Politik

Streit um Roma-Abschiebungen EU droht Frankreich

Viviane Reding: "Ich dachte, das ist eine Situation, die Europa nicht noch einmal erleben müsste nach dem Zweiten Weltkrieg."

Viviane Reding: "Ich dachte, das ist eine Situation, die Europa nicht noch einmal erleben müsste nach dem Zweiten Weltkrieg."

(Foto: AP)

Seit Wochen streitet die EU-Kommission hinter den Kulissen mit der französischen Regierung über die Abschiebungen von Roma. Nun droht die EU-Kommission mit einem Strafverfahren. Denn die Roma sind EU-Bürger, und in der EU gilt Freizügigkeit. "Meine Geduld ist am Ende", sagt Grundrechte-Kommissarin Reding. "Es reicht."

Im Streit um die Gruppenabschiebungen von Roma droht die Europäische Kommission Frankreich mit juristischen Konsequenzen. Die EU-Kommissarin für Grundrechte und Justiz, Viviane Reding, sagte, sie werde sich für ein EU-Strafverfahren gegen Frankreich einsetzen. Die französische Regierung gab sich "erstaunt".

Reding verband ihre Ankündigung mit scharfer Kritik an der französischen Regierung. "Ich bin entsetzt darüber, dass der Eindruck entsteht, Menschen werden eines Landes nur verwiesen, weil sie eine ethnische Minderheit sind - ich dachte, das ist eine Situation, die Europa nicht noch einmal erleben müsste nach dem Zweiten Weltkrieg."

Die Luxemburgerin wirft der Regierung in Paris einen Verstoß gegen das EU-Grundrecht auf Niederlassungsfreiheit vor. Danach kann sich jeder Bürger der Europäischen Union in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen. Da die Roma EU-Bürger sind, gelten für sie die gleichen Rechte.

8000 Roma abgeschoben

Eine Roma-Familie in Villeneuve-d'Ascq nach Auflösung ihres Lagers durch die Polizei.

Eine Roma-Familie in Villeneuve-d'Ascq nach Auflösung ihres Lagers durch die Polizei.

(Foto: REUTERS)

Ein Sprecher des französischen Außenministeriums warnte Brüssel vor einer "Polemik". Die französische Regierung hatte seit Jahresbeginn mehr als 8000 Roma zurück in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien geschickt und seit Juli dutzende illegale Roma-Lager geräumt.

Seit Wochen streitet die EU-Kommission vornehmlich hinter den Kulissen mit der französischen Regierung darüber, das Vorgehen in Einklang mit EU-Recht zu bringen. Das Europäische Parlament hatte in einer Resolution Frankreich aufgefordert, die Ausweisungen sofort zu beenden. Eine Verbalattacke des französischen Europa-Staatssekretärs Pierre Lellouche am Montag in Brüssel brachte nun das Fass zum Überlaufen. Frankreich müsse sich nicht belehren lassen von der EU-Kommission oder dem Europäischen Parlament, hatte Lellouche gesagt. "Frankreich ist ein souveränes Land. Wir sind nicht in der Schule. Ich habe nicht die Absicht, mich im Namen Frankreichs wie ein kleiner Junge behandeln zu lassen. Frankreich steht nicht vor Gericht."

"Es reicht"

Reding will der französischen Regierung noch einige Tage Schonfrist einräumen. "Aber ich stelle klar: Meine Geduld ist am Ende. Es reicht", betonte die Kommissarin. Letzte Klarheit soll ein Rechtsgutachten bringen, welches die EU-Kommission in den kommenden Tagen veröffentlichen will. Dem Antrag Redings auf ein EU-Verfahren müsste dann noch das Kollegium der 27 Kommissare zustimmen. Im äußersten Fall kann ein EU-Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen. Zuvor müsste die Kommission Frankreich jedoch in drei Verfahrensschritten Gelegenheit geben, die Vorwürfe auszuräumen.

Besonders erzürnt zeigte sich die Grundrechte-Kommissarin bei ihrem unangekündigten Auftritt über ein internes Rundschreiben des französischen Innenministeriums, in dem die vorrangige Räumung von Roma-Lagern verlangt wurde. Die Regierung zeigte sich erst zu Wochenbeginn nach öffentlicher Kritik zur Streichung der strittigen Passagen bereit.

"Roma-Lager haben Vorrang"

Am Flughafen Marseille: Auch am Dienstag wurden Roma aus Frankreich ausgeflogen.

Am Flughafen Marseille: Auch am Dienstag wurden Roma aus Frankreich ausgeflogen.

(Foto: REUTERS)

In dem Rundschreiben des Innenministeriums waren konkrete Zahlen zum Vorgehen gegen Roma vorgegeben. "300 Lager oder illegale Siedlungen müssen innerhalb von drei Monaten geräumt werden, Roma-Lager haben Vorrang", heißt es in dem Text an die französischen Präfekten von Anfang August, den der Bürochef von Innenminister Brice Hortefeux unterschrieben hatte.

Vor Bekanntwerden des Schreibens hatte die französische Regierung behauptet, nicht ausdrücklich gegen Roma, sondern nur gegen illegale Lager vorzugehen. So hatte Integrationsminister Eric Besson gesagt: "Frankreich hat nichts gegen Roma unternommen. Roma werden nicht als eigene Gruppe betrachtet, sondern als Staatsangehörige ihrer jeweiligen Heimatländer." Am Montag behauptete Besson, er habe das Schreiben nicht gekannt.

Roma als Opfer in Sarkozys Wahlkampf

Die harte Linie in der inneren Sicherheit hatte das Ziel, der unter Druck stehenden französischen Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy einen Achtungserfolg zu verschaffen. Die Gruppenabschiebungen von Roma nach Rumänien und Bulgarien hatte Sarkozy im Juli persönlich angeordnet. Dass ihm danach vorgeworfen wurde, er schüre Hass auf Randgruppen und Ausländer, nur um vom Versagen seiner Regierung und von womöglich illegalen Parteispenden für seine Partei UMP abzulenken, störte den Staatschef sichtlich wenig. Denn die Umfragen gaben ihm Recht, die Mehrheit der Franzosen stimmt seiner harten Linie zu.

Sarkozys Beliebtheit und der Respekt für seine Arbeit sind in den Umfragen dennoch auf einen Tiefpunkt gesunken. 2012 will er voraussichtlich wiedergewählt werden. Bei aller Härte: Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die EU-Freizügigskeitsregelung käme ihm vermutlich ungelegen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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