Regierungskrise in der Türkei Yilmaz will rasche Neuwahlen
09.07.2002, 10:15 UhrDer stellvertretende Ministerpräsident der Türkei und Chef der konservativen Mutterlandspartei (ANAP), Mesut Yilmaz, hat sich angesichts der Regierungskrise für baldige Neuwahlen in seinem Land ausgesprochen. Eine neue Regierung sei schon deshalb nötig, um noch vor Dezember die von der EU geforderten Reformen umsetzen zu können, erklärte er. Ministerpräsident Bülent Ecevit wies Medienberichten zufolge jedoch Rücktrittsforderungen erneut zurück und bemühte sich um eine Neubesetzung der vakant gewordenen Posten in seinem Kabinett.
Ecevit unter Druck
Die türkische Regierung zerbröckelt unterdessen weiter. Auch Staatsminister Hasan Gemici gab sein Amt aus Protest gegen die Führungslosigkeit im Kabinett wegen der schweren Erkrankung von Ecevit auf. Zudem kündigte Erziehungsminister Metin Bostancioglu seinen Rücktritt an.
Weitere Abgeordnete verließen Ecevits Demokratische Partei der Linken (DSP). Insgesamt kehrten bislang mehr als 30 Parlamentarier der DSP den Rücken.
Am Montag waren bereits vier Kabinettsmitglieder zurückgetreten. Vize-Regierungschef Hüsamettin Özkan und Kultusminister Istemihan Talay begründeten ihren Amtsverzicht mit einem gestörten Vertrauensverhältnis zum Regierungschef und Parteivorsitzenden. Auch die beiden Staatsminister Recep Önal und Mustafa Yilmaz erklärten ihren Rücktritt.
Özkan, der als Hüter der brüchigen Koalition in der Türkei galt und auch als Ecevit-Nachfolger gehandelt wurde, betonte, bei einem Treffen mit Ecevit sei ihm klar geworden, dass der Ministerpräsident seine Dienste nicht mehr benötige. Talay sagte in einem Interview, er habe kein Vertrauen mehr in die DSP und Ecevit, das Land zu führen.
DSP nicht mehr stärkste Fraktion
Durch die Austritte der Abgeordneten hat die DSP ihren Status als stärkste Fraktion verloren. Bereits am Sonntag hatte Ecevits nationalistischer Koalitonspartner MHP eine vorgezogene Neuwahl für Anfang November gefordert. Vize-Ministerpräsident und MHP-Vorsitzender Devlet Bahceli hatte dies mit Ungewissheiten bei der Regierung und der sich daraus ergebenden Auswirkungen für die Wirtschaft begründet.
Die MHP ist nun stärkste Fraktion im Parlament. Sie begann nach den Austritten aus der DSP mit einer Unterschriftensammlung für vorgezogene Wahlen. Turnusmäßig steht die Parlamentswahl im Frühjahr 2004 an.
Die türkischen Finanzmärkte reagierten auch am Dienstag verunsichert. Im frühen Handel sackte der türkische Lira gegenüber dem US-Dollar auf ein Rekordtief ab. In der Spitze kostete ein US-Dollar 1,706 Mio. Lira. Wegen der Regierungskrise waren die Kurse an der Istanbuler Börse am Montag um fünf Prozent eingebrochen. Ecevit war im Mai zwei Mal im Krankenhaus und seitdem nicht in der Lage, in seinen Amtssitz zurückzukehren.
Quelle: ntv.de