Von Obama-Hass, Waffenliebe und Prahlerei Wie Edward Snowden die Seiten wechselte
08.02.2014, 06:34 Uhr
Edward Snowden ist bereits eine Ikone - hier bei einer Demonstration am Brandenburger Tor.
(Foto: imago/Florian Schuh)
Der wohl meistgesuchte Mann der Welt hat sich nicht immer in den Dienst der Bürgerrechte gestellt. Edward Snowden liebte seine Waffe. Er hasste Obama. Und er regte sich über Regierungsbeamte auf, die Informationen an die Presse gaben.
Die National Security Agency hatte wohl einfach Pech. In einem ihrer privaten Partnerunternehmen gab es jemanden, der seine Gesinnung änderte. Unvorhergesehen und innerhalb weniger Jahre. Das Spionagesystem der USA hatte sich mit seinen Methoden einen Gegner in den eigenen Reihen herangezogen: Edward Snowden. Doch nicht immer war der inzwischen weltbekannte Informant davon überzeugt, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten gegen die Menschenrechte verstoßen. Im Gegenteil.
Den Wandel des jungen Amerikaners beschreibt der Journalist Luke Harding in seinem Buch "The Snowden Files" im Detail. Darin zitiert der Auslandskorrespondent des "Guardian" etwa eindeutige Forumsbeiträge auf der Seite "Arstechnica". Auszüge in deutscher Übersetzung hat der "Freitag" veröffentlicht. Unter dem Pseudonym "TheTrueHOOHA" vertritt Snowden auf "Arstechnica" mitunter knallharte republikanische Positionen. Als er etwa in der britischen Hauptstadt aus dem Flugzeug steigt und das multiethnische East London sieht, ist er entsetzt: "Ich dachte, ich wäre im falschen Land aus dem Flugzeug gestiegen … es war zum Fürchten."
"Sind wir in etwas hineingeschlittert?"
Im Jahr 2003 will Snowden in den Irakkrieg ziehen, da ist er 20 Jahre alt. Er tritt in die Armee ein, bricht sich jedoch bei der Infanterieausbildung beide Beine und wird wieder entlassen. Er schreibt 2006 auch über seine Walther P22, eine halbautomatische Pistole: "Meine einzige Knarre, ich liebe sie wie mein Leben." Im Jahr 2010 äußert sich Snowden besorgt. "Die Gesellschaft legt einen fraglosen Gehorsam gegenüber zwielichtigen Typen an den Tag … sind wir da in etwas hineingeschlittert, was wir selbst hätten stoppen können? Oder war es ein recht plötzlicher Wetterwechsel, weil die Regierung immer mehr geheim hält?" Zugleich kritisiert er die Versuche von US-Präsident Barack Obama, Sturmgewehre zu verbieten und lästert über Hilfsprogramme für benachteiligte Bürger.
Ein Jahr zuvor regt er sich noch über Informanten auf, nachdem die "New York Times" über Geheimpläne Israels für einen Angriff auf den Iran berichtet hatte: "Wer sind diese anonymen Quellen, die ihnen das sagen? Diesen Typen sollte man in die Eier schießen … der Scheiß ist aus gutem Grund geheim … es ist nicht wegen, 'oh, hoffentlich kriegen unsere Bürger das nicht mit', sondern wegen 'dieser Scheiß klappt nicht, wenn Iran weiß, was wir tun'."
Doch zu dieser Zeit ist er schon für die NSA in aller Welt unterwegs, sieht, welche Methoden sein Auftraggeber anwendet. Sie wirken ernüchternd. Der letzte Forumsbeitrag auf "Arstechnica" von ihm wird Anfang 2012 veröffentlicht. Da ist Snowden längst im Bilde, wie umfassend sein Land die Kommunikation weltweit überwacht und aufzeichnet. Er ist nun ein Gegner seines eigenen Geheimdienstes und will so viele Informationen wie möglich über die Verstöße sammeln.
Jobwechsel mit Hintergedanken
Bis 2009 arbeitet Snowden beim FBI, dann offiziell bei Dell, doch dort hat er nicht den gewünschten Zugang zu Geheimdokumenten. Also wechselt er kurz vor den Enthüllungen im Jahr 2013 zu einem anderen Privatunternehmen, mit dem die NSA zusammenarbeitet: Booz Allen Hamilton. Nach nur vier Wochen bei seiner neuen Stelle bittet Snowden um unbezahlten Urlaub, wegen angeblicher Epilepsie. Da hat er bereits alle Dokumente, die er haben will. Und ist entschlossen, sie an Journalisten weiterzureichen.
Snowden übergibt seine Informationen schließlich Glenn Greenwald, ein Journalist des "Guardian", der in den USA besonders bekannt ist. Nach dem ersten Treffen in Hongkong und der Weitergabe tausender Dokumente per USB-Stick - alles andere wäre zu risikoreich - arbeitet Greenwald die ersten Informationen auf. Die Zeitung informiert die US-Behörden vorab über ihre Veröffentlichungsabsichten und gibt der US-Regierung die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Frist: vier Stunden.
Schreiende US-Offizielle
Das Weiße Haus schickt FBI-Vizechef Sean M. Joyce, NSA-Vizechef Chris Inglis und einen Justiziar des US-Geheimdienstchefs ins US-Büro der Zeitung. Nach 20 Minuten wird es laut, einer der Gesandten schreit die Niederlassungschefin Janine Gibson an: "Sie müssen das nicht veröffentlichen! Kein ernstzunehmender Journalist würde das veröffentlichen!" Gibson lässt sich nicht einschüchtern - und gibt die Geschichte frei.
Edward Snowdens Video aus dem Hotel in Hongkong, in dem er seine Absichten erklärt, wird weltweit gezeigt. In den Monaten danach folgt Enthüllung auf Enthüllung über die Machenschaften der Geheimdienste und ihren fortwährenden Bruch von Grundrechten mit Prism, Tempora, XKeyscore und anderen Werkzeugen. Der 30-jährige Ex-Waffenliebhaber und knallharte Republikaner ist plötzlich einer von denen, die er vor wenigen Jahren noch öffentlich verurteilt hatte: ein Geheimnisverräter.
Quelle: ntv.de