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Nur die Union hat's noch nicht verstanden Die Homo-Ehe ist ein moralischer Fortschritt

Gay-Pride-Demo in Brasilien

Gay-Pride-Demo in Brasilien

(Foto: REUTERS)

Die Politik muss sich mal wieder zwingen lassen, etwas mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Das ist hoch peinlich. Denn die Gleichbehandlung von homosexuellen Partnerschaften ist keine Lappalie, sondern ein Gebot der Aufklärung.

Wer sich in 50 Jahren über die Geschichte der Diskriminierung informiert, wird sich gründlich die Augen reiben: Wie kann es sein, dass Deutschland selbst im Jahr 2013 die Gleichstellung von Liebenden nur mit kleinen Schritten voranbrachte? Ist es möglich, dass damals die mit Abstand stärkste Partei des Landes sich heftig dagegen wehrte? Mussten wirklich die höchsten Richter die so beliebte Kanzlerin dazu zwingen?

Es geht beim Thema Homo-Ehe nicht um politisches Klein-Klein. Es geht nicht darum, eine Verkehrssünderdatei neu zu ordnen oder Hoteliers von Steuern zu entlasten. Es geht darum, die Aufklärung ernst zu nehmen.

Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich in Europa die Idee, dass Kinder nicht das Eigentum ihrer Eltern sind, sondern eigene Rechte haben. Jahrhunderte litten Menschen unter der Mehrheitsgesellschaft, weil sie sich zu einer anderen Religion bekannten. Wie absurd wirkt es heute, dass noch in den 1960er Jahren in den USA von der Hautfarbe abhing, welchen Platz man im Bus besetzen durfte. Man muss sich geradezu dafür schämen, dass es erst im Jahr 1997 strafbar wurde, seine Ehefrau zu vergewaltigen.

Kinder, Frauen, Andersdenkende, Andersglaubende, Andersfühlende – die Geschichte der Diskriminierung ist lang und es ist an der Zeit, sie zu beenden. Wer Zeuge von Diskriminierung wird, darf sie nicht hinnehmen. Diskriminierung im Gesetz muss die Politik abschaffen.

Man muss die Konservativen verstehen

Der Grund, warum gleichgeschlechtliche Partnerschaften auch steuerlich bislang nicht der Ehe gleichgestellt waren, ist nicht, dass der Staat die Familie zu schützen hat. "Aber die Definition des Wortes 'Ehe' wird verändert", sprach ein Homo-Ehen-Gegner neulich die New Yorker Senatorin Diane Savino auf der Straße an. Sie entgegnete: "Wir beide haben uns gerade eben erst hier getroffen. Hier an der Ampel. Wir könnten morgen ins Rathaus gehen und heiraten. Niemand wird uns nach der Qualität unserer Beziehung fragen. Glauben Sie, dass wir bereit sind für diese Art der Bindung?" In einer beeindruckenden Rede vor dem Senat ihres Bundesstaats sagte Savino: "Wir und die Regierung legen nicht fest, welche Qualität eine Beziehung haben muss. Wenn wir es täten, würden wir drei Vierteln der Ehen nicht zustimmen."

Der Staat hat nicht darüber zu urteilen, ob eine Beziehung des Status der Ehe würdig ist oder nicht. Er tut das in aller Regel auch nicht. Die einzige echte Ausnahme ist das Geschlecht der Lebenspartner.

Man muss die Traurigkeit der Konservativen verstehen, die in festen, behüteten Strukturen aufgewachsen sind, Mutter und Vater als Ankerpunkte ihres Lebens empfanden und denen eine ernsthafte, dauernde Beziehung viel bedeutet. Angesichts von Kuppel-Shows im Fernsehen und ausschweifender Sexualität haben sie das Gefühl, dass etwas Wertvolles verloren geht. Dass der Staat aber aus diesem Grund von homosexuell Verpartnerten mehr Steuern verlangt als von heterosexuell Verheirateten, steht damit in keinem Zusammenhang. Der gefühlte Werteverfall lässt sich nicht durch die Diskriminierung einer Minderheit aufhalten.

Peinlich für das Parlament

Die gesetzliche Herabwürdigung dieser Minderheit ist auch darum so schlimm, weil sie die Verachtung, die Homosexuellen im Alltag oft entgegenschlägt, noch zementiert. "Schwuchtel" ist auf den Schulhöfen immer noch ein Schimpfwort. Auf dem Land, in der Familie, in der Fußballbundesliga trauen sich viele nicht, ihre Neigung öffentlich zu machen – wahrscheinlich aus gutem Grund. In Mauretanien, dem Iran und Jemen steht auf homosexuellen Sex die Todesstrafe.

Dem Bundesverfassungsgericht steht es gut, dass es – wieder einmal – das Parlament dazu zwingt, etwas mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Für das Parlament ist das peinlich. Als nächstes wird es hoffentlich ein vernünftiges Adoptionsrecht geben und vielleicht wird ja auch bald das Bürokratenwort der "eingetragenen Lebenspartnerschaft" abgeschafft und durch "Ehe" ersetzt.

Das deutsche Gesetz sollte Menschen nicht nach ihren Gefühlen unterscheiden. Alles andere ist eine bittere Ungerechtigkeit. Abseits der Öffentlichkeit sehen das wahrscheinlich auch die Kanzlerin und eine Mehrheit in der Union so. In 50 Jahren wird man sich über ihre Mutlosigkeit wundern.

Quelle: ntv.de

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