Trump ist "stolz" Wahlsieger Milei kündigt radikalen Umbau Argentiniens an
20.11.2023, 09:01 Uhr Artikel anhören
Javier Milei, künftiger Präsident Argentiniens
(Foto: REUTERS)
In Argentinien fegt der Libertäre Milei mit einem Erdrutschsieg die Peronisten aus der Regierung. Populisten sind begeistert: Bolsonaro gratuliert, Trump zeigt sich geradezu euphorisch. Der Wahlsieger kündigt einen drastischen Umbau des Landes an - und erwartet Widerstand.
Weniger als drei Wochen. So wenig Zeit hat der zu Argentiniens Präsidenten gewählte Libertäre Javier Milei, um seine Regierung zusammenzustellen und sich zu entscheiden, welche Schritte er nach dem politischen Erdbeben als Erstes geht. Die Inflation liegt bei über 140 Prozent, im Wahlkampf versprach er, sie "für immer zu beenden". Die Armut im südamerikanischen Land liegt wegen des permanenten Kaufkraftverlusts inzwischen bei 40 Prozent.
In seinen ersten Äußerungen bedankte Milei sich nur bei den "guten Argentiniern" für seinen Erdrutschsieg. Die anderen warnte er, gegen die fundamentalen Änderungen keinen "Widerstand" zu leisten. Dem südamerikanischen Land, der zweitgrößten Volkswirtschaft des Kontinents, stehen womöglich wilde Monate und Jahre bevor. Mit völlig offenem Ausgang.
Zunächst konnte der selbst benannte Anarchokapitalist, der in der Stichwahl gegen den Kandidaten des Regierungsbündnisses triumphal mit fast 56 Prozent gewonnen hatte, jedoch kurz auf die Anerkennung und Lobpreisung seiner internationalen Gesinnungsgenossen blicken. Donald Trump schickte Glückwünsche zur "großartigen Wahl" nach Süden. "MAKE ARGENTINA GREAT AGAIN!", schrieb der Ex-US-Präsident in Richtung Milei: "Die ganze Welt hat Ihnen zugesehen. Ich bin sehr stolz auf Sie." Auch Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro und dessen Sohn gratulierten.
In seinen beiden kurzen Siegesreden sagte der Ökonom zunächst vor Kollegen seiner Partei "La Libertad Avanza" ("Die Freiheit schreitet voran"), und danach vor Anhängern im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires: "Heute beginnt die Rekonstruktion Argentiniens!" Es gebe keinen Raum für graduellen Wandel. "Die Veränderungen, die das Land braucht, sind drastisch." Er zog Vergleiche mit dem Argentinien des 19. Jahrhunderts: "Wir werden wieder eine Weltmacht", kündigte er an. Dies werde 35 Jahre dauern. Noch nie in der argentinischen Geschichte blieb eine politische Strömung auch nur annähernd so lange an der Macht.
Zusammenstreichen, privatisieren, dollarisieren
Das mit Abstand wichtigste Anliegen waren in Umfragen die Inflation und die hohen Verbraucherpreise, danach Korruption sowie Sicherheit. Milei hatte vor der Wahl gesagt, er wolle das "Exkrement" der Landeswährung Peso und die Zentralbank abschaffen, um den US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel einzuführen. Es ist nicht klar, ob das überhaupt umsetzbar ist. Argentinien ist hoch verschuldet, hat kaum Devisen und muss ständig finanziell jonglieren, um nicht bankrottzugehen. Milei will deshalb Ministerien schließen, drastisch öffentliche Ausgaben zusammenstreichen, den "omnipräsenten Staat" abbauen und privatisieren, was nicht niet- und nagelfest ist. Angesichts der drastischen Veränderungen erwartet er Widerstand auf den Straßen, und kündigte an, dass er dagegen mit harter Hand vorgehen lassen werde.
Der Ökonom ist Anhänger der sogenannten österreichischen Wirtschaftslehre, die radikal freie Märkte und Individualismus propagiert. Seit Jahren ist der künftige Präsident in Argentinien als wütender Gegner der Regierung, des Staats und sozial orientierter Bewegungen bekannt. Im Laufe seiner Auftritte hat er eine Vielzahl extremer Vorschläge und Überzeugungen präsentiert; etwa dass der Organhandel ein freier Markt wie jeder andere sein sollte, er die Waffengesetze radikal lockern oder staatliche Sozialprogramme konsequent streichen würde. Erst vor drei Jahren ging er in die Politik. Er hatte zu Vertrauten gesagt, Gott habe ihm den Auftrag dazu gegeben.
Mileis künftige Vizepräsidentin ist Victoria Villarruel, Tochter eines Offiziers der vergangenen Militärdiktatur Argentiniens, die Verbindungen zu rechten Gruppen in der ganzen Welt pflegt. Villaruel zweifelt die offizielle Opferzahl von 30.000 Toten und Verschwundenen der wirtschaftsliberalen Diktatur an und schlug zuletzt vor, die zentrale Erinnerungsstätte ihrer Opfer abzuschaffen, damit "die ganze argentinische Bevölkerung" die Fläche "genießen" könne. Im September hatten die Vereinten Nationen das Museum und das Gelände zum Weltkulturerbe erklärt.
Neuer Kopf, gescheiterte Ideen
Milei war vor dem ersten Wahlgang der Favorit auf die Präsidentschaft, wurde aber überraschenderweise Zweiter hinter dem aktuellen Wirtschaftsminister Sergio Massa. Daraufhin verbündete er sich mit dem bürgerlichen Ex-Präsidenten Mauricio Macri und dessen Kandidatin Patricia Bullrich, die als Dritte ausgeschieden war. Bei der Stichwahl gegen Massa brachten die Stimmen des bürgerlichen Bündnisses ihm nun den deutlichen Erfolg. Macri, der während seiner Präsidentschaft von 2015 bis 2019 die aktuelle Wirtschaftskrise mit seinen marktliberalen Maßnahmen mitverursacht hatte, schrieb nach Mileis Sieg, "uns erwartet eine spektakuläre Zukunft des Wachstums, der Arbeit, der Bildung und der Freiheit". Bullrich war unter ihm Sicherheitsministerin.
Auch der Unternehmer Elon Musk äußerte sich auf X zu Mileis Sieg: "Wohlstand kommt auf Argentinien zu", meinte er. Das sieht etwa Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro ganz anders. Mileis Sieg sei "traurig für Lateinamerika", da der Neoliberalismus keine Antworten mehr auf die aktuellen Probleme habe. Diesen Tweet wiederum zitierte El Salvadors "Bitcoin-Diktator" Nayib Bukele spöttisch: "Jetzt sag es, ohne zu heulen."
Am Montag, in Argentinien ein Feiertag, sollen die Beratungen über die ersten wirtschaftlichen Maßnahmen und das künftige Kabinett beginnen. Viele von Mileis Ideen waren in den 1990er Jahren schon einmal umgesetzt worden. Zu Mileis Beratern zählt etwa der Vizewirtschaftsminister von damals. Dessen früheren Chef, Domingo Cavallo - ebenfalls mitverantwortlich für den folgenden Totalzusammenbruch - , nannte Milei den "besten Wirtschaftsminister der Geschichte".
Nach einer Hyperinflation hatte Cavallo unter Präsident Carlos Menem den Peso an den Dollar gekoppelt und damit die Geldentwertung einige Jahre lang in den Griff bekommen. Doch zugleich zerstörten die Maßnahmen Teile der Industrie, verursachten Arbeitslosigkeit und mündeten in einen Staatsbankrott, vernichteten Privatvermögen und Straßenschlachten mit Dutzenden Toten. Die Erinnerung daran ist bei einem Teil der Bevölkerung noch präsent. Doch die Angst vor einem Déjà-vu war bei der Wählerschaft nicht so groß wie der Wunsch nach einem Regierungswechsel. Den werden die Menschen bekommen. Ab 10. Dezember sitzt der Libertäre Milei im Präsidentenpalast Argentiniens.
Quelle: ntv.de