"Karlsruhe wird Reform kippen" Weiter Streit um Erbschaftsteuer
08.11.2008, 12:40 UhrCDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat die Einigung der Koalitionsparteien über die Reform der Erbschaftsteuer verteidigt. "Wenn Betriebe, die in der Familie bleiben, von der Erbschaftsteuer unter gewissen Voraussetzungen befreit werden, dann sichert das Arbeitsplätze", sagte Pofalla der "Passauer Neuen Presse".
Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil bezeichnete die Einigung als tragfähig. "Wir haben einen fairen Kompromiss erzielt", sagt er der "Schwäbischen Zeitung". Man habe Pläne der CSU verhindert, die eigentlich die Steuer regionalisieren oder abschaffen wollte. "Die vier Milliarden Euro Steuereinnahmen bleiben den Ländern erhalten, und das Aufkommen wird in den nächsten Jahren steigen."
Auch die SPD-Linke unterstützt den Erbschaftsteuerkompromiss. "Die SPD hat das Maximale herausgeholt", sagte Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, der Frankfurter Rundschau". Der Union warf er vor, sich "auf der falschen Seite der Geschichte" zu bewegen: Auf Dauer könnten CDU und CSU nicht verhindern, dass es in Deutschland zu einer "sozial gerechteren und schärferen Besteuerung von Erbschaften und Vermögen zur Finanzierung von Bildung und Infrastruktur" komme.
Karlsruhe wird Reform kippen
Pofalla wies zugleich den Vorwurf zurück, das Gesetzesvorhaben sei eine "Luxusreform", weil Immobilien bis zu einer Wohnraumgröße von 200 Quadratmetern für Kinder im Erbfall steuerfrei bleiben sollen. Es sei bewusst keine Wertgrenze gesetzt worden, "weil 200 Quadratmeter Wohnraum in Frankfurt am Main einen anderen Wert haben als 200 Quadratmeter in Frankfurt an der Oder". Pofalla geht davon aus, dass der Kompromiss auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird.
Nach Ansicht der Südwest-SPD wird die Reform der Erbschaftsteuer dagegen einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten. "Die große Koalition hat jetzt Regeln eingezogen, die der Steuerumgehung Tür und Tor öffnen", sagte Baden-Württembergs SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Der Kompromiss schütze vor allem "mächtige Privatvermögen in Bayern". Dies sei der Sturheit von CSU-Chef Horst Seehofer geschuldet. "Ich bin aber ganz beruhigt, dass die Karlsruher Richter diese Reform kippen werden."
Keine Zustimmung im Bundesrat
Nordrhein-Westfalen wird derweil dem Koalitionskompromiss zur Erbschaftsteuer im Bundesrat nicht zustimmen. Das kündigte der stellvertretende Ministerpräsident Andreas Pinkwart (FDP) bei einem außerordentlichen FDP-Landesparteitag in Düsseldorf an.
Der unverständliche Kompromiss der großen Koalition sei "ein Bürokratiemonster", sagte Pinkwart unter dem Beifall der 400 Delegierten. "Die FDP wird einer solchen Vorlage im Bundesrat nicht die Zustimmung geben." Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP in NRW sieht bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionären eine Enthaltung im Bundesrat vor.
Bayerns FDP will nach Aussage ihrer Landeschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger "genau prüfen, wie die Vereinbarungen zwischen Union und SPD im Detail aussehen". Ihre Partei wolle klären, "ob eine Ungleichbehandlung von börsennotierten Kapitalgesellschaften und Familienunternehmen verfassungsrechtlichen Bestand hat", sagte die ehemalige Bundesjustizministerin der "Welt". Auch in Bayern haben die Koalitionäre CSU und FDP vereinbart, sich im Bundesrat zu enthalten, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt.
"Für Familienunternehmen verhängnisvoll"
Kritik am Erbschaftssteuerkompromiss kam erneut von den Liberalen. "In der wirtschaftlichen Auswirkung ist er inakzeptabel und für Familienunternehmen verhängnisvoll", sagte der FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms der "Berliner Zeitung". Bei einem Konjunktureinbruch müsse Personal abgebaut werden, um die Firma zu retten. In diesem Fall müsse der Erbe die Erbschaftsteuer aber voll zahlen. "Das kann das Unternehmen vernichten", sagte Solms.
"Ein großer Wurf ist nicht gelungen", sagte auch der Vorsitzende der bayerischen FDP-Fraktion, Thomas Hacker, der Zeitung. Für die FDP sei nur ein Zwischenschritt erreicht. "Wir wollen die Erbschaftsteuer abschaffen", betonte Hacker.
Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin warnte vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft "in Arm und Reich". Er warf der SPD vor, sie habe sich "auf Geheiß der CSU zu einer Schutzregelung für Villenbesitzer und millionenschwere Unternehmerfamilien" hinreißen lassen. Zudem sei die neue Regelung "kaum verfassungsfest", erklärte der Grünen-Politiker in Berlin.
Erbrechtsexperten erwarten Prozessflut
Die Spitzen von Union und SPD hatten sich am Donnerstagabend auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser sieht unter anderem eine Steuerfreiheit beim Vererben selbstgenutzter Immobilien an Ehepartner sowie mit Einschränkungen auch an Kinder vor. Auch Betriebserben können ganz oder teilweise steuerfrei bleiben, wenn sie den Betrieb weiterführen und dabei eine Reihe von Auflagen erfüllen.
Laut einem Bericht des "Focus" erwarten Erbrechtsexperten wegen der Reform eine Prozessflut. "Bisher konnten gute Berater ihren Mandanten die Erbschaftsteuerbelastung anhand einiger Daten in fünf bis zehn Minuten ausrechnen", sagte der Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht, Klaus Michael Groll, dem Nachrichtenmagazin.
Künftig sei für die Bewertung ein Gutachten erforderlich, "das in vielen Fällen wiederum Gegengutachten und ein Obergutachten provozieren dürfte". Kritik übte Groll auch an der Begrenzung der Wohnfläche bei der Vererbung. Dies werde in der Praxis zu erheblichen Streitigkeiten, Abgrenzungsproblemen und Gestaltungstricks führen.
Quelle: ntv.de