Politik

"Prekäre Koalition in Berlin" Warum Trump Merkel ärgert

Wechselhaftes Verhältnis: Merkel und Trump beim G7-Gipfel.

Wechselhaftes Verhältnis: Merkel und Trump beim G7-Gipfel.

(Foto: REUTERS)

Donald Trump stichelt gegen die deutsche Flüchtlingspolitik, auch um sein eigenes Vorgehen an der mexikanischen Grenze zu rechtfertigen. Mit der Kanzlerin verbindet ihn eine schwierige und wechselhafte Beziehung.

Donald Trump hat ein spezielles Verhältnis zu Deutschland. Wer dem US-Präsidenten zuhört, könnte manchmal fast meinen, es bereite ihm Vergnügen, die Bundesregierung zu ärgern. An die hartnäckigen Hinweise auf den hohen deutschen Exportüberschuss und die aus seiner Sicht zu geringen Verteidigungsausgaben hat man sich auf deutscher Seite längst gewöhnt. In den vergangenen Tagen nahm sich Trump aber eines weiteren, zurzeit besonders sensiblen Themas an: der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

Am Montag twitterte er: "Die Menschen stellen sich gegen ihre Führung, das erschüttert die ohnehin schon prekäre Koalition in Berlin." Es sei ein großer Fehler gewesen, Millionen von Menschen nach Europa zu lassen, die die "Kultur so stark und gewalttätig verändert haben". Am Dienstag legte er nach. Die deutschen Behörden berichteten nicht, dass die Kriminalität im Land wegen der Flüchtlinge um zehn Prozent gestiegen sei, verbreitete Trump. Die Kanzlerin widersprach ihm kurz darauf in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sie verwies auf die "leicht positiven Entwicklungen" der Kriminalitätsstatistik und sprach von "ermutigenden Zahlen". EU-Kommissionspräsident Jean-Claude-Juncker, der an dem Treffen ebenfalls teilnahm, sprang Merkel bei und verurteilte die "massive Einmischung" in deutsche Innenpolitik "in aller Schärfe". Trump reagiere "immer pikiert", wenn seine Politik kritisiert werde.

Der US-Präsident unterstellt Merkel indirekt, einen Anstieg der Kriminalitätsrate zu verschleiern. Das ist nicht nur hart, sondern auch dreist. Es stimmt nämlich nicht. Der kürzlich veröffentlichten Kriminalitätsstatistik für 2017 zufolge sind die Straftaten in Deutschland - bei Einbruch, Diebstahl und Straßenkriminalität - im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent zurückgegangen und liegen damit auf dem niedrigsten Niveau seit 25 Jahren. Merkel reagierte gewohnt nüchtern auf Trump. Dennoch dürfte sich die Kanzlerin vor allem in der aktuellen Situation mächtig geärgert haben. Trumps Tweets zielen nämlich mitten hinein in den Unionsstreit über die Flüchtlingspolitik. Bezeichnend war die Reaktion von Trumps Sprecherin. Die sagte: "Ich kenne die Statistiken nicht."

"Trump lügt die ganze Zeit"

Trump, der auch etablierte US-Medien gern als Fake News bezeichnet, ignoriert mal wieder die Fakten. Der frühere FBI-Chef James Comey erklärte am Dienstagabend bei einem Auftritt in Berlin: "Trump lügt die ganze Zeit." Auch in der deutschen Öffentlichkeit stießen Trumps Aussagen auf Empörung. Der frühere SPD-Chef Martin Schulz twitterte: "Donald Trump ist ein echter Experte in Sachen Kriminalstatistik: Schweigegeld für Pornostars, illegale Russlandkontakte plus ein inhaftierter Wahlkampfmanager." Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sagte dem "Tagesspiegel": "Die Bundesregierung darf sich das nicht gefallen lassen." Mehrere Politiker forderten die Einbestellung des amerikanischen Botschafters Richard Grenell. Der 51-Jährige, der erst seit kurzem im Amt ist, stand zuletzt bereits heftig in der Kritik. In einem Interview hatte er angekündigt, die konservativen Kräfte in Europa stärken zu wollen.

Nicht nur deshalb ist es äußerst fraglich, ob ein Gespräch mit Grenell überhaupt etwas bewirken könnte. Der US-Präsident demonstriert seit seiner Vereidigung Anfang 2017, dass er sich von Gepflogenheiten nicht beeindrucken lässt. Dass Trump, dessen Großvater Frederick 1869 im pfälzischen Kallstadt geboren wurde, sich der deutschen Einwanderungspolitik widmet, ist kein Zufall. Das Thema dominierte seinen Wahlkampf und bestimmt zurzeit auch den innenpolitischen Diskurs in den USA. Trumps Umgang mit Einwanderern an der Grenze zu Mexiko, wo Kinder von ihren Eltern getrennt werden, ist höchst umstritten. Nicht nur First Lady Melania Trump, auch viele Republikaner kritisieren die Familientrennungen und die Null-Toleranz-Politik des Präsidenten.

Zumindest eine deutsche Partei nimmt Trumps Sticheleien bei Twitter jedoch wohlwollend auf. Zahlreiche AfD-Politiker verbreiteten gestern eifrig die Tweets. AfD-Vizechef Georg Pazderski sagt: "US-Präsident Donald Trump ist durch seine Nachrichtendienste über die Kriminalität in Deutschland offenbar exakter informiert, als die deutsche Regierung." Trump habe in der Vergangenheit schon mit ähnlichen Äußerungen über Schweden Recht behalten. AfD-Chef Alexander Gauland erklärte bereits Ende 2016, dass Trump in seiner Partei Sympathien ausgelöst habe. Im Hinblick auf Merkels Flüchtlingspolitik trennt Trump und die AfD wenig.

"Sei klug, Amerika!"

Dabei ist das Verhältnis des US-Präsidenten zu Merkel wesentlich diffuser als das der Rechtspopulisten. In der Vergangenheit wechselte Trump häufig und meist in kürzester Zeit zwischen Lob und Attacke. Im August 2015 bezeichnete er Merkel als "wahrscheinlich größte Führerin der Welt", sie sei einfach "fantastisch". Einige Monate später sagte Trump, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sei "verrückt". Die Aufnahme Hunderttausender Menschen aus anderen Ländern werde zu Aufständen führen. Beim ersten Treffen der beiden im März 2017 verweigerte der Amerikaner Merkel den Handschlag und sagte später, er habe ihre Frage nicht gehört. Nach der Bundestagswahl im September 2017 dauerte es vier Tage, bis er Merkel zur Wiederwahl gratulierte. Erst vor ein paar Tagen, im Anschluss an den G7-Gipfel, empörte sich Trump über ein Foto, in dem die Staatschefs ernst auf den US-Präsidenten herabgucken, betonte aber seine "großartige Beziehung" zu Merkel. Nun greift er sie mit aggressiven Tweets erneut an.

Der Politikwissenschaftler und USA-Experte Christian Hacke glaubt, dass Trump neidisch ist auf die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik. "Deutschland ist eine Weltwirtschaftsmacht und hat eine Fähigkeit, Produkte in die Welt zu exportieren, von der die Amerikaner nur träumen können", so Hacke. Trumps Aussagen über die deutsche Flüchtlingspolitik können in der Bundesrepublik theoretisch verschiedene Wirkungen haben. Kritiker der Kanzlerin finden sie womöglich sogar gut, weil der US-Präsident nur ausspricht, was sie ohnehin schon denken. Andere könnten sich daher mit Merkel und der Bundesregierung solidarisieren. Die Deutschen sehen Trump insgesamt kritisch. Laut einer Umfrage fürchten 87 Prozent, dass seine Politik internationale Konflikte verschärfen könnte. 74 Prozent glauben, dass Trump Frieden und Sicherheit in der Welt gefährde.

Den Frieden und die Sicherheit in den USA sieht Trump durch die massenweise Einreise von Menschen aus Mexiko bedroht. Deshalb instrumentalisiert er Deutschland als vermeintliches Negativbeispiel, um seine eigene Politik zu legitimieren. Er wolle nicht, dass das, "was mit der Einwanderung in Europa geschieht, mit uns passiert", twitterte er in dieser Woche und: "Sei klug, Amerika!". Später schob er hinterher: "Wenn man keine Grenze hat, hat man kein Land."

Quelle: ntv.de

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