Sarkozy, Merkel und die Roma Wenigstens das Essen war gut
16.09.2010, 20:09 Uhr
"Totale und vollständige Unterstützung"?
(Foto: REUTERS)
Schenkt man dem französischen Staatschef Glauben, so stehen auch in Deutschland "in den nächsten Wochen" Räumungen von Roma-Lagern an. Bundeskanzlerin Merkel habe ihm die "totale Unterstützung" für die französische Position zugesagt, behauptet Sarkozy beim EU-Gipfel. Das Dementi aus Berlin folgt prompt.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sieht sich bei der Räumung von Roma-Lagern durch die Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Staaten bestätigt. Er kündigte in Brüssel eine Fortsetzung der Räumungen an.
Seinen Worten nach will auch Deutschland in den nächsten Wochen Roma-Lager räumen lassen. "Frau Merkel hat mir gesagt, dass sie beabsichtigt, in den kommenden Wochen Lager räumen zu lassen", behauptete Sarkozy nach dem EU- Gipfel. Zum Hinweis einer Journalistin, Deutschland regele solche Fragen lautloser als Frankreich, sagte Sarkozy: "Wir werden dann ja sehen, welche Ruhe in der deutschen Politik herrscht."
Angesichts der europaweiten Kritik an den Gruppenabschiebungen von Roma aus Frankreich hob Sarkozy zudem die "totale und vollständige Unterstützung" Merkels für die französische Position hervor.
Weder im Rat noch am Rande
Das Dementi Merkels folgte auf dem Fuße. Merkel habe weder im Europäischen Rat noch bei Gesprächen mit Sarkozy am Randes des Rates über vermeintliche Roma-Lager in Deutschland, geschweige denn über deren Räumung gesprochen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin nach der Rückkehr vom Gipfel.
Zuvor hatten schon EU-Diplomaten in Brüssel die Aussage Sarkozys zurückgewisen, es stehe die Räumung von Roma-Lagern auch in Deutschland bevor. "Es sind heute im Europäischen Rat von deutscher Seite zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Äußerungen zu irgendwelchen Roma-Lagern oder Räumungen in Deutschland gemacht worden", hieß es.
Praxis in Deutschland
Aus Deutschland werden ebenfalls Roma zurück in ihre Heimat geschickt, vor allem aber in das Kosovo, mit dem im April ein Abkommen unterzeichnet wurde. Darin werden Abschiebungen geregelt, so dass der Weg für die sogenannte Rückführung von rund 12.000 Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter frei ist, die keinen gültigen Aufenthaltstitel haben.
Aus Frankreich werden Roma vor allem in deren Heimatländer Rumänien und Bulgarien geschickt, die EU-Mitglieder sind. Deshalb hatte die EU-Kommission die Einhaltung der EU-Freizügigkeitsregelungen auch für Roma angemahnt und Frankreich für dessen Abschiebungs-Politik heftig kritisiert.
Merkel bleibt nüchtern
Merkel selbst hat den Streit um die Roma-Politik beim EU-Gipfel mit Ironie quittiert. Zu der Frage von Journalisten nach der Atmosphäre beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs sagte Merkel: "Das Mittagessen war gut - was die Speisen anbelangt hat." Sarkozy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatten sich bei dem Essen nach mehreren übereinstimmenden Quellen einen heftigen Schlagabtausch geliefert, was Sarkozy jedoch bestritt. Zwischen ihm und Barroso sei es zu keinem lautstarken Streit gekommen: "Weder Barroso noch ich haben die Stimme erhoben."
Merkel fasste das Wortgefecht in ihrer gewohnt nüchternen Art zusammen: "Es war eine die Sache klar beschreibende Diskussion", sagte die Kanzlerin. Sie hoffe nun, dass die EU zu ihrer "guten und vernünftigen Zusammenarbeit zurückkehren" könne. Eigentliche Themen beim EU-Gipfel waren nämlich außenpolitische Strategien, Handelserleichterungen für das überflutete Pakistan und ein schärferer Euro-Stabilitätspakt.
Sarkozy "stinksauer"
Sarkozy verwahrte sich vor allem gegen Äußerungen der für Grundrechte zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding. Die Luxemburgerin hatte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich angekündigt und gesagt: "Ich habe nicht geglaubt, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal Zeuge einer solchen Situation wird." Diplomaten sagten in Brüssel, Sarkozy sei deswegen "nicht sauer, sondern stinksauer".
"Die Gesamtheit der Regierungschefs war schockiert von diesen beleidigenden Äußerungen. Es handelt sich um eine historische Verkürzung, die die Gefühle unserer Landsleute verletzt hat", sagte Sarkozy. Auch Kommissionspräsident Barroso habe sich "von diesen Äußerungen distanziert". Sarkozy: "Man spricht nicht mit Frankreich in diesem Ton." Die Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg sei "eine Beleidigung, eine Verletzung, eine Erniedrigung".
Ebenso hatte die Bundeskanzlerin Anstoß an Redings drastischen Worten genommen, zugleich aber das Recht der Kommission unterstützt, über die Einhaltung von EU-Recht zu wachen. "Der Ton war nicht angemessen, die Wortwahl auch nicht. Wir müssen mit Respekt in den Institutionen miteinander umgehen, das ist sehr wichtig", sagte Merkel.
Reding "stellt klar"
Sarkozy sagte, Reding habe sich für den Bezug auf den Zweiten Weltkrieg "entschuldigt". Ihr Sprecher bestritt das und sprach von einer "Klarstellung" der Kommissarin. Reding ließ erklären, sie habe keine Parallele ziehen wollen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Vorgehen der französischen Regierung.
Der französische Präsident sagte auch, er schätze Barroso weiterhin: "Die Dinge werden sich wieder normalisieren. Im Grunde sind wir auf der gleichen Linie. Wenn es diese Äußerungen nicht gegeben hätte, dann hätten wir keine Probleme."
Frankreich macht weiter
Frankreich hat in diesem Jahr mehr als 8000 Roma in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Sarkozy hatte dies im Sommer angeordnet, nachdem es zu Ausschreitungen von Roma gegen die Polizei gekommen war. Die Vereinten Nationen verurteilten die Abschiebungen ebenso wie das Europäische Parlament. Auch ein Vertreter des US-Außenministeriums ermahnte Frankreich.
Im August seien 500 Lager geräumt worden, sagte sarkozy in Brüssel. Von den Bewohnern seien mindestens zwei Drittel französische Roma gewesen: "Das zeigt doch schon, dass hier niemand diskriminiert wird." Die Räumungen würden fortgesetzt: "Wir wehren uns gegen Elendsviertel an den Rändern unserer Städte." Es gebe ein Recht auf Menschenwürde für alle: "Wir sehen Bilder von Kindern, die inmitten von Ratten leben. Ist das menschenwürdig? Niemand verdient so zu leben. Und es ist Sache der Regierung, das zu ändern."
Diplomaten berichteten, Sarkozy habe versucht, die Debatte auf Reding zu begrenzen. Die Lage der Roma und die Respektierung von Rechtsvorschriften seien bei Sarkozys Ausführungen weniger ausführlich zur Sprache gekommen.
Soll doch Luxemburg ...
EU-Kommissionspräsident Barroso verteidigte die Rolle der Behörde als Hüterin der EU-Verträge. Er hatte seiner für Grundrechte zuständigen Kommissarin grünes Licht gegeben, gegen Frankreich wegen Diskriminierung der Roma und Verstoßes gegen die Freizügigkeit ein Vertragsverletzungsverfahren vorzubereiten. Lange hatte die Kommission gezögert und auf Frankreichs Wort vertraut, es gebe keine Diskriminierung. Erst als ein amtliches Rundschreiben auftauchte, in dem die Roma eindeutig als Ziel ausgemacht wurden, war Reding der Kragen geplatzt.
Diese Dienstanweisung wurde mittlerweile vom Innenministerium durch eine Order ersetzt, in der die Roma nicht mehr explizit erwähnt werden. Einwanderungsminister Eric Besson sagte, man werde der EU "den Geist" dieser Anweisung erläutern.
Sarkozy - Sohn eines ungarischen Einwanderers und einer aus Griechenland stammenden Mutter - wurde mit der Äußerung zitiert, Luxemburg könne ja gerne alle Roma aufnehmen. Das fand Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn überhaupt nicht lustig: Er hoffe, dass bald wieder "ein gepflegteres Umgehen" mit Paris möglich sei.
EU-Chefs halten Spielregeln fest
Die EU-Chefs hielten in einer Erklärung zu dem Thema selbstverständliche Spielregeln der EU fest: Die Mitgliedstaaten könnten ihr nationales Recht anwenden. Die Kommission habe das Recht und die Pflicht, zu überprüfen, ob sie dabei das Gemeinschaftsrecht einhielten. Auf das Problem der Integration von Roma wollen die EU-Chefs später zurückkommen.
Was gab's noch in Brüssel?
EU-Staaten beschlossen ein wegweisendes Freihandelsabkommen mit Südkorea sowie Handelserleichterungen für das hart von einer Flut getroffene Pakistan. Auch die strategischen Beziehungen der EU mit wichtigen Partnern wie China und Indien sowie die Reform des Stabilitätspakts nach der Euro-Schuldenkrise besprachen die EU-Chefs. Merkel bekräftigte dazu die Forderungen Deutschlands, für grundlegende Änderungen auch die EU-Verträge zu ändern. Sie betonte, dass es eine Verlängerung der in der Schuldenkrise eilends geschaffenen Rettungsschirme für Griechenland und andere Euro-Staaten über 2013 hinaus mit Deutschland nicht geben wird.
Quelle: ntv.de, hdr/dpa/rts/AFP