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Markus Lanz über Hetzblatt-Fall Warum man Aiwanger mit zweierlei Maß messen muss

Aiwanger beim Parteitag der Freien Wähler im März.

Aiwanger beim Parteitag der Freien Wähler im März.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ein nicht vollends geklärter Fall eines antisemitischen Hetzblatts und Zeugenberichte über rechtsradikale Aussagen: Sein Verhalten als Jugendlicher holt Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger ein. Bei Lanz sind sich die Gäste einig: Dem 17-jährigen Aiwanger kann man vieles nachsehen - nicht aber dem 52-jährigen.

Seit dem vergangenen Wochenende spaltet ein antisemitisches Hetzblatt die Gesellschaft in Bayern und Deutschland. Das soll der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger mit damals 17 Jahren in seiner Schultasche mit sich herumgetragen haben. Ob es nur ein einziges Exemplar war, ob er es verteilen wollte: unklar. Aiwanger will sich daran nicht mehr erinnern können. Den Vorfall an Aiwangers damaliger Schule hat die "Süddeutsche Zeitung" recherchiert, seither hat sich Aiwangers Bruder als Autor der Hetzschrift zu erkennen gegeben. Doch hinzukommen Zeugenaussagen, denen zufolge der heutige Freie-Wähler-Chef Aiwanger in seiner Schulzeit mit Hitler-Imitationen und antisemitischen "Witzen" aufgefallen sei. Eine Zeugin erklärte, Aiwanger habe ihr eine Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" gezeigt, die er mit sich herumgetragen habe.

Markus Lanz macht am Mittwochabend den Fall zu einem Thema in seiner Talkshow im ZDF. "Ich bin sehr dafür, dass man mit dem 17-Jährigen nachsichtig umgehen muss, wenn der 52-Jährige damit verantwortlich und erwachsen umgeht. Und das hat nicht stattgefunden", sagt Grünen-Politiker Jürgen Trittin. Auch die Journalisten Roman Deininger von der "Süddeutschen Zeitung" und Helene Bubrowski von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" kritisieren das Verhalten des bayerischen Politikers.

"Ich mag Aiwanger"

Roman Deininger stammt aus Ingolstadt. Er ist Chefreporter bei der "Süddeutschen Zeitung", die zuerst über das antisemitische Hetzblatt berichtet hat, mit dem Aiwanger in Verbindung gebracht wird. "Ich mag Aiwanger", sagt er bei Markus Lanz. Und so geht es vielen Menschen, vor allem in Niederbayern, wo Aiwangers Heimatgemeinde liegt. Hubsi nennen sie ihn da. Aiwanger ist einer, mit dem man sich vorstellen kann, bei einer Runde Schafkopf im Biergarten um die Ecke ein paar Maß Bier zu trinken. Anders als die meisten Politiker ist er volkstümlich, nah bei den Menschen. Er hört ihnen zu, spricht ihre Sprache. Aus seiner Herkunft macht er keinen Hehl. Er spricht den Dialekt seiner Region, mit dem Hochdeutschen hat er seine Probleme. Das kommt an. Viele Menschen vertrauen ihm.

Das sieht auch Journalist Deininger so. "Es gibt viele Menschen in Bayern, die sich mit ihm solidarisieren", sagt er. "Die sagen, die Ereignisse sind lange her." Diese Menschen müsse auch Ministerpräsident Söder ernst nehmen, "sonst treibt man viele in die Systemskepsis hinein." Deininger teilt Trittins Ansicht: "Bei einem 17-Jährigen sollte man zur Milde fähig sein, aber den 52-Jährigen, der in so einem hohen Amt ist, muss man streng betrachten."

"Seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit"

Aiwangers Umgang mit Fragen und Kritik zu dem Vorgang wirft so gesehen Fragen auf: Am Mittwochnachmittag gibt Aiwanger ein kurzes Statement ab. "Ich bin weder Antisemit noch Extremist. Ich bin Demokrat, ein Menschenfreund, kein Menschenfeind", so Aiwanger. "Und insofern sage ich, dass ich für die letzten Jahrzehnte alle Hände ins Feuer legen kann. Und was über die Jugendzeiten hier diskutiert wird, wundert mich etwas. Es ist so, dass in der Jugendzeit das Eine oder Andere so oder so interpretiert werden kann, was mir hier als 15-Jährigem vorgeworfen wird. Aber seit dem Erwachsenenalter: kein Antisemit."

Das wirft ihm auch niemand vor, und seiner Partei, den Freien Wählern, schon gar nicht. So sagt Jürgen Trittin: "Die Partei, die Freien Wähler, gehören nicht in eine rechtsradikale Ecke." Dennoch wirft er Aiwanger rechtspopulistische Äußerungen vor. Als Beispiel nennt er dessen Rede vor gut 10.000 Menschen bei einer Demonstration gegen das Heizungsgesetz der Ampelregierung am 10. Juni in Erding bei München. Da hatte Aiwanger von einer schweigenden Mehrheit gesprochen, die sich die "Demokratie wieder zurückholen" müsse. "Das ist ein klassisches rechtes Ideologem", kritisiert Trittin bei Lanz. "Das ist antidemokratisch. Und darum ist die Aufmerksamkeit darüber, dass er in seiner Jugend im Besitz eines durchkomponierten, antisemitischen Flugblattes gewesen ist, das Faktum geworden, dass dann eine andere Bedeutung bekommt."

"Zeigt keine Reue"

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Dass Aiwanger sich nicht zu den Fehlern in seiner Jugend bekannt hat, kritisiert auch Bubrowski. Aiwanger habe in den letzten fünf Tagen nur einen einzigen Tweet abgesetzt, in dem er sich über eine "Schmutzkampagne" der "Süddeutschen Zeitung" erregt habe. "Auch Aiwanger hat sich weiterentwickelt", erkennt sie an. "Aber es gelingt ihm nicht, eine Haltung dazu zu entwickeln. Er zeigt keine Reue."

Und wie sieht nun die Zukunft Aiwangers aus? Wenn sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder an seine Aussagen hält, könnte Nico Fried, Politikchef des "Stern", Recht behalten: Das vorläufige Ende von Aiwanger als Landesminister dürfte kurz bevor stehen. Söder hatte am Dienstagmittag in einem Statement "lückenlose Aufklärung" verlangt. Gleichzeitig erklärte er, es dürfe jetzt nichts Neues hinzukommen. Das ist aber durch die Zeugenaussagen, über die der Bayerische Rundfunk, die "Süddeutsche" und die "Bild" seit Dienstagabend berichten, passiert.

Quelle: ntv.de

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