanten oder Gold abzubauen", erklärt Pleyer das Wagner-Prinzip.
Auch im Sudan mischt Wagner seit mehreren Jahren mit. Zunächst unterstützten die russischen Kämpfer Diktator Omar al-Baschir. Nach dessen Sturz 2019 begab sich der Kreml auf die Seite des sudanesischen Militärs, das schließlich Ende 2021 die Übergangsregierung wegputschte. Zuletzt hat die Wagner-Gruppe dann der RSF-Miliz Waffen zur Verfügung gestellt, wie CNN aufgedeckt hat. Im Gegenzug soll der Milizenchef dem russischen Präsidenten eine Militärbasis am Roten Meer versprochen haben. Außerdem hat der Kreml im Sudan ein Auge auf die Gold-, Diamant- und Uranvorkommen geworfen.
Viel Fluktuation in den Söldnerfirmen
Bei diesen Vorhaben setzt Moskau nicht nur auf Wagner. Mittlerweile gebe es gesicherte Erkenntnisse über 32 russische Söldnerfirmen in jeglicher Größenordnung, berichtet Pleyer im Podcast. Der russische Energieriese Gazprom etwa unterhält eine eigene Truppe.
"Die Söldner wechseln zwischen diesen Organisationen hin und her, sie schließen immer nur Verträge für zwei bis sechs Monate ab und wechseln immer zum Höchstbietenden", erklärt Pleyer das Prozedere.
Es handele sich bei den Söldnern um Spezialkräfte, die fast allesamt eine reguläre Ausbildung durch die Streitkräfte der Russischen Föderation genossen hätten, führt der Experte aus. "Das sind meist ehemalige GRU-Soldaten, das ist sozusagen die Elite der sogenannten Spetsnaz, der Spezialverbände. Was das Ausbildungsniveau betrifft, kann man sie am besten mit Navy Seals vergleichen."
"Wagner wird überschätzt"
Die Söldnertruppen haben den Vorteil, dass sie jahrelang offiziell nichts mit dem russischen Staat zu tun hatten. Söldnerfirmen sind in Russland per Gesetz verboten. Darauf hat der Kreml immer wieder hingewiesen und bei unangenehmen Nachfragen auf diese Weise die Verbindungen, etwa zu Wagner, geleugnet. Erst nach den Ereignissen rund um den versuchten Marsch auf Moskau musste Putin doch zugeben, dass die Prigoschin-Söldnerfirma komplett aus dem russischen Staatshaushalt finanziert wurde.
Die Vereinten Nationen haben in den vergangenen Jahren immer wieder über das brutale Vorgehen der Wagner-Kämpfer berichtet. Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Massengräber und Plünderungen sind keine Seltenheit, wenn Wagner aktiv ist. "Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung, davon ist auszugehen", macht Pleyer deutlich.
Wagner werde auch wegen dieses besonders brutalen Vorgehens und der damit oftmals verbundenen medialen Aufmerksamkeit in seiner Bedeutung jedoch überschätzt, analysiert Pleyer bei "Wieder was gelernt". Wagner suche im Vergleich zu den anderen russischen Söldnertruppen zwar stärker das Rampenlicht und ihr Chef Prigoschin habe es "geschafft, Wagner in der Öffentlichkeit als effektive Militärmaschine darzustellen". Die Realität sehe mitunter jedoch anders aus. "Ja, das sind effektive Kämpfer, aber nicht in einem konventionellen Bodenkrieg."
Prigoschin habe etwa in Bachmut darauf geachtet, "dass seine Elitekämpfer nicht abgenutzt werden", berichtet Pleyer. Wagner habe höchstwahrscheinlich "gezielt schlecht ausgebildete Gefangene vorgeschickt, um zu wissen, woher der Gegner feuert". Erst durch Rückgriff auf die Artillerie und Kampfflugzeuge des regulären russischen Militärs habe man den Gegner dann tatsächlich zurückdrängen können.
Verzichten wird Russland auf die Dienste der Söldner in Zukunft aber wohl kaum. Insbesondere in Afrika sind sie aus Kreml-Perspektive immer noch gut aufgehoben. Zumal sie dort für Moskau keine Bedrohung darstellen.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de