Politik

Drei Ukrainer, drei Meinungen "Wir nennen sie Putin-Touristen"

In der Ostukraine gibt es seit einigen Wochen prorussische Demonstrationen. Fördert die Regierung von Russlands Präsident Wladimir Putin die Proteste gezielt?

In der Ostukraine gibt es seit einigen Wochen prorussische Demonstrationen. Fördert die Regierung von Russlands Präsident Wladimir Putin die Proteste gezielt?

(Foto: picture alliance / dpa)

Ost oder West, Russland oder Ukraine - was wollen eigentlich die Menschen in Donezk und Charkiw? Im Gespräch zeigt sich: Es gibt längst nicht nur zwei Lager. Die Sache ist viel komplizierter.

Prorussische Aktivisten besetzen Gebäude und fordern ein Referendum, die ukrainische Polizei verhaftet Separatisten: Seit einigen Wochen verlagern sich die Auseinandersetzungen in der Ukraine in den Osten des Landes. An diesem Freitag traf sich Premier Arseni Jazenjuk in Donezk mit Mitarbeitern der Behörden und Wirtschaftsvertretern. Jazenjuk versprach den Verwaltungen mehr regionale Befugnisse und bot sogar ein Gesetz über regionale Referenden an.

Ob sich die Unruhen damit lösen lassen, ist ungewiss. Die Stimmung in der Ostukraine bleibt angespannt. Aber was wollen eigentlich die Menschen vor Ort - sind sie pro Russland oder pro Ukraine? Tatsächlich ist das nicht so einfach. Es gibt ein breites Stimmungsbild, das zeigen Gespräche mit Bewohnern aus Donezk und Charkiw.

Wer den ganzen Tag bleibt, bekommt 100 Griwna

"Viele Menschen haben Angst, die Stimmung ist depressiv", sagt Ludmilla Pelich. Die Frau leitet in Donezk das Haus der Bochumer Gesellschaft, wo sie soziale Projekte koordiniert. Die Proteste in ihrer Stadt erlebt sie hautnah mit. Vor einigen Tagen saß Pelich im Bus neben einer Gruppe von Männern mit Russland-Fahnen. Plötzlich fragten diese, wo der Lenin-Platz sei. Die 67-Jährige war baff. "Diese Menschen können nicht aus Donezk sein. Den Platz kennt hier jeder".

Spätestens seitdem ist sie sicher: Die meisten Demonstranten werden eingeschleust. "Wir nennen sie Putin-Touristen", sagt Pelich. Sie erzählt auch von den "Omas" mit den "Janukowitsch komm zurück"-Schildern. "Die bekommen 50 Griwna [das sind umgerechnet drei Euro] dafür, dass sie sich für ein paar Stunden da hinstellen." Die Frauen machten dies aus Not und nicht aus Überzeugung. Wer den ganzen Tag bleibt, bekommt sogar 100 Griwna.

Viele Menschen in Donezk seien irritiert, berichtet Pelich aus Gesprächen mit Freunden und Nachbarn. Die russische Propaganda sei stark. Viele wüssten deshalb nicht, was sie glauben sollen. "Sind das Nationalisten, retten die uns?". Pelich glaubt nicht daran. Mit der neuen Regierung in Kiew ist sie zwar nicht hundertprozentig zufrieden, aber Putin sei noch schlimmer. Er lebe in einer anderen Welt, ihm sei alles zuzutrauen. Ob sie Angst habe: jedenfalls nicht vor einem Referendum, "nur vor einem Krieg".

"Um Gottes Willen, das wäre ein Albtraum"

Unwohl fühlt sich auch Anatoli Mozgovy. Der Militärdolmetscher wohnt im 300 Kilometer nördlich von Donezk gelegenen Charkiw. "Diese Stadt muss Teil der Ukraine bleiben", sagt er. Ein Referendum, wie es die Separatisten fordern - "um Gottes Willen, das wäre ein Albtraum". Dabei ist Mozgovy nicht besonders zufrieden mit der Arbeit der neuen Regierung in Kiew. Das umstrittene Sprachengesetz, das Russisch als Regionalsprache abschaffen sollte, sei sinnlos. "Als ob die Ukraine um Moment keine wichtigeren Probleme hätte."

Noch wütender ist der 59-Jährige über das Verhalten der Regierung auf der Krim: Man habe die Halbinsel zu leicht aufgegeben. "Wir hatten doch Truppen dort. Warum haben die Aktivisten alle staatlichen Gebäude besetzt und die Miliz hat nichts unternommen?" Mozgovy vermutet, Russland provoziere die Proteste gezielt. Moskau brauche den Osten des Landes als Zugang zur Krim, um die Versorgung der Halbinsel zu erleichtern.

Die Unruhen in Charkiw, "in dieser Stadt der Wissenschaft", machen Mozgovy traurig. Viele der prorussischen Demonstranten benähmen sich "furchtbar", Ukrainer würden auf offener Straße angegriffen, Autos mit ukrainischen Fahnen beschädigt. "Nationalität hat hier nie eine Rolle gespielt. Wenn dich einer auf Russisch angesprochen hat, konntest du auf Ukrainisch antworten. Das war nie ein Problem." Im Alltag habe die angespannte Lage spürbare Folgen. Das stellt er vor allem im Gespräch mit Freunden aus Russland fest. "Die haben keine Vorstellung, was hier los ist, und sprechen die ganze Zeit nur vom rechten Sektor. Dabei habe ich von denen hier noch keinen gesehen."

Russland-Hetze und bezahlte Demonstranten

Zurück geht's in die Bergbaumetropole nach Donezk. Hier lebt Ina Tkhoschenko, die beim TÜV Nord arbeitet. Eine russische Invasion in der Ostukraine? "Das glaubt niemand, so weit wird es nicht kommen", sagt sie, die für einen Verbleib in der Ukraine ist, aber mehr Rechte für die Regionen fordert. Tkhoschenko ist davon überzeugt, dass die Russen sich "hier nicht einmischen". Dass der Westen Russland die Schuld gäbe, sei falsch. Sie spricht sogar von einem "Informationskrieg". Die Proteste im Zentrum der Stadt würden überbewertet. Was seien schon ein- oder zweitausend Demonstranten bei einer Million Einwohnern: nichts. Die meisten Menschen gingen ganz normal arbeiten und hätten keine Zeit für so etwas. Ganz anders als auf dem Maidan. Dort hätten manche Aktivisten vier Monate lang gestanden. "Die wurden bezahlt", sagt Tkhoschenko.

Warum also dieser ganze Konflikt zwischen Ost und West? In Donezk gebe es einen großen Anteil russischsprachiger Einwohner, sagt sie, viele hätten Verwandte in Russland. "Die Menschen wollen nicht zur Nato gehören und sind verärgert, wenn der Westen sie gegen Russland aufhetzt." Ein Referendum erwartet sie in Donezk nicht, über die Krim sagt sie: "Die war immer russisch, die gehört halt zu Russland."

Mit der Regierung in Kiew ist Thkoschenko sehr unzufrieden. Janukowitsch sei korrupt gewesen, aber "die Neuen" wären nicht besser. Ob sie sich nach dem Ex-Präsidenten zurücksehne? "Es gibt kein Zurück, aber es ist schade, was passiert ist". Der Zusammenbruch der Wirtschaft, die Toten auf dem Maidan: "Wozu war das alles gut?", fragt sie. Anfang 2015 hätte es doch sowieso Wahlen gegeben.

Quelle: ntv.de

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