Politik

Aktenzeichen de Maizière ungelöst Wie lange zaudert Merkel noch?

Was hält eine Freundschaft in der Politik aus?

Was hält eine Freundschaft in der Politik aus?

(Foto: dpa)

Neuer Ärger für Thomas de Maizière: Der Verteidigungsminister wusste offenbar schon viel früher Bescheid über die Probleme beim "Euro Hawk". Für die Kanzlerin wird de Maizière damit zu einer immer größeren Belastung. Sein Rücktritt dürfte daher kaum noch zu verhindern sein.

Die Entscheidungen trifft immer der Chef. Fast immer. Denn im Bendler-Block, dem Sitz des Bundesverteidigungsministeriums, ist das offenbar anders. Hier gilt: Für einen Minister kann es ganz bequem sein, "dass unangenehme Entscheidungen in Konfrontation mit Problemen von ihm ferngehalten werden". So erklärte Thomas de Maizière in der vergangenen Woche die "gelebte Tradition" in seinem Haus. Im Fall der Entwicklung der Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" heißt das: Bei einer Besprechung im März 2012 seien ihm die Probleme noch als lösbar dargestellt worden. Dass dem nicht so sei, will er erst am 13. Mai erfahren haben. Minister Ahnungslos.

Bequem ist die Lage für de Maizière schon längst nicht mehr. Seit Mitte Mai steht er so heftig in der Kritik wie noch nie zuvor in seiner politischen Laufbahn. Das Problem ist: Inzwischen mehren sich die Zweifel, dass er wirklich so unwissend war. Seit einem Monat verstrickt er sich immer wieder in neue Widersprüche. So äußerte er bereits Anfang Mai gegenüber dem "Donaukurier" die Erwartung, dass aus der Beschaffung der Drohne nichts werde. Mit dem neuen Vorwurf konfrontiert, schwenkte der Minister zu Beginn dieser Woche plötzlich um. "Ich hätte nachfragen müssen", sagte er bei seinem zweiten Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss. Also alles geklärt? Mitnichten.

Löchrige Verteidigungsstrategie

Denn die Enthüllungen reißen nicht ab: Jetzt gerät de Maizière schon wieder in neue Schwierigkeiten. Aus einer Informationsmappe zur Vorbereitung auf einen Besuch bei dem EADS-Tochterunternehmen Cassidian hat er offenbar schon ein halbes Jahr früher erfahren, wie schlecht es wirklich um den "Euro Hawk" bestellt ist. Demnach erhielt de Maizière am 10. Dezember die Unterlagen mit dem Aktenzeichen 75-60-00, die ihn über den kritischen Stand des Projekts informierten.

"Aufgrund der Zulassungsproblematik und weiterer Unsicherheiten" sei "derzeit keine Grundlage gegeben, um eine Entscheidung für eine Serienbeauftragung zu befürworten oder gar zu treffen", heißt es in dem Papier. In dem Text wird außerdem auf die Möglichkeit hingewiesen, den "Euro Hawk" durch ein anderes Trägersystem für das Aufklärungssystem Isis zu ersetzen. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, hat de Maizière den Erhalt der Mappe persönlich quittiert. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte in Reaktion auf die Vorwürfe, die Probleme mit dem Drohnen-Projekt seien zu diesem Zeitpunkt immer noch als lösbar dargestellt worden.

Drei Monate vor der Wahl stürzt die Drohnen-Affäre die Kanzlerin in eine ihrer heftigsten Regierungskrisen. Die Verteidigungsstrategie von de Maizière, der als enger Vertrauter Merkels gilt, enthält offenbar noch mehr Lücken als angenommen. Den Oppositionsparteien, die ihm vorwerfen, er wisse schon viel länger von den Problemen mit der Aufklärungsdrohne, liefert er fast täglich neue Munition. So hatte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold zuletzt im Gespräch mit n-tv.de erklärt, dass es kaum vorstellbar sei, dass der Minister ohne Sprechzettel zu EADS gehe.

Macht Merkel den Steinbrück?

Nachdem sich SPD und Grüne anfangs noch bedeckt hielten, wird die Tonart immer heftiger. Andrea Nahles fordert jetzt den sofortigen Rücktritt de Maizières. "Er hat gelogen. Seine Glaubwürdigkeit ist vollends erschüttert. De Maizière hat Parlament und Öffentlichkeit belogen. Er muss endlich die Verantwortung übernehmen", sagt die SPD-Generalsekretärin. In einem Untersuchungsausschuss wollen Sozialdemokraten und Grüne ab Ende Juni klären, wann de Maizière vom Scheitern des Projekts erfahren hat, und ob das Ministerium trotz dieses Wissens über Monate die weitere Finanzierung betrieben hat. Hier wird voraussichtlich auch Peer Steinbrück aussagen müssen. Der SPD-Kanzlerkandidat war immerhin Finanzminister, als der Vertrag für das "Euro Hawk"-Projekt 2007 unterzeichnet wurde. Bis zum 31. August soll der Abschlussbericht vorliegen.

Ein Ende der Affäre ist für de Maizière also längst noch nicht absehbar. Bislang galt es als wahrscheinlich, dass Merkel ihren Minister mindestens bis zum 22. September im Amt hält. Ein Rücktritt so kurz vor der Wahl würde sie nur schwächen, hieß es. Aber wie lange hält die Treue noch? Im Machtkampf um die Frauenquote strapazierte zuletzt mit Ursula von der Leyen schon eine Parteikollegin die Nerven der Kanzlerin.

Deren Herausforderer zeigte erst in dieser Woche, wie es auch geht: Steinbrück entließ seinen glücklosen Sprecher Michael Donnermeyer. Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende? Die Drohnen-Affäre trifft Merkel in ihrer vermeintlich größten Schwäche. Ein allzu großes Zaudern kann sie sich im Wahlkampf jedoch nicht leisten.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen