Politik

Deutsch-türkische Verstimmungen Wenn Meinungsfreiheit weh tut

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(Foto: picture alliance / dpa)

Auf die gestoppten Wahlveranstaltungen in Deutschland reagieren türkische Politiker maximal verärgert. Die Bundesregierung hält sich weiter bedeckt. Ob das hilft?

Ulrike Demmer hat es nicht eilig. Ruhig liest die stellvertretende Regierungssprecherin die nächsten Termine der Kanzlerin vor. Martin Schäfer, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, spricht über eine geplante Reise Sigmar Gabriels nach Russland. Aber weder das noch der bevorstehende Besuch des Präsidenten von Botswana stoßen in der Regierungspressekonferenz auf großes Interesse. Erst nach einer Viertelstunde geht es um das politische Thema, das seit einigen Tagen fast noch mehr zu polarisieren scheint als der neue US-Präsident: die diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Mehrere Städte stoppten am Donnerstag im letzten Augenblick geplante Wahlkampfauftritte türkischer Politiker. Die Regierung in Ankara reagierte maximal erbost und bestellte den deutschen Botschafter ein. Heute gab es in Gaggenau eine Bombendrohung. Der Hintergrund ist unklar, eine Verbindung aber naheliegend. Die Bundesregierung steht vor der schwierigen Frage: Darf die türkische Regierung in Deutschland für ein Referendum werben, dass die Demokratie weiter einschränken soll? Ausgerechnet jene Regierung, die im eigenen Land knallhart gegen Kritiker vorgeht. Ein moralisches Dilemma.

"Wir leben hier das, was wir von anderen fordern"

Demmer wiederholt das Mantra der Bundesregierung an diesem Freitag: "Wir leben hier das, was wir von anderen fordern." Wenn man die türkische Regierung wegen der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit kritisiere, müsse man die Meinungs- und Versammlungsfreiheit im eigenen Land weiter hochhalten. Schäfer sagt: "Es ist wichtig, dass wir uns als Rechtsstaat begreifen, der die Regeln ernst nimmt, die er sich selbst gegeben hat. Auch wenn das weh tut." Im Hinblick auf die jüngsten Absagen in Köln und Gaggenau wollen die Sprecher keine Bewertungen vornehmen. Nur so viel: Das Versammlungsrecht liege nicht in der Zuständigkeit des Bundes. Die Kommunen hätten aus versammlungs- und sicherheitsspezifischen Gründen entschieden, nicht aus politischen.

Das Problem ist: Genauso wird es in Ankara aber aufgefasst. In der Türkei hält sich das Verständnis in Grenzen. "Mit solchen Entscheidungen kommt das wahre Gesicht derjenigen offen zum Vorschein, die bei jeder Gelegenheit versuchen, der Türkei Lektionen in Demokratie und Meinungsfreiheit zu erteilen", sagte ein Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte: Wenn Deutschland die Beziehungen zur Türkei aufrechterhalten wolle, müsse es "lernen, sich zu benehmen". Bekir Bozdağ selbst, der Donnerstag in Gaggenau auftreten sollte, nannte das Vorgehen "faschistisch".

Schäfer warnt davor, über die Medien in offene Konfrontation zu verfallen. Die Äußerungen türkischer Politiker seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Eine Verknüpfung der Verhaftung des deutsch-türkischen "Welt"-Journalisten Deniz Yücel mit dem türkischen Wahlkampf sei jedoch unzulässig. Schäfer berichtet auch über die Einbestellung des deutschen Botschafters Martin Erdmann in Ankara am Donnerstag. Das Gespräch sei ernst aber freundlich verlaufen. Erdmann habe der Gegenseite versichert, dass die Bundesregierung auf die Absage der Auftritte keinen Einfluss gehabt habe. Erneut sei dabei auch auf den "unangemessenen" Umgang mit Yücel hingewiesen worden. Obwohl wichtige Werte und Grundüberzeugungen auf dem Spiel stünden, habe auch die Türkei ein Interesse, im Gespräch zu bleiben, so Schäfer. Bisher gibt es bisher keinen festen Termin, aber das Auswärtige Amt hofft auf ein baldiges Treffen der Außenminister.

"Das ist in unserem Sinne"

Möglichen Maßnahmen der Bundesregierung erteilt Schäfer erneut eine Absage. Einen Abzug der Bundeswehr vom türkischen Stützpunkt Incirlik schließt er aus. Die deutschen Soldaten kämpften dort an der Seite der Türkei und der internationalen Gemeinschaft gegen den Islamischen Staat. "Er ist eine Bedrohung auf der ganzen Welt, ausdrücklich auch für uns, wie wir auf dem Breitscheidplatz leidvoll erleben mussten", so der Sprecher von Außenminister Gabriel. Dies wegen des Falls Yücel aufs Spiel zu setzen, hält er für ebenso unangebracht wie die Option, durch Wirtschaftssanktionen Druck auf die türkische Regierung auszuüben.

Die Bundesregierung prüft derzeit die Bitte aus Ankara, diese bei der Durchführung des Referendums und konkret bei der Abstimmung der 1,4 Millionen in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken zu unterstützen. Die Entscheidung steht noch aus, dass sie negativ ausfällt, ist extrem unrealistisch. Dafür spricht auch Schäfers kurze Bewertung. Es sei nichts daran auszusetzen, dass die türkischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Gelegenheit hätten, ein Urteil darüber zu fällen, was in der Türkei geplant sei. "Das ist in unserem Sinne. Das ist Ausdruck von Demokratie."

Das brisante Thema Türkei dürfte die deutsche Politik noch eine Weile begleiten. Am Sonntag gibt es in Nordrhein-Westfalen zwei Wahlkampfauftritte des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci. Der Politiker soll in Leverkusen und Frechen sprechen, wo die Veranstaltung in Köln nachgeholt werden soll, die am Donnerstag abgesagt wurde. Bis zum Referendum am 16. April dürften weitere Wahlkampftermine türkischer Politiker folgen.

Quelle: ntv.de

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