Politik

Gaspreis-Talk bei Anne Will "Was wir sehen, sind reale Ängste"

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"Wahlen in unsicheren Zeiten – Bekommt die Ampel die Quittung für ihre Krisenpolitik?", fragt Anne Will am Sonntagabend.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

In Deutschland geht die Existenz- und Heizangst um. Bei "Anne Will" wird anlässlich der Niedersachsen-Wahl über die Gründe der Sorgen und die richtigen Heilmittel gestritten. Doch niemand weiß, wie die Gaspreisbremse aussehen soll - und die Unsicherheiten steigen weiter.

Deutschland hat Angst. Vor Wohlstandsverlust, vor der Rezension und hohen Preisen, vor einem kaltem Winter, vor Wladimir Putin und seinem Krieg. Seit dem Start des ARD-Deutschlandtrends vor fast 25 Jahren gab es noch nie eine derart große Besorgnis der Bevölkerung. Gleichzeitig wächst die Kritik an der Bundesregierung, die mit sich und um die richtigen Antworten in den turbulenten Zeiten ringt. Und so ist auch in der Talkrunde bei Anne Will am Sonntagabend vor allem Zweierlei Thema: Die Sorgen der Deutschen samt ihres Einflusses auf die Landtagswahl in Niedersachsen und eine Ampel-Koalition, die auf das Allheilmittel Gaspreisbremse hofft - von der jedoch noch niemand weiß, wie sie aussieht.

Es war ein SPD-Wahlsieg in Niedersachsen gegen den Bundestrend, stellt Talkmasterin Will gleich zu Beginn der Sendung fest. Während die FDP eine krachende Niederlage erleidet, können der alte und wohl auch neue Ministerpräsident, Stephan Weil, und die Grünen nach einem Wahlkampf, der von bundespolitischen Themen geprägt war, mit Erfolgen aufwarten. Warum schafft es aber Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen Umfragewerte immer stärker fallen, dann nicht, die Bürgerinnen und Bürger zu begeistern und ihre Ängste aufzufangen? Natürlich hätten die großen derzeitigen Fragen eine "sehr wichtige Rolle gespielt" sagt Lars Klingbeil, "aber das war trotzdem eine Landtagswahl" und "Scholz stand in Niedersachsen nicht zur Wahl". Der SPD-Parteivorsitzende verteidigt den in der Kritik stehenden Kanzler: "Es gab noch nie eine Bundesregierung, die so viele Krisen bewältigen musste."

Spahn schwenkt schnell auf Angriff um

Neben der FDP patzte auch die CDU, fuhr das schlechteste Ergebnis in Niedersachsen seit 1955 ein. Warum konnte die Union, die bei der Wahl eine Abstimmung über die Bundespolitik wollte, den Elfmeter nicht verwandeln? Es sei nicht gelungen, die Sorgen und "die Unzufriedenheit in der Bevölkerung in Stimmen für die Union umzumünzen", gibt Jens Spahn zu. Das habe "auch etwas mit 16 Jahren an der Regierung zu tun". Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag schwenkt vom miserablen Wahlergebnis aber lieber direkt - treu dem Ängste-Thema des Abends - in den Angriffsmodus um: "Viele wissen immer noch nicht, was sie bei den Strom- und Gaspreisen erwartet", geht er Klingbeil an. "Der Wohlstand in der Breite bröckelt" und man könne sich nicht mehr sicher sein: "Bleiben wir Industrieland?"

Klingbeil verweist auf die Gaspreisbremse, zu der eine extra einberufene Kommission am Montag das Konzept vorlegen soll, und für die 200 Milliarden Euro in die Hand genommen werden. "Wir werden daran gemessen, was wir in den nächsten Monaten liefern", sagt er. So solle die Bevölkerung entlastet und ihre Furcht vor dem kalten Winter und den hohen Preisen vermindert werden. Spahn geht das alles aber natürlich nicht schnell genug, es hätte schon längst ein Programm entschieden werden sollen: "Wir wissen seit Monaten, dass wir alles nutzen müssen, was Strom produziert. Jeder weiß, dass Anfang Oktober die Heizperiode beginnt. In einer der größten Krise dieses Landes streiten der Finanz- und Wirtschaftsminister jeden Tag."

"Wir alle müssen da schneller werden", räumt Ricarda Lang ein. Die Bundesvorsitzende der Grünen hatte jüngst auf mehr Tempo aus dem Kanzleramt gepocht. Ist Scholz also zu langsam? "Nein, Quatsch." Aber Lang unterstreicht noch einmal: "Was wir sehen, sind reale Ängste". Diese "Existenzängste" dürften eben nicht nur kurzfristig behoben werden, sondern man wolle "langfristig den Wohlstand erhalten". Dafür habe es Entlastungspakete gegeben und dafür solle die Gaspreisbremse Deutschland gut und sicher durch diesen und den nächsten Winter führen. Gleichzeitig dürfe man den "Langzeitblick nicht verlieren" und müsse die erneuerbaren Energie konsequent fördern und ausbauen, um die Stromversorgung zu sichern und "unabhängig von Putin" zu werden.

Ampel hat Zeit verspielt

Auf die Frage, warum die Ampel-Koalition so langsam mit der Gas-Entscheidung für den Winter um die Ecke kommt, hat Robin Alexander eine einfache Antwort. "Weil sie etwas anderes entschieden hat zuerst", sagt der stellvertretende Chefredakteur von "Die Welt", "nämlich die Gaspreisumlage". Dann hätte sie "gemerkt, dass das nicht so gut ist, aber da ist die Zeit verloren gegangen."

Doch die Unsicherheit in der Bevölkerung wächst, weil es in der Politik noch immer keinen Konsens darüber gibt, wie genau Bürgerinnen und Bürger beim Heizen entlastet werden sollen: "Schrumpfen wir nur die Rechnung oder gibt es auch einen Sparanreiz?", fragt Alexander. Die Arbeiterwohlfahrt etwa warnte in der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" davor, lediglich auf eine Einmalzahlung zu setzen und so die Menschen, die in wirklicher Armut leben, nicht genug zu unterstützen.

"Ich weiß nicht, was bei der Kommission herauskommt", sagt Klingbeil. "Aber ich setze darauf, dass es die Mischung aus Sparanreizen und finanzieller Entlastung wird." Laut Lang gibt es aber "nicht nur den reinen Dualismus". Sie unterstützt die Möglichkeit "mit einem gedeckeltem Gaspreis", denn so würden "Bürger direkt auf der Rechnung entlastet und es würde "gleichzeitig ein Sparanreiz geschaffen". Hier stimmt ihr sogar Spahn zu. Gleich darauf zeigt er sich aber wieder als angriffslustiger Oppositioneller: "Wir haben jetzt diese Summe von 200 Milliarden Euro und keiner weiß, was passiert!" Klingbeil kontert: "Der einzige Vorschlag der Union lautete: Wir drehen die Gaspipeline zu, um es Putin richtig zu zeigen."

"Merz hängt noch 20 Jahre zurück"

Viele Unsicherheiten, wenig Klarheit. Überall Ängste und Sorgen. Davon war die Abstimmung in Niedersachsen geprägt wie wohl noch keine Landtagswahl zuvor. Doch der Frust der Bevölkerung wanderte in Form von Stimmen nicht zur CDU, sondern zur AfD. Talkmasterin Will bohrt bei Spahn nach, ob der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz mit seinen "Sozialtourismus" nicht für noch mehr Ängste und gleichzeitig mehr AfD- statt Unionsstimmen gesorgt hätte. Auf einmal wird es noch mal hitzig in der Talkrunde. Wild wird sich ins Wort gefallen und übereinander geredet. "Das Sozialtourismus-Wort war falsch", erklärt Spahn. "Aber das Problem hat Merz richtig erkannt, das ist das Programm der Union. Zuwanderung muss gesteuert werden." Merz habe sich ja auch entschuldigt.

Das will Lang von den Grünen nicht gelten lassen, sie erkennt bei Merz keine Entschuldigung und bezichtigt ihn des "Populismus". Das Fischen am rechten Rand des CDU-Parteivorsitzenden habe etwas von AfD-Kampagnen: "Vorgehen, entschuldigen, zurückrudern" und irgendetwas bleibe dann schon hängen. Für den AfD-Erfolg in Niedersachsen sei die CDU mitverantwortlich. Man könne über alles diskutieren, aber: "Eine Migrationsdebatte, die auf Angst setzt, das darf nicht sein!" Auch Klingbeil keilt in Richtung Spahn: "Merz hängt noch 20 Jahre zurück." Dieser sei ja "ein Politik-Vollprofi" und trete dann "kurz vor der Wahl absichtlich mit solch einem Wording solch eine Debatte los".

Ob Niedersachsen-Abstimmung oder Gaspreisbremse: Am Ende ringt die Diskussionsrunde ähnlich miteinander, wie es die Ampel-Koalition seit Monaten tut. Dass der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner nach der Wahl sagte, seine Partei wolle ihre Rolle in der Regierung überdenken, wird es den ohnehin schon verunsicherten Bürgerinnen und Bürgern nicht einfacher machen. Dabei benötigen die Ängste der Deutschen vor allem schnelle Entscheidungen, klare Antworten und eine bessere Krisenkommunikation. Auch die Talkrunde hat hierbei keine Sorgenerleichterung herbeiführen können.

Quelle: ntv.de

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