"Ein Mensch pro Wimpernschlag" Zahl der Flüchtlinge steigt dramatisch
19.06.2013, 17:37 Uhr
Syrische Flüchtlinge erreichen ein Lager in Jordanien.
(Foto: dpa)
Syrien, Afghanistan, Somalia und Mali: Im vergangenen Jahr waren laut UN so viele Menschen auf der Flucht wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Ein schweres humanitäres Problem ist, dass immer mehr Kinder allein auf der Flucht sind. Eine Besserung ist nicht in Sicht.
Bewaffnete Konflikte und andere Bedrohungen haben die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten steigen lassen. 2012 seien mehr als 45,2 Millionen Menschen auf der Flucht gewesen, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf mit. Dies ist der höchste Stand seit 1994, als der Völkermord in Ruanda und der Zusammenbruch Jugoslawiens die Flüchtlingszahlen in die Höhe schnellen ließen.
"Wir erleben eine Zunahme neuer Konflikte, und es scheint, dass die alten nicht enden", erklärte UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres angesichts des Weltflüchtlingstags am Donnerstag. Mit 55 Prozent stammten gut die Hälfte der Flüchtlinge aus Konfliktgebieten wie Afghanistan, Somalia, Irak oder Syrien.
Auch in den afrikanischen Krisenländern Mali, Demokratische Republik Kongo und Sudan wuchs dem UN-Bericht zufolge die Zahl der Flüchtlinge. Von 45,2 Millionen Betroffenen flüchteten sich demnach 15,4 Millionen ins Ausland, 28,8 Millionen Menschen waren im eigenen Land auf der Flucht, zudem gab es 937.000 Asylbewerber.
Keine Besserung erwartet
"Aber das Dramatischste sind die Zahlen der neu Vertriebenen: 7,6 Millionen gewaltsam Vertriebene (...), das macht einen Mensch pro Wimpernschlag", klagte Guterres. Angesichts der Eskalation des Bürgerkriegs in Syrien sei für 2013 keine Besserung zu erwarten. Die Weltgemeinschaft müsse nun Syriens Nachbarländer, insbesondere Jordanien und den Libanon, bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge unterstützen, forderte der UN-Flüchtlingskommissar.
Das UNHCR befürchtet, dass die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Ausland von derzeit 1,6 Millionen bis Ende des Jahres auf 3,45 Millionen Menschen steigt. Innerhalb des Bürgerkriegslandes sind bereits 4,25 Millionen Menschen auf der Flucht.
Die Hauptlast von Flucht und Vertreibung tragen dem Bericht zufolge Entwicklungsländer; dort leben 87 Prozent der Flüchtlinge weltweit. Das wichtigste Aufnahmeland für Flüchtlinge war 2012 Pakistan mit 1,6 Millionen Flüchtlingen, gefolgt vom Iran (868.000) und Deutschland (590.000). Das Land, aus dem die meisten Flüchtlinge stammen, war wie bereits seit mehr als 30 Jahren Afghanistan: Jeder vierte Flüchtling stammt aus diesem Land.
Kinder oft allein auf der Flucht
Mit 46 Prozent machten Minderjährige fast die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit auf. Dass Kinder zunehmend allein auf der Flucht seien, entwickele sich zu einem "der schwersten humanitären Probleme", erklärte Guterres. 2012 suchten demnach 21.300 Minderjährige auf eigene Faust Schutz.
"Ich freue mich, dass Deutschland im Rahmen des Resettlement-Programms einige Hundert Flüchtlinge aufnimmt. Auch die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen aus Syrien ist ein wichtiges Zeichen", sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning. "Wenn aber 80 Prozent der Flüchtlinge von Entwicklungsländern aufgenommen werden, liegt ein Missverhältnis vor."
Angesichts der wachsenden Flüchtlingszahl aus Syrien begrüßten die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international die Hilfszusagen über insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar während des G8-Gipfels. Die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision wertete die Übereinkunft der G8 für eine Friedenskonferenz für Syrien in Genf als ersten Schritt in die richtige Richtung.
Papst Franziskus rief am Mittwoch vor 60.000 Menschen im Vatikan zu mehr Hilfe, Gastfreundschaft und Verständnis für die Flüchtlingsfamilien auf. Der Generalsekretär der Hilfsorganisation CARE Deutschland-Luxemburg, Karl-Otto Zentel, sagte: "Wenn weiterhin so viele Menschen aus Syrien fliehen wie in den letzten Wochen, dann wird in zwei Monaten die Marke von zwei Millionen Flüchtlingen überschritten." Es sei die "komplexeste humanitäre Krise unserer Zeit".
Quelle: ntv.de, AFP