Politik

Homosexualität ist Alltag Wie normal sind wir?

Demonstration für Menschenrechte und gegen die Verfolgung gleichgeschlechtlicher Partner in Russland vor der russischen Botschaft in Berlin.

Demonstration für Menschenrechte und gegen die Verfolgung gleichgeschlechtlicher Partner in Russland vor der russischen Botschaft in Berlin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Politiker, Unternehmer, Sportler und nun sogar ein ehemaliger Fußballprofi sprechen über ihre Homosexualität. Doch die massive Diskriminierung von Lesben und Schwulen geht weiter.

Als Barbara Hendricks vor wenigen Wochen zur Umweltministerin ernannt wurde, interessierte sich auf einmal eine breitere Öffentlichkeit für sie. Ihre Heimatzeitung brachte ein großes Porträt, in dem am Rande auch ihre Lebensgefährtin erwähnt wurde. Hendricks hatte dem ausdrücklich zugestimmt. Einige Kommentatoren freuten sich über diese charmante Form des Coming-outs, eine gesellschaftliche Debatte fand aber nicht statt. n-tv.de entschied sich dagegen, die Tatsache als Nachricht aufzufassen und zu vermelden. Die sexuelle Orientierung von Spitzenpolitikern mag in Home-Storys eine Rolle spielen, ein Aufreger ist sie nicht mehr.

Ist das Problem damit erledigt? Sind homosexuelle Menschen nun voll akzeptiert? Hätte es den großen Auftritt Thomas Hitzlspergers gar nicht gebraucht? Wer das denkt, nimmt die Realität in Deutschland nicht wahr. Es geht dabei nicht so sehr um offen zur Schau getragene Homophobie. Kaum ein Politiker, Journalist oder Funktionär sagt noch, dass Homosexuelle widerwärtig seien oder behauptet, dass gleichgeschlechtlicher Sex verwerflich wäre. Dennoch gibt es massive Diskriminierungen von Lesben und Schwulen.

Um die Realität zu sehen, muss man keinen speziellen Ort besuchen oder mit besonderen Personen sprechen. Es reicht, in einem Schulbus mitzufahren oder eine Jugendgruppe zu treffen. Die Wörter "schwul" und "Schwuchtel" sind als Schimpfwörter ganz normal. Für einen Jugendlichen, der sich seines Schwul-Seins langsam bewusst wird, spielt es dabei keine Rolle, ob er weiß, wie ernst oder unernst es seine Freunde meinen. Das wissen sie ja häufig selbst nicht. Dennoch wird sich ein schwuler Jugendlicher von dem Gerede verletzt fühlen und Angst davor haben, offen mit diesem Teil seiner Persönlichkeit umzugehen.

Für den Staat sind heterosexuelle Beziehungen mehr wert

Schwulenhass wird auch durch die katholische Kirche gefördert, die für Millionen Deutsche immer noch eine moralische Instanz ist. Homosexualität betrachtet sie als unnatürlich. Wer homosexuell ist, hat von Gott den Auftrag bekommen, enthaltsam zu leben. Das ist die offizielle Lehre. Gleichgeschlechtlichen Sex zu haben, gilt als schwere Sünde.

Dass nun die Bundesregierung Thomas Hitzlsperger zu seinem Coming-out gratuliert, stieß unter vielen Homosexuellen auf Unverständnis. Denn auch der Staat ist an der Diskriminierung weiterhin beteiligt. In Deutschland dürfen Volljährige einander heiraten sooft sie wollen, unabhängig davon, wie ihre Beziehung aussieht, und ob sie einmal Kinder haben wollen. Nur wenn sie das gleiche Geschlecht haben, dürfen sie es nicht. Die Annahme, dass heterosexuelle Beziehungen mehr wert seien als homosexuelle, wird dadurch amtlich bestätigt.

Thomas Hitzlsperger selbst berichtet davon, wie Diskriminierung stattfindet. Er sei in einer kleinen, katholisch geprägten Gemeinde aufgewachsen: "Homosexualität wurde als etwas Widernatürliches, gar Verbrecherisches behandelt", sagte er im Interview mit der "Zeit". Für ihn selbst war das kein Problem, weil er sich seiner Orientierung erst viel später bewusst wurde. Doch für einen Jugendlichen, der sich langsam seine Homosexualität entdeckt, ist ein schwulenfeindliches Umfeld schmerzhaft. Jugendliche suchen nach einem Platz in der Gesellschaft. Sie messen und vergleichen sich mit Gleichaltrigen. Wer dabei immer zu spüren kriegt, dass er anders fühlt als seine Freunde, stellt sich irgendwann selbst infrage.

Schweigen hilft nicht

Die Fußball-Zeitung "Kicker" fordert nun, die Sexualität von Fußballspielern gar nicht zu thematisieren. In Baden-Württemberg läuft gleichzeitig eine Online-Petition, die fordert, dass Homophobie im Schulunterricht nicht behandelt wird. Das fördere die Vertiefung und nicht die Überwindung des Problems. Als ob je ein gesellschaftliches Problem durch Totschweigen gelöst worden wäre!

Hätten nicht nach und nach Prominente ihre Neigung öffentlich gemacht und Lehrer mit ihren Schülern offen gesprochen - die Diskriminierung wäre noch wesentlich schlimmer, als sie es heute ist. Dass nun auch ein Fußballspieler die Fans dazu bringt, über das Thema nachzudenken und zu sprechen, kann nur hilfreich sein.

Damit Homosexualität in einigen Jahren tatsächlich nichts Berichtenswertes mehr ist, muss noch einiges passieren. Politiker müssen für die vollständige Gleichberechtigung sorgen. Die katholische Kirche muss ihre Lehre überdenken oder an Einfluss verlieren. Lehrer, Trainer und Fanclubs müssen Homophobie zum Thema machen. Um das Schimpfwort "Schwuchtel" abzuschaffen, braucht es mehr als eine Debatte in den Medien. Wer dabei helfen möchte, findet im Internet passendes Material.

Quelle: ntv.de

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